Vier Blickwinkel auf Verschwörungstheorien

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Bernd Harder bei der Kortizes-Vortragsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen".
Bernd Harder bei der Kortizes-Vortragsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen".

Sind Verschwörungstheorien im Aufwind oder waren sie schon immer da? Wie gefährlich sind sie? Wie ist der richtige Umgang mit ihnen? Sollen wir sie ignorieren? Widerlegen? Oder ist sogar Toleranz angesagt, weil Verschwörungstheoretiker manchmal auch echte Verschwörungen aufdecken könnten? Expertenrat und -wissen zu diesen Fragen vermittelte im Juni und Juli die Kortizes-Vortragsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen".

Die alljährliche Veranstaltungsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen" im Nürnberger Planetarium, die vom Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs Kortizes in Kooperation mit den Nürnberger Nachrichten (NN) und der GWUP Mittelfranken veranstaltet wird, widmete sich diesmal in einem Themenschwerpunkt den Verschwörungstheorien. In vier Veranstaltungen von Ende Juni bis Mitte Juli 2019 behandelten Prof. Dr. Michael Butter, Dr. Florian Freistetter, Prof. Dr. Klaus Überla und Bernd Harder verschiedene Aspekte des Phänomens.

Nein, Verschwörungstheoretiker haben nicht manchmal doch recht

Zur Abwechslung soll hier einmal mit dem vierten und letzten Vortrag der Reihe begonnen werden, den Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) am 16. Juli hielt. Unter dem Titel "Alle Übel dieser Welt – Verschwörungstheorien in der Postfaktokalypse" gab der Blogger und Buchautor ("Verschwörungstheorien: Ursachen – Gefahren – Strategien", Alibri 2018) einen Einblick in die Gedankenwelt von Chemtrail- und Reptiloiden-Gläubigen, Flacherdlern sowie jenen, die überzeugt sind, die New Yorker Ereignisse vom 11. September 2001 seien kein islamistischer Terroranschlag, sondern ein "Inside-Job" gewesen.

Mit Hilfe von Ausschnitten aus Fernsehsendungen, Youtube-Videos und Internetdiskussionen erläuterte Harder die Unterschiede zwischen echtem kritischen Denken und dem, was Verschwörungstheoretiker dafür halten. Zwar gebe es so etwas wie verborgene Wahrheiten ja tatsächlich, also Verschwörungen, geheime Absprachen und Skandale, aufgeklärt würden diese aber nicht durch Verschwörungstheoretiker, sondern durch harte, faktenbasierte Arbeit von Journalisten und Fachleuten, die einem Verdacht durch Recherche nachgingen.

Bilder Harder, Fotografin: Karin Becker
Bernd Harder, Fotografin: © Karin Becker

Dass es nie Verschwörungstheoretiker sind, die so etwas wie den Dieselskandal oder die Wahlbeeinflussung durch russische Internettrolle aufdecken, liegt laut Harder daran, dass ihr Denken von ganz anderer Qualität ist. Ihre Behauptungen seien keine zu überprüfenden Hypothesen, sondern Erzählungen, die ein bereits feststehendes Urteil über eine Person oder Gruppe transportierten, der ihrer Meinung nach zu misstrauen sei und der sie böse Absichten und geheime Macht zuschreiben.

Harder widerlegte in diesem Zusammenhang auch die beliebte Behauptung, dass jemand, der vor den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über das ganze Ausmaß der NSA-Überwachung geredet hätte, doch auch als Verschwörungstheoretiker verlacht worden wäre. "Diese Annahme stimmt so nicht, denn tatsächlich hat es ja so jemanden gegeben und er wurde nicht als Verschwörungstheoretiker bezeichnet", erklärte Harder.

Der Journalist und Geheimdienst-Experte James Bamford veröffentlichte bereits seit Anfang der 1980er zahlreiche von Snowden später bestätigte Erkenntnisse über die NSA. Wer also meint, dies sei ein Beispiel für eine Verschwörungstheorie, die sich als wahr herausgestellt hat, der irrt.

Mit Evidenz, Transparenz und Aufklärung gegen Verschwörungstheorien

Beim dritten Termin am 9. Juli sollte ursprünglich Dr. Anna Zakrisson über Verschwörungstheorien der Impfgegner sprechen. Als sie ihren Vortrag krankheitsbedingt absagen musste, konnten die Veranstalter für Thema und Termin den Erlanger Virologen Prof. Dr. Klaus Überla gewinnen, der als Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) über die evidenzbasierten Analysen aufklärte, auf denen die Impfempfehlungen für Deutschland beruhen.

Statt Impf-Verschwörungstheorien und das Verhalten ihrer Anhänger standen an dem Abend also eher die Impfforschung und die darauf beruhende medizinische Entscheidungsfindung im Mittelpunkt. So erklärte Überla etwa, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über Erreger, Krankheit und Impfstoff, über Ziele, Quoten und Umsetzbarkeit in die Beurteilung einfließen, welche Arten von klinischen Studien es gibt, mit denen Wirksamkeit, Effektivität und Sicherheit von Impfstoffen getestet werden und welche Institute und Gremien welche Aufgaben bei ihrer Beurteilung übernehmen.

Prof. Überla, Fotografin: Karin Becker
Prof. Überla, Fotografin: © Karin Becker

Doch auch wenn Überla die Vorwürfe und Unterstellungen der Impfgegner nicht erwähnte, hätte sein Vortrag doch an vielen Stellen eine Antwort an Verschwörungstheoretiker sein können – etwa als er erklärte, dass Entscheidungen der STIKO nur von Ärzten getroffen werden, die in der jeweiligen Sache keine Interessenskonflikte haben, und dass die Ergebnisse im Epidemiologischen Bulletin stets transparent und wissenschaftlich erklärt werden. Auch die Diagramme von Studienergebnissen, die zeigen, dass Impfungen tatsächlich vor Krankheiten bewahren und dabei wesentlich harmloser sind als die Leiden, vor denen sie schützen, wären geeignet, um Mythen der Impfgegner-Szene gezielt zu entkräften.

Doch ganz unerwähnt blieben Impfgegner in seinem Vortrag nicht. "Verschwörungstheorien gefährden das Vertrauen in die Sicherheit vom Impfungen", sagte er und lobte die Aufklärungsarbeit des kritischen Arztes Dr. Jan Oude-Aost, der sich für die von der GWUP und dem Deutschen Konsumentenbund betriebene Webseite eingeimpft.de das leider sehr erfolgreiche Impfgegner-Buch "Impfen Pro & Contra" des anthroposophischen Arztes Martin Hirte vorgenommen und detailliert und kenntnisreich widerlegt hat.

Anders als Impf-Verschwörungstheoretiker wahrscheinlich erwarten würden, äußerte sich Überla eher verhalten gegenüber der Impfpflicht bei Masern, die zum Zeitpunkt des Vortrags noch nicht beschlossen war. Zwar gebe es eine moralische Verpflichtung zum Schutz nicht impfbarer Personen. Er wies jedoch darauf hin, dass zahlreiche andere politische Maßnahmen zu der Erhöhung der Impfquoten und dem Abbau von Impfhindernissen gebe, die noch nicht ausgeschöpft seien. Als lesenswert empfahl er dazu die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates "Impfen als Pflicht?".

Zweifel säen – Verschwörungstheorien hinterfragen

Unter dem Titel "50 Jahre Mondlandung – 50 Jahre Lüge?" behandelte der Astronomieblogger und Sachbuchautor Dr. Florian Freistetter beim zweiten Termin am 2. Juli die beliebte Verschwörungstheorie, die Mondlandung habe nie wirklich stattgefunden. Ein gewisser Ärger darüber, dass dieser vom Literaturwissenschaftler Bill Casing im Jahr 1976 erstmals in die Welt gesetzte Mythos die Aufmerksamkeit vom großen Jubiläum ablenkte, war ihm dabei deutlich anzumerken. "Es war ein historisches Weltereignis, als Menschen das erste Mal einen anderen Himmelskörper betraten, etwas, was noch in den Geschichtsbüchern der Zukunft stehen wird, wenn das meiste andere vergessen ist", betonte er.

Explizit nicht reden wollte er daher auch über die angeblichen Fehler auf den Bildern der Mondlandung, die immer wieder als "Beweise" für die Fälschung des Ereignisses angeführt werden, wie er erklärte. Denn diese "Argumente" der Verschwörungstheoretiker seien seit Jahrzehnten dieselben und schon oft genug widerlegt worden. Die auf der Hand liegende Fragwürdigkeit der Mondlande-Verschwörungstheorie wollte Freistetter vielmehr zeigen, indem er der Frage nachging: Wenn alles nur eine Täuschung gewesen sei, was würde daraus alles folgen?

Dr. Florian Freistetter, Fotograf: Hansjörg Albrecht
Dr. Florian Freistetter, Fotograf: © Hansjörg Albrecht

Diese Art des Durchdenkens der Konsequenzen einer Behauptung entspreche auch dem Umgang der Wissenschaft mit Hypothesen, erklärte er. So sollte etwa allein die riesige Zahl an Personen, die hätten eingeweiht sein müssen, um einem globalen Fernsehpublikum eine Mondlandung vorzutäuschen, Zweifel an der Verschwörungstheorie wecken. Wer hätte all diese angeblichen Mitwisser bis heute kontrollieren sollen – bis hin zu privaten Funkern aus aller Welt, die damals die Kommunikation der Amerikaner mithörten?

Freistetter erinnerte zudem daran, dass es bei der Mondlandung nicht nur um Wissenschaft und Abenteuerlust gegangen ist, sondern mindestens so sehr auch um die Politik des Kalten Krieges. Das Landen der Amerikaner auf dem Mond habe einen jahrzehntelangen Wettlauf zwischen den USA und der damaligen UdSSR beendet. Wenn die Amis gar nicht oben gewesen wären, so Freistetter, dann hätten die Sowjets ihnen doch nicht gratuliert, sondern hätten den Fake auffliegen lassen. Der Glaube an die Verschwörungstheorie lasse sich angesichts dessen nur noch durch die Zusatzannahme retten, dass auch die Russen Teil der Verschwörung gewesen sein müssen. Doch das allein würde alles ad absurdum führen, gab Freistetter zu bedenken.

Verschwörungstheorien als Legitimierung politischer Gewalt

Zum Auftakt der Reihe ging es am 25. Juni in einem Expertengespräch, das Martin Damerow, Redakteur der mitveranstaltenden Nürnberger Nachrichten, mit Prof. Dr. Michael Butter führte, um den Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien, Populismus und Gefahren für die Demokratie. Wie auch in seinem 2018 erschienenen Buch "Nichts ist, wie es scheint", (Suhrkamp) erklärte der US-Literatur- und Kulturgeschichtler auf dem Podium, dass Verschwörungstheorien ein Grund zur Besorgnis sind, auch wenn sie keinesfalls ein neues Phänomen seien. Sie drängten vielmehr als altbekannte Muster aus der Nische zurück in den Mainstream.

Denn wie Butter erläuterte, gehörten Verschwörungstheorien erst seit den 1950ern zu verpönten und verlachten Subkulturen. Vom 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts dagegen sei es noch völlig normal gewesen, dass auch hochrangige Politiker Verschwörungstheorien anhingen. In der US-Geschichte etwa haben sie immer wieder eine wichtige Rolle gespielt – beim Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges wie auch des Bürgerkrieges sowie bei Berufsverboten für tausende angeblich von Moskau gesteuerte US-Bürger in der McCarthy-Ära.

Prof. Butter, Fotografin: Karin Becker
Prof. Butter (r.), Fotografin: © Karin Becker

Verschwörungstheorien seien zwar nicht per se gefährlich, erklärte Butter, er wisse jedenfalls von keinem, der wegen der Verschwörungstheorien um die Mondlandung oder den 11. September umgebracht worden wäre. Die derzeit kursierenden rechtsextremen Verschwörungstheorien hätten jedoch ein großes Gefahrenpotenzial. "Der Attentäter von Christchurch hat in seinem Manifest vom 'Großen Austausch' geredet. Und auch bei dem norwegischen Massenmörder Anders Breivik war das ein Thema, auch wenn es den Begriff noch nicht gab", erklärte Butter.

Kern dieser Verschwörungstheorie, mit der rechtsextremer Terrorismus gerechtfertigt wird, ist der Glaube, eine mächtige, globale Finanzelite wolle Ländern schaden, indem Familienstrukturen mittels Gender-Mainstreaming zerstört und die einheimische Bevölkerung durch Migranten ersetzt wird. Obwohl Verschwörungstheorien meist durch überzeugte Anhänger verbreitet werden, spielen hier auch "Fake News" eine Rolle, wie Butter erklärte, also interessengeleitete Desinformation. So sei in Ungarn etwa durch politische Kampagnen gezielt das Gerücht gestreut worden, George Soros, der US-amerikanische Investor jüdisch-ungarischer Herkunft, lenke Migranten nach Ungarn, um das Land zu destabilisieren. Weil aber inzwischen sogar Ministerpräsident Viktor Orbán selbst überzeugt sei, Soros ziehe in der Flüchtlingskrise die Fäden, habe sich die ursprüngliche Desinformation in eine Verschwörungstheorie verwandelt, so Butter.

Nach der Sommerpause startet Kortizes seine Aktivitäten zunächst mit seinem großen Wochenendsymposium zum Weltbild der modernen Physik.

Der Humanistische Salon geht am Sonntag, 13. Oktober, mit einem Forum der heißen Debatten in seine vierte Runde: Der Bildungsreferent für Humanistische Lebenskunde des HVD Berlin-Brandenburg Dr. Alexander Bischkopf diskutiert mit dem evangelischen Ethik-Professor Hartmut Kress über die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts.

Weitere Veranstaltungen unter www.kortizes.de.„"