Eine kurze Nachlese zur Frankfurter Buchmesse 2019

Die Internationalität von Literatur

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Der Autor und der Preisträger: Dr. Thomas Hocke (l.) und Sasa Stanisic (r.).
Der Autor und der Preisträger: Dr. Thomas Hocke (l.) und Sasa Stanisic (r.).

Nein, so außergewöhnlich war die diesjährige Buchmesse in Frankfurt nicht, kein herausragendes Thema herrschte vor, vielleicht die Diskussion um Peter Handke, einem der beiden diesjährigen Nobelpreisträger, aber das hielt sich in Grenzen.

Rezeptionsgemäß ist das in ZEITen abgehandelt worden, in sehr vielen Feuilletons also, der Suhrkamp-Verlag hat pflichtschuldig seinem Autor in anderen Zeitungen und am Stand gratuliert, die andere Nobelpreisträgerin, Olga Tokarczuk, war präsent bei ihrem Verlag, dem Kampa-Verlag, der sich der unverhofften Ehrung aber auch würdig erwies (und schnell nachdruckte, soweit das überhaupt möglich war) und die Öffentlich-Rechtlichen konnten das in ihren Messeplanungen schnell berücksichtigen.

Natürlich war der diesjährige Buchpreisträger, Saša Stanišić, da, der schon einmal, das war vor fünf Jahren auf der Leipziger Buchmesse, den damaligen Preis erhielt. Vom Zauber der Sprachgewalt dieses Autoren, der mit vierzehn Jahren aus Bosnien in die Bundesrepublik geflüchtet war und damals überhaupt nicht deutsch sprechen konnte, wird man noch viel mitbekommen. Ein akribischer Beobachter seiner Zeit. Die Resonanz auf seine Bemerkung bei der Verleihung zu Handke ist enorm groß. Die Meinung in der Öffentlichkeit über den Nobelpreisträger scheint sich zu wandeln – ich persönlich glaube selbst, dass Handke den Preis nicht entgegennimmt.

Ja, der König war auch da, der von Norwegen, Mette-Marit ebenfalls, die Prinzessin, und die Ministerpräsidentin Norwegens, alles Protokollroutine, wenn man einem Gastland die Ehre erweist, sich besonders zu präsentieren, ist das so üblich. Aber die Präsentation der Norweger überraschte dann doch ein wenig: nicht überbordend, einfach, schlicht, aber leise nachhaltig, gerade deswegen. So sympathisch hat sich selten ein Gastland dargestellt, sehr angenehm und ruhig in einer eigenen Halle. Und die meisten der bekannten norwegischen Autoren waren da, die, deren Bücher schon in deutscher Sprache übersetzt sind, aber auch die unbekannten, die es erst zu entdecken gilt.

Auf der Frankfurter Buchmesse, Foto: Th. Hocke
Auf der Frankfurter Buchmesse, Foto: Th. Hocke

Offizielles Fazit der Buchmesse, trockene Statistik: 100 Autoren aus Norwegen waren insgesamt anwesend – über 500 Neuerscheinungen sind innerhalb eines Jahres in 217 deutschsprachigen Verlagen erschienen, seit bekannt war, dass Norwegen das Gastland 2019 sein würde.

Protokollgemäß lief auch der übliche Festakt ab, zu dem die Messeleitung eingeladen hatte, alles so protokollgemäß, dass nicht einmal der Oberbürgermeister von Frankfurt reden durfte – aber das steht auf einem anderen Blatt, warum …

Jedenfalls langweilige Eröffnungsroutine – in Leipzig steht immerhin noch das Leipziger Gewandhausorchester auf dem Programm.

"Ich drucke das, was ich will". Dieses Zitat stammt von einem der bedeutendsten Verleger, Julius Campe, dem zu Ehren der Julius-Campe-Preis zum 15. Bestehen des Verlagshauses Hoffmann & Campe 1956 gestiftet wurde. In diesem Jahr ging er an Mara Delius, der Leiterin der Literarischen Welt (bei der WELT). Campe hatte den Verlag damals zu einem Zentrum oppositioneller Literatur ausgebaut, heute wird der Preis als "Preis der Kritik" an Persönlichkeiten vergeben, die sich auf "herausragende Weise literaturkritische und literaturvermittelnde Verdienste" erworben haben. Mara Delius in einem Interview kurz vor der Preisverleihung: Ihre größte Herausforderung der Kritik sei die Verunsicherung und der Selbstzweifel:

"Ich beobachte bei einigen Kollegen die Neigung, schnell in das Bedeutungsverlust-Karaoke des Betriebs einzustimmen und, als Konsequenz davon, sich selbst entweder etwas zu ernst zu nehmen oder sich selbst nicht mehr ganz ernst zu nehmen … .

Heute kann ich jeden meiner Texte unmittelbar live auswerten lassen: wie viele Leser er hat, was gelesen wird, was nicht, wer liest, die Ordnung der Gedanken durch den Ausdruck, die Deadline verschwindet."

Mara Delius ist keine Unbekannte in der Literaturszene, ihre eigenen Artikel in der Frankfurter Zeitung früher, seit zwei Jahren bei der WELT, und die Präsentation anderer Literaten und Kommentierung stehen nachhaltig für einen Stil der Literaturkritik, der vieles nachgesagt wird, nur nicht die Vertrautheit mit dem Text der Literaten selbst – Mara Delius aber skizziert eben anders, sie hat diesen Preis wohlverdient für ihre Kenntnis erhalten.

Der Philosoph und Buchautor Peter Sloterdijk hat die Laudatio gehalten und die Internationalität ihrer literarischen Studien zu Amerikanistik wie Afrikanistik gewürdigt. Ein Privileg sei es, die Welt der verschiedenen Literaturen zu beobachten, bemerkte er – sich selbst natürlich auch einschließend – und zitierte vor allem Imre Kertész, dessen Beobachtungen zum schwierigen Verhältnis von Schriftsteller und Publikum jedem Autor aus eigener Erfahrung sicher geläufig sind. Sloterdijk ist zwar weniger auf die Geehrte eingegangen, was er dann aber zum Schluss bemerkte, sich dann launig bei ihr entschuldigte und bat, dass sie ihm verzeihen möge.

Mara Delius hat das sicher vorausgesehen, wie sie ferner in dem schon einmal angeführten Interview erklärt hat …

"Man muss sein kritisches Gefühl anders justieren als das in der Generation vor meiner …. Die größte Herausforderung ist, Literatur und Lebenswelt miteinander in ein intellektuelles Gespräch zu bringen, ohne dass es die Homestorysierung der Kritik bedeutet."

An Internationalität ist die der Frankfurter Buchmesse kaum zu überbieten, die Statistik sagt: 7.450 Aussteller (voriges Jahr 7.503) aus 104 Ländern konnten fast 303.000 Besucher faszinieren. Die größte Buchmesse der Welt, immer wieder neu entdeckt vom Publikum – diesmal waren an den Besuchertagen auch viele verkleidete Besucher in Manga- und Animeverkleidungen präsent, was bei der Leipziger Buchmesse schon über 50 Prozent der Besuchermenge ausmacht.

Autoren natürlich waren auch da – sie dürfen natürlich nicht vergessen werden wegen eigener Ansichten über anderer Aussichten, halten sie doch das Verlagswesen überhaupt im Gange. Die, die im vorigen Jahr was Neues publizierten, haben ja im Allgemeinen immer das Nachsehen …

Beispielbild
Deniz Yücel, Foto: Th. Hocke

Publikumszulauf hatten natürlich Ulrich Tukur, Ulrich Wickert, Raoul Schrott, Ken Follett, Sebastian Fitzek, Sascha Lobo oder zum Beispiel Deniz Yücel, der in einem Buch akribisch seine Tage im Gefängnis von Erdogans Gefolgsleuten in der Türkei nachzeichnet, oder Thomas Gottschalk, dem auch hier Besuchermengen zuströmten, oder Luise Neubauer, die die Klimapolitik in einem Streitgespräch geißelte … Die Lister derer, die Entscheidendes zu sagen haben, ist lang. Manchmal begegnete man ihnen fortwährend, weil sie zu Veranstaltungsrunden beim Ersten, beim Zweiten, bei arte oder bei den Verlagen selbst zu Anmoderationen anderer ihre eigenen Versionen zum Lauf der Welt unterstützen konnten.

Die Buchmesse hat natürlich ein eigens Korsett, das die Größe eines Verlagsstandes regelt – die Größe allein ist nicht entscheidend, die Originalität ist’s. Wenn viele Verlage auf Herkömmliches schwören allein wegen der Wiedererkennbarkeit, manche allein fallen auf wegen ihrer anderen Präsentationsform, wie zum Beispiel der Kein&Aber-Verlag …

Manche Autoren haben sich auch ein wenig gewandelt: Wolfgang Herles, der politische Journalist (früher ZDF-Redakteur als Studioleiter in Bonn, dann "aspekte") versucht sich an einem "Kochbuch", Doris Dörrie, die Filmemacherin, macht sich Gedanken über das Schreiben. Die Erwähnung dieser Namen ist natürlich selektiv – so wie eben die Literatur auch. Ich habe nicht alle getroffen.