KIEW. (hpd) Am Donnerstag, dem 17. April 2014, haben sich Vertreter der Europäischen Union, den USA, der Ukraine und Russlands zu einem Krisengipfel in Genf getroffen. Das Resultat dieses Gespräches wurde in einem Abkommen festgelegt, das man online unter Geneva Statement on Ukraine (PDF) nachlesen kann. Das Dokument ist bislang nur in englischer Sprache abrufbar.
Ein Kommentar von Daniel M. Porcedda
Das Treffen zeitigte ein äußerst schwaches Ergebnis. Nachfolgend eine Kurz-Analyse des Abkommens.
“All sides must refrain from any violence, intimidation or provocative actions. Theparticipants strongly condemned and rejected all expressions of extremism, racism and religious intolerance, including anti-semitism.”
Ein Allgemeinplatz. Jede Seite wird behaupten, dass die Extremisten jeweils die anderen sind. Vor allem aber: Separatisten sind wohl ausgenommen, da nicht gesondert aufgeführt. Und die separatistische Bewegung ist zur Zeit das Hauptproblem in der Ostukraine.
“All illegal armed groups must be disarmed; all illegally seized buildings must be returned to legitimate owners; all illegally occupied streets, squares and other public places in Ukrainian cities and towns must be vacated.”
Die Entwaffnung illegaler Gruppen betrifft in erster Linie den rechten Sektor in der Ukraine. Die grünen und sonstfarbigen Männleins in der Ostukraine werden davon nicht berührt sein, denn: Putin wird wohl kaum eine Entwaffnung dieser Gruppen veranlassen, ansonsten er ja damit zugeben würde, dass diese bewaffneten Gruppen von Russland aus gesteuert sind. Die Bewaffneten auf der Krim wird dieser Teil des Abkommens ebenfalls nicht betreffen, da die Krim für Putin nicht mehr zur Ukraine gehört, dieses Ukraine-Abkommen ergo für die Krim irrelevant ist.
Der kritischste Punkt des Abkommens jedoch betrifft die Räumung von illegal okkupierten Straßen und Plätzen. Diesem Abkommen nach müsste also ebenfalls der Maidan geräumt werden. Dabei wurde vom Maidan-Rat vor Wochen bereits angekündigt, den Maidan mindestens bis nach den Wahlergebnissen weiterzuführen. Der Maidan ist nicht nur ein Versammlungsort für Demonstranten, er ist eine Institution.
Hier ist ein Konflikt programmiert, der Putin direkt in die Hände spielen wird. Die Menschen auf dem Maidan werden selbstverständlich eine Räumung des Platzes nicht akzeptieren. Der Maidan symbolisiert für viele Menschen die Kontrollinstanz über die ukrainische Regierung. Die ukrainische Regierung, so wird es ausgelegt werden, kann sich somit einer unerwünschten Kontrolle entziehen, sich dabei auf das Genfer Abkommen berufend. Es steht zu befürchten, dass der Protest massiv aufflammen wird und Großdemonstrationen stattfinden werden. Putin wiederum wird dies als Nicht-Einhaltung des Abkommens seitens der Ukraine auslegen und darin einen Grund sehen, seinerseits ebenfalls Teile des Abkommens nicht zu erfüllen. Damit wäre das Abkommen obsolet.
Es gäbe allerdings eine Möglichkeit, aus dieser Zwickmühle zum Teil herauszufinden: Der Maidan, der Platz der Unabhängigkeit also, sowie ein Teil der Kreschtschatik würde von der Kiewer Stadtverwaltung als Protestort legalisiert werden. Massendemonstrationen wütender Menschen könnten so verhindert werden.
Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass Putin die Legalisierung der Proteste als Finte seitens der ukrainischen Regierung erklären wird, um Teile des Abkommens zu umgehen. Die Wahl der ukrainischen Regierung ist ergo zwischen: Ärger mit der eigenen Bevölkerung (und den daraus entstehenden Konsequenzen) oder Verdacht der Umgehung des Abkommens, was die Russische Föderation alsbald als Grund für weitere Aktionen ihrerseits nutzen würde.
“Amnesty will be granted to protestors and to those who have left buildings and other public places and surrendered weapons …”
Dies bedeutet nichts anderes, als dass all die Menschen, die den Maidan nicht räumen werden, umgehend zu Kriminellen deklariert werden und als solche von der Staatsgewalt behandelt werden können. Also abgeführt, verhaftet, verurteilt werden. Genau diese Situation hatten die Menschen auf dem Maidan bereits zu Zeiten, als Janukowitsch Präsident war.
Der Unmut vieler Menschen könnte zu einer neuen Gewaltwelle in Kiew führen. Diese Situation wäre geeignet für gewaltbereite Gruppen, wieder für Unruhe zu sorgen. Dies ist insofern beunruhigend, da der rechte Sektor und andere lose Verbindungen sich wieder einmal der Proteste bedienen würden um z.B. das Parlament zu stürmen, sich Gefechte mit der Polizei zu liefern, Chaos vom Zaun zu brechen. So wie bereits im Februar wäre eine solche Entwicklung wieder Wasser auf Moskaus Mühlen. Sollte an den Gerüchten etwas dran sein, dass Moskau die Ausschreitungen in Kiew mittels rechtem Sektor und anderen Gruppen angezettelt haben sollte, dürfte eine Wiederholung dieses Szenarios als sicher gelten.
Leider enthält das Genfer Abkommen keinen Passus über ein mögliches Eingreifen Russlands in der Ukraine zum Schutz ethnischer Russen und Wiederherstellung der Ordnung in der Ukraine. Dies sind nämlich Putins Haupt-Aufhänger für seine bisherige Einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine, auch wenn Putin eine solche Einmischung bislang vehement leugnet.
Mankos des Abkommens
Die Krim blieb außen vor, der Völkerrechtsbruch somit akzeptiert und die Annektierung stillschweigend hingenommen. Die Krim-Tataren und die auf der Krim lebenden Ukrainer fanden nicht einmal Erwähnung.
Kein Wort über die Grundausrichtung der expansiven Politik Putins; die von Russland unterstützten oder gar orchestrierten Destabilisierungsaktionen; über die eingeschleusten Provokateure Russlands in der Ukraine; über die grünen und die schwarzen Männlein auf der Krim und in der Ostukraine; über die massive Militärpräsenz Russlands an den ukrainischen Grenzen; über die Kooperation Russlands mit rechten Parteien der EU; über die Ernennung Aksjonows auf der Krim als Gouverneur, eines nachweislich kriminellen Elements der auf den Sanktionslisten von USA und EU geführt wird; über die offensichtlichen Unwahrheiten Putins sowie des russischen Außenministers Lawrows; kein Wort über ukrainische Politiker die in Russland Zuflucht gefunden haben jedoch von der ukrainischen Justiz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Fahndung ausgeschrieben sind u.a.m.
Das gestrige Gespräch entspricht genau dem, was immer mehr Bürger in der EU und der Ukraine sich unter Diplomatie vorstellen: Inhaltsloses Gerede, Weichspülen von völkerrechtlichen Verletzungen, vage und unkonkrete Beschlüsse, Zeitverlust !
Quintessenz des Abkommens
Das Genfer Abkommen ist nicht mehr als ein Alibi-Abkommen, das über das Nichterreichen von konkreten und verbindlichen Abmachungen hinwegtäuschen soll.
Vor allem jedoch, und das ist das wirklich Tragische: Es werden keine Perspektiven zur Lösung der Krise aufgezeigt. Die Krise betrifft Europa, eine EU, deren jahrzehntelange Friedenspolitik nunmehr durch Russland konterkariert, ja außer Kraft gesetzt wurde. Die Folgen sind unabsehbar.
Putin kann man getrost als Sieger dieser Runde betrachten. Und er wird dies auch in Russland als ebensolcher verkaufen. Ein weiteres Armutszeugnis vor allem für die EU. Aber auch die USA dürfte keinen Grund haben, stolz auf ihre gestrige Leistung zu sein.
Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn hat Recht behalten mit seiner in der Anne Will Talkshow geäußerten Vermutung, dieses Treffen werde zu keinen großen Ergebnissen führen.
Das Genfer Abkommen hat die Lage in der Ukraine keineswegs entschärft. Putin spielte in Unterzahl, eins gegen drei, und hat die Partie dennoch gewonnen.