In dürren Worten wird den Leserinnen und Lesern der Web-Seite des Fonds Heimerziehung mitgeteilt, dass der Lenkungsausschuss Ost festgestellt hat, dass es zurzeit keine Möglichkeiten gäbe, „aus dem bestehenden Fonds materielle Hilfen oder Rentenersatzleistungen in Anspruch zu nehmen".
Der Fonds West ist davon nicht betroffen, sodass in der Berliner ABeH zwei Türen existieren, eine für die ehemaligen Heimkinder aus dem Westen und eine für die Betroffenen aus dem Osten. Wer durch die West-Tür eintreten darf, hat Glück. Der andere Mensch erlebt neues Unrecht, durchlebt eine Wiederholung seiner Abwertung als Mensch durch die gesellschaftlich und politisch Verantwortlichen der Gegenwart.
Die Ministerpräsidenten der Neuen Bundesländer haben vom Finanzministerium einen Prüfauftrag bezüglich einer Lösung dieses Sachverhaltes für das erste Quartal 2014 erhalten. Diesem Auftrag liegt als zu prüfende Summe eine Einschätzung der Bundesregierung und der neuen Bundesländer zugrunde, wonach der wahre Finanzbedarf des Fonds bei 200 Millionen Euro liegen dürfte.
Wir können es nicht lassen: Wir schaffen neue Grenzen
Was das für die ABeH bedeutet, hat der kommissarische Leiter in einem Interview im Dezember 2013 mit dem RBB beschrieben. In wenigen Worten zusammengefasst bedeute dies, dass es zu Ungleichheit im Umgang mit den ehemaligen Heimkindern führen dürfte und zwar mit unabsehbaren Folgeschäden bei den ohnehin traumatisierten ehemaligen Heimkindern und dieses Kalkül könne die politischen Entscheidungsträger nicht kalt lassen. Hier könnte nur eine Aufstockung des Fonds Ost abhelfen bzw. diese antizipierte Konstellation des Grauens abwenden.
Die Fondslösung als Störung gewohnter Feindbilder
An dieser Schnittstelle des Prozesses zeigt sich nun noch etwas anderes als nur ein unvorhergesehener finanzieller "Engpass", denn aus meiner Sicht zeigt sich hier, dass die Fondslösung von vielen Beteiligten von vorneherein abgelehnt wurde bzw. unerwünscht war. Es wurde dem Fonds auch von vielen Interessengruppen der ehemaligen Heimkinder das moralische und finanzielle Potenzial abgesprochen, eine wirkliche Entschädigung zu ermöglichen, sodass zumindest eine weitverbreitete Skepsis vorhanden war, die sich in unzähligen thematischen Foren widerspiegelt.
Vergleichbares, nur politisch anders motiviert, lässt sich von den informellen Statements der zuständigen Finanzminister der Neuen Bundesländer sagen, denn die Fondslösung wird als gescheitert betrachtet, weil die Leistungskriterien für die Antragsteller_innen zu weitgehend waren.
Infolgedessen wird nicht etwa eine Aufstockung des Fonds erörtert, sondern das Errichten eines neuen Fonds Ost mit deutlich veränderten Leistungskriterien, sodass von einer Senkung der Anträge und somit von einem geringeren Bedarf ausgegangen werden könnte. Eine Rechnung zu Lasten der ehemaligen Heimkinder.
Inwieweit hier tatsächlich eine unterschiedliche Haltung zu staatlichen Leistungen zwischen West und Ost besteht, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall gab es in Berlin etwa im Verhältnis eins zu drei mehr Antragsteller_innen Fonds Ost.
Im Umgang mit der aktuellen Krise werden nun die alten Gräben wieder aufgerissen und längst überwunden geglaubte Interessengegensätze im Umgang mit der Geschichte sowohl in der Aufarbeitung als auch in der Gegenwartsbewältigung der Geschichte der Heimerziehung in Deutschland erkennbar.
Regionale Perspektive: Start und Stopp in Berlin
Die regionale Berliner Perspektive auf den komplexen Prozess der Umsetzung der Fondslösung wird deutlicher, wenn ich die Berliner Situation in ihrer Entwicklung knapp skizziere.
In Berlin gab es von Anfang an dass politisch gewollte Miteinander von Behörden und Betroffenen. Dazu haben im Wesentlichen die Akteurinnen und Akteure der Berliner Regionalgruppe Ehemaliger Heimkinder (seit 2008) und die fachpolitische Ebene der zuständigen Senatsverwaltung beigetragen.
Allerdings war für den besonderen Berliner Weg von allerhöchster Bedeutung, dass die wissenschaftliche Begleitung durch kompetente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfolgte, die unter anderen mit ihren Studien zur "Geschichte der Heimerziehung in Berlin" mit konzeptionellen Vorschlägen halfen, die Arbeit der Beteiligten zu koordinieren. Die vorgesehene ABeH sollte anders als in anderen Bundesländern nicht von einer Behörde organisiert und verwaltet werden, sondern von einem freien Träger in Kooperation mit ehemaligen Heimkindern und der zuständigen Senatsverwaltung. Das war ein mutiges Unternehmen, denn es gab nichts Vergleichbares, also keinerlei Erfahrungen.
Mit dem "Verband für Sozialkulturelle Arbeit" (heute: GSkA) wurde ein freier Träger gefunden, der sich an dem regulären und üblichen Vergabeverfahren für Leistungen (VOL/A) beteiligte und nach entsprechender Prüfung auch durch Mitsprache der Betroffenen den Zuschlag für zwei Jahre, also bis zum 31.12.2013 im Rahmen eines Vertrages bekommen hat.
Die anfängliche Ausstattung der ABeH unter der Geschäftsleitung von Birgit Monteiro lässt allerdings den Schluss zu, dass hier von der nunmehr zuständigen Abteilung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft halbherzig vorgegangen wurde. (Sven Nachmann und Monika Schipmann, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Leiter Abtlg. III)
In den Räumen eines Nachbarschaftshauses wurde mit drei Mitarbeitern die Arbeit im Januar 2012 begonnen. Das war eine absehbare Unterausstattung. Die vorhandene Konzeption der ABeH sah vor, dass es sowohl eine wissenschaftliche Begleitung als auch neben der administrativen Verwaltung und Beratung vor allem eine psycho-soziale Beratung geben sollte.
Die konkrete Arbeit in der ABeH führte dazu, dass jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin alle drei Bereiche abdecken sollte. Das erwies sich als undurchführbar. Hier fehlte der professionelle Umgang mit den eigenen Ansprüchen und den vorgefundenen Bedürfnissen der Antragsteller_innen.
Dabei wurde die Leiterin der ABeH als "Projektleitung" ausgewiesen, was dem ganzen Unternehmen von Anfang an einen gewollten Projektcharakter verlieh. Infolgedessen wurde der ABeH und dem Träger eine projektbezogene zeitliche Begrenzung von zwei Jahren zugewiesen, obwohl die Antragsdauer für den Fonds West drei Jahre umfasste. Ein merkwürdiges Unterfangen, was den Beteiligten öffentlich nicht erklärt wurde.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass dem "Projekt" aber eben nicht die notwendigen Entscheidungskompetenzen übertragen worden sind, sodass freie Mitarbeiter mit befristeten Einjahresverträgen zusammen mit ehemaligen Heimkindern und abgestelltem festangestelltem Personal der Senatsverwaltung arbeiten sollten.
Die Projektleiterin Daniela Gerstner wurde in diesem Kontext aufgerieben.
Hinzu kamen die räumlichen Gegebenheiten, die nicht wirklich für individuelle Beratungen gegeben waren. Es war nicht möglich, mit einem Antragsteller, einer Antragstellerin allein in einem Büro ins Gespräch zu kommen.
Den Betroffenen wurde für ihre Beratung zwar ein formaler Einstieg in Form eines Dienstags-Treffs gegeben, aber die Beraterinnen und Berater gerieten recht schnell in eine Gefühlslage, die von Experten im Umgang mit traumatisierten Menschen schnell als Re-Traumatisierungs-Erlebnisse beschrieben worden sind. Es war weder von der Geschäftsleiterin, Frau Monteiro, noch der Senatsverwaltung vorgesehen und es gab auch keine Versuche, diesen Prozess zumindest auf der Ebene von Supervisionen zu steuern.