(hpd) Der von Thomas Kunze und Thomas Vogel herausgegebene Sammelband "Oh Du, geliebter Führer. Personenkult im 20. und 21. Jahrhundert" präsentiert eine Fülle von Fallstudien zur öffentlichen Huldigung von meist diktatorisch agierenden Politikern. Den überaus interessanten Texten hätte aufgrund ihrer doch mehr beschreibenden Ausrichtung indessen ein Mehr an Analyse und Systematik gut getan.
Mitunter machen politischen Kommentatoren darauf aufmerksam, dass die meisten Politiker wie gesichtslose Bürokraten wirken. Diese Einschätzung ist sicherlich nicht falsch, stehen sie doch häufig nicht für die „Macher“, sondern für die „Verwalter“ von Politik. Ein zu starkes Charisma in Verbindung mit einem Personenkult kann aber auch problematisch sein. Darauf machen die Autoren des Sammelbandes „Oh Du, geliebter Führer. Personenkult im 20. und 21. Jahrhundert“ aufmerksam. Darin fragen die beiden Herausgeber Thomas Kunze und Thomas Vogel. „Wie kann es geschehen, dass sich Millionen Menschen einem System der Alleinherrschaft fügen, so dass sie dem einen – zum Beispiel Hitler - bis in den Untergang folgen, und den anderen – zum Beispiel Stalin - bei seinem Tod hysterisch beweinen? Was sind das für Persönlichkeiten, um die ein Kult bis zur Lächerlichkeit getrieben wird? Wie erklärt sich die paradoxe Mischung aus Charisma, Verehrung und Unterwerfung einerseits sowie Verachtung, Brutalität und Größenwahn andererseits?“ (S. 11f.)
Antworten auf diese und andere Fragen wollen die 28 Beiträge von Historikern und Sozialwissenschaftlern, Journalisten und Publizisten liefern. Die Texte teilen sich dabei in zwei unterschiedlich große Kapitel auf. Die meisten finden sich im ersten Block mit Ausführungen zu den jeweiligen Personen, um die im Laufe ihres Wirkens ein Kult entstand. Es geht dabei um die „großen Diktatoren“ Hitler, Stalin und Mao, um „kommunistische Nachahmer“ wie Ceausescu, die Kim-Dynastie, Hodscha, Tito, Pieck, Ulbricht und Honecker, um „Populisten und Kultfiguren“ wie Atatürk, Evita Peron, Castro, Chavez und Mandela, um „Nationalisten, Militärkarrieristen und religiöse Führer“ wie Trujillo, Khomeini, Gaddafi, Ben Ali und Mubarak und Nijasow und „Monarchen und einen selbsternannten Kaiser“ wie Wilhelm II., Herzogin Kate und Bokassa I. Erst im kürzeren zweiten Teil finden sich Analysen zu Personenkult, Medien und Demokratie, die Führer-Monumente im Sozialismus Kunst und Personenkult in Deutschland sowie die Unsterblichkeit der Personenkulte.
Die einzelnen Texte stammen von guten Kennern der Materie. Gleichwohl handelt es sich meist eher um journalistische und weniger um wissenschaftliche Texte. Dies mag die Lesbarkeit der Darstellungen erleichtern, aber steht nicht für die Systematik einer Erörterung. So bringen etwa die Abhandlungen zu Hitler, Mao und Stalin dem Leser kaum neue Erkenntnisse. Anders verhält es sich mit den Beiträgen zu anderen Diktatoren oder Heilsfiguren, worüber es in der deutschsprachigen Literatur an einschlägigen Informationen mangelt. Die einzelnen Texte verfügen über keine Zwischenüberschriften. Dies ist nicht nur ein formaler kritischer Hinweis, denn häufig reihen die Autoren einzelne Informationen und Kommentierungen nur aneinander, ohne einer klaren Fragestellung zu folgen. Dies ist angesichts der präsentierten Beispiele und Reflexionen zwar mitunter erkenntnisfördernd und überlegenswert. Gleichwohl hätte man sich doch insgesamt mehr an Systematik auch und gerade in Richtung der von den Herausgebern präsentierten Problematik gewünscht.
Man findet aber sehr wohl interessante Beobachtungen und Gedanken: So wird etwa beim Stalin-Portrait deutlich, dass die gehuldigte Person keineswegs über „persönliche Ausstrahlung“ (S. 46) verfügen muss. Mitunter können sich Diktatoren auch durch ihre wirklichkeitsfremde Perspektive mit dem selbstgewählten Kult direkt lächerlich machen, wofür etwa Honeckers „mit der Jagd“ (S. 145) von Hasen verbundene Darstellung als mächtiger Mann steht. Bemerkenswert sind auch die vergleichenden Betrachtungen etwa zu Castro und Chavez oder zu Gaddafi, Ben Ali und Mubarak. Mitunter irritiert aber Auswahl und Zuteilung: Mit Nelson Mandela taucht der einzige demokratische Politiker auf. Was ist mit dem Personenkult um Willy Brandt oder Barack Obama? Wichtig ist die Betonung der Unterschiede von einschlägigen Auffassungen gegenüber Politikern in Demokratien und Diktaturen (vgl. S. 304). Aber insgesamt hätte man sich mehr Analysen in dem ansonsten überaus lesenswerten Sammelband gewünscht.
Armin Pfahl-Traughber
Thomas Kunze/Thomas Vogel (Hrsg.), Oh Du, geliebter Führer. Personenkult im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2013 (Ch. Links-Verlag), 335 S., 19,90 €