Interview mit Dr. Andreas Fincke

Konfessionslosigkeit aus kirchennaher Sicht

Soeben erschienen ist der dritte Band in der von Horst Groschopp im Alibri Verlag herausgegeben Reihe "Humanismusperspektiven". Nach der Monographie "Pro Humanismus" und dem Sammelband von Thomas Heinrichs "Religion und Weltanschauung im Recht" behandelt der neue Band "Mit Gott fertig?" die Konfessionslosigkeit in Deutschland in ihrem Zusammenhang mit Atheismus und "säkularem Humanismus". Der Autor Dr. Andreas Fincke legt damit die erste kultursoziologische Gesamtbetrachtung der "säkularen Szene" überhaupt vor. Der hpd hat mit dem Autor über einige seiner Einschätzungen gesprochen.

hpd: Wie kommt es, dass ein Pfarrer in einem atheistisch-kirchenkritischen Verlag ein Buch über Konfessionsfreie publiziert und die Szene sehr offen aus kirchennaher Sicht analysiert?

Andreas Fincke: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Szene der Atheisten, Kirchenkritiker und der säkularen Humanisten. In den 1990er Jahren war ich wissenschaftlicher Referent an der EZW, der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen". Dort haben wir uns viel mit religiösen und weltanschaulich interessanten Phänomenen am Rande bzw. außerhalb der Kirchen beschäftigt. Irgendwann wurde mir klar, dass die – ich sag das mal so – atheistische Konkurrenz viel interessanter ist. Diese Szene ist bunt, chaotisch, widersprüchlich. Das hat mich gereizt und interessiert mich noch immer. Die Szene könnte gemeinsam sicherlich viel erreichen – ist aber zerstritten. Es gibt kluge Köpfe, pfiffige Ideen und erbarmungslose Grabenkämpfe. Na, so etwas ist doch interessant!

Ist das für Sie eine Art "Feindbeobachtung"?

Eigentlich nicht. Das hat vermutlich mit meiner Biographie zu tun. Ich bin in der DDR aufgewachsen und habe in den 1980er Jahren an einer staatlichen Universität studiert. Wir hatten ständig Kontakt zu nichtreligiösen Kommilitonen. Ich habe da keine Berührungsängste. Im Übrigen: Bei der Beschäftigung mit anderen Glaubens- und Weltvorstellungen ist es wichtig, dass man versucht, den anderen zu verstehen, gleichsam in seine Haut zu schlüpfen. So begegne ich auch meinen muslimischen Gesprächspartnern. Dialog ist nur möglich, wenn man den Anderen ernst nimmt und versucht, seiner Sicht etwas abzugewinnen.

In der säkularen Szene haben wir oft den Eindruck, dass die Kirchen uns nicht ernst nehmen…

…ja, deshalb schreibe ich auch in meinem Buch, dass wir die Konfessionsfreien ernst nehmen sollen und den herablassenden Ton, den ich in solchen Sätzen wie "Werte brauchen Religion" wittere, vermeiden. Aber umgekehrt gibt es dasselbe Problem: Als ich am Rande des Humanistentags in Nürnberg mit einigen Teilnehmern sprach, hatten die echte Berührungsängste.

Weiß man zu wenig voneinander?

Ja. Wir leben zusammen und wissen doch kaum voneinander. Viele Christen wissen wenig bis gar nichts von den Konfessionslosen. Umgekehrt scheint mir die Unkenntnis noch größer zu sein. Was ich mitunter bei Atheisten über die Kirche lese ist abenteuerlich. Manchmal denke ich: Die Kirche, die die kritisieren, würde ich auch kritisieren.

Und umgekehrt…?

…wird in den Kirchen die Humanistische Union häufig mit dem Humanistischen Verband verwechselt.

Warum verwenden Sie mitunter die Bezeichnung "Konfessionslose"?

Ich weiß, dass es eine Diskussion um die angemessenen Begriffe gibt. Im Buch rede ich von "Konfessionslosen", weil dieser Begriff üblich und weit verbreitet ist. "Konfessionsfrei" wäre möglicherweise sachgemäßer. Aber ich bin mir dessen nicht sicher. Es ist die Frage, wie Sie diese Konfessionslosigkeit deuten: Als "Losigkeit", als Distanz von etwas oder als normative Größe, als Freiheit zu etwas. Beides ist plausibel. Im Übrigen ist interessant, dass alle Begriffe schwierig sind: Konfessionslosigkeit, Kirchenkritiker, Humanisten, säkulare Szene usw. Sie können einen Vortrag über die ganze Thematik halten, indem Sie nur die Vor- bzw. Nachteile dieser Begriffe erläutern.

Wer sind die "Konfessionsfreien"?

Keine Ahnung. Jedenfalls keine feste Szene. Vielleicht eine Abgrenzungsgemeinschaft?

Was sagen Sie zu dem Argument, diese vielen Konfessionsfreien hätten keine Interessenvertretung, denn die Organisationen der "Szene" könnten nur für ihre vergleichsweise wenigen Mitglieder sprechen?

Das ist auch wieder so ein Sowohl-als-auch. Da in Deutschland kaum 0,1 % der Konfessionslosen in einem der Verbände organisiert sind, kann man kaum davon sprechen, dass diese Verbände deren Interessen wahrnehmen können. Andererseits stehen die Verbände den Konfessionslosen relativ nahe, sie sind die Engagierten unter den Indifferenten und damit eben doch potenzielle Dialogpartner.

Wie sehen Sie die Szene der Organisationen? Geben Sie aus Ihrer Sicht Ratschläge in die "Szene" hinein?

Die Szene wäre stärker, wenn sie die gemeinsamen Interessen stärker sehen könnte.

Was sagen Sie in Richtung Ihrer eigenen Kirche?

Meiner Kirche sage ich, dass wir seit 1990 dramatische Veränderungen erleben. Sie sind viel grundlegender, als das die (ebenfalls exorbitanten) Kirchenaustrittszahlen vermuten lassen: Das Problem ist der innere Abschied vieler Menschen vom christlichen Glauben. Auf diese Herausforderung gibt es keine schnelle Antwort. In den Kirchen werde ich oft kritisiert: Ich würde Alarmismus verbreiten und keine Lösungen anbieten. Ja, ich dramatisiere, weil ich deutlicher als vielleicht viele andere sehe, was los ist. Und: Ja, ich habe kein schnelles Rezept und fürchte, es gibt keines. Ich denke jedoch: Wenn man die Gefahr sieht, kann man gegensteuern. Deshalb sollten die Kirchen prüfen, welche der Argumente aus der Szene Beachtung finden sollten. Ich denke beispielsweise an die Frage der Staatsleistungen, das kirchliche Sonderarbeitsrecht, an eine angemessene Vertretung Nichtreligiöser in den Rundfunkräten usw. Das sind Fragen, die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind. Der Status quo ist der Öffentlichkeit vielfach nicht mehr vermittelbar. Bei anderen Themen, hier denke ich zum Beispiel an den Religionsunterricht, sollten die Kirchen die Kritik hören und besser erklären, worin der Sinn dieses Unterrichts liegt. Dergleichen erfolgt viel zu wenig.

Ihre Publikation erscheint in der von Horst Groschopp herausgegebenen neuen Reihe "Humanismusperspektiven". Was hat Ihr Buch mit Perspektiven des Humanismus zu tun?

Soweit ich sehe, ist noch längst nicht ausgemacht, was die Szene unter "Humanismus" versteht. Groschopp schreibt an einer Stelle, dass die Pointe des Humanismus nicht Religionskritik ist, sondern Humanität. Wir brauchen, zumal wenn jetzt der Islam in unsere Gesellschaft drängt, neue Perspektiven des Zusammenlebens. Ich denke, da hat die christliche Religion interessante Antworten zu bieten. Wohl verstandener Humanismus ebenfalls. Ich sag es mal in einem Bild: Wir stehen auf unterschiedlichen Inseln und sehen das Wasser, also die Herausforderungen, steigen. Mal sehen, wer auf Dauer die tragfähigeren Antworten hat. Denn am Ende zählt nicht der Streit um irgendwelche Privilegien, sondern allein, wer mehr zur Lebenshilfe beitragen kann.

Das Interview führte Ferdinand Kürnberger für den hpd.

Andreas Fincke: Mit Gott fertig? Konfessionslosigkeit, Atheismus und säkularer Humanismus in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme aus kirchennaher Sicht. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Horst Groschopp. Aschaffenburg 2017, 147 S., Abbbildungen, kartoniert, Abbbildungen, kartoniert, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-281-8 (Humanismusperspektiven, Band 3).