Bei einem dritten Szenario würden Oligarchen eingreifen müssen. Seitens der EU müssten ihnen gegenüber bedeutende wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht werden und damit deren Bereitschaft erkauft werden, die jetzige Regierung zum Rücktritt zu bewegen, was tatsächlich in deren Macht steht. Aber es müssten auch Garantien gegeben werden, in der Vergangenheit vorgenommene Geschäfte von einer neuen Regierung nicht rückabwickeln zu lassen. Wie Putin auf diese Intervention der ukrainischen Oligarchen reagieren könnte, kann nur vermutet werden, denn er verfolgt selber größte wirtschaftliche Interessen in der Ukraine.
Eine wirklich friedliche Lösung erscheint also utopisch. Irgendwer oder irgendwelche Gruppierung wird gegen eine Lösung, welche immer es auch sein wird, aufbegehren. Die Demonstranten forderten zu Beginn der Proteste von Janukowitsch, das Assoziierungs-Abkommen in Vilnius zu unterschreiben. Jetzt lautet der Hauptslogan "Impeachment". Viele sind entschlossen, solange zu demonstrieren, bis diese Forderung erfüllt ist. Die brutalen Übergriffe auf Demonstranten und Journalisten haben sie in diesem Willen bestärkt. Dazu noch die fadenscheinigen Stellungnahmen aus offiziellen staatlichen Stellen, die das Fass zum Überlaufen bringen. Es wird nicht nur Sieger geben können. Die Besiegten werden u. a. politische Parteien, Oligarchen, Kirchen sein ... und die werden dies nicht tatenlos hinnehmen. Die Sache mit der Spirale ...
Sollte wider Erwarten doch die Vernunft bei vielen Beteiligten obsiegen, dann muss man einen Ausblick wagen: Was wird sich ändern, wenn eine andere Regierung gestellt sein wird?
Das Assoziierungs-Abkommen wird unterschrieben und in Kraft treten, mitsamt aller bislang noch nicht thematisierten Probleme, die es mit sich bringen wird. Die ukrainische Wirtschaft liegt am Boden. Arbeitsmoral und Geschäftsethik unterscheiden sich erheblich von den in der EU bekannten. Die Anpassung rechtlicher Normen an EU-Maßstäbe kann nicht reibungslos vonstatten gehen, da davon existentielle Interessen von einigen wenigen Industriellen betroffen sind und diese ihre Art Lobbyismus in Bewegung setzen werden. Die Kämpfe um Posten und Pöstchen in Verwaltung und Wirtschaft werden wieder von neuem losgetreten werden, mit umgekehrten Vorzeichen. Eine Welle von Verhaftungen wird übers Land rollen, neue gegen alte Regierungsmitglieder und -sympathisanten.
Neues Spiel, neues Glück?
Dennoch, trotz oder gar wegen der genannten Gefahren, akuten und in naher Zukunft zu befürchtenden, muss die jetzige Opposition agieren und sich anders positionieren als bislang.
Es reicht nicht mehr, sich nur in dem Punkt einig zu sein, dass die Regierung abtreten muss. Eine Perspektive für die Zeit danach muss gegeben werden. Im Klartext bedeutet dies: Ein Gegenkandidat resp. Nachfolger muss benannt werden. Die Menschen, die weiterhin tapfer auf den Straßen und Plätzen in vielen Teilen der Ukraine demonstrieren, sind politisch orientierungslos. Keinem der drei Oppositionsführer wird eine Präsidentschaft zugetraut. Das scheinen auch die Oppositionsführer selber zu wissen. Es muss also ein Konsenskandidat aus dem Hut gezaubert werden. Einer, der sowohl der Opposition als auch einem Großteil der Bevölkerung vermittelbar ist.
Peter Poroschenko, Milliardär und ehemaliger Verteidigungsminister, könnte dieser Mann sein. Seit nunmehr gut zwei Wochen ist er häufig auf der Bühne auf dem Maidan zu sehen und zu hören. Er war einer der Hauptakteure der Orangen Revolution 2004 und ist - außer vielleicht Luzenko, der ehemalige Innenminister – der einzige der ganzen Riege, der in weiten Bevölkerungsteilen noch Kredit hat. Ihn als Nachfolger Janukowitschs zu präsentieren, könnte ein erster Schritt zu einem Lösungsansatz sein.
Dazu gehört Mut. Die Opposition muss den Mut aufbringen, ihn als gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten vorzustellen, trotz der Uneinigkeit in etlichen Punkten innerhalb der drei Oppositionsparteien. Und Poroschenko muss den Mut haben, anzunehmen. Vom Zeitpunkt seiner offiziellen Vorstellung an ist er erhöhter Lebensgefahr ausgesetzt.