Dem entsprach auch die technische Ausstattung. Eiligst herbeigeschaffte ausgediente PCs, nicht angemessenes Mobiliar wie fehlende Sitzgelegenheiten und Schreibtische ließen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Unterstützung der Arbeit der ABeH aufkommen.
Hinzu kam eine Fülle von ungeklärten Fragen, worin denn nun eigentlich die Arbeit der ABeH bestehen sollte. Fest stand zwar, dass es um Anträge ging, die dann an die zentrale Stelle des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA in Köln) weitergeleitet werden sollten, aber es fehlte an dem Mindeststandard solcher Anträge.
Es fehlten Anträge, es fehlten Kriterien, es fehlten vergleichbare Vorgaben im Rahmen der Fondslösung. Im Raum stand stattdessen ganz konkret eine Verzichtserklärung der Antragsstellerinnen und Antragssteller auf weitere Leistungen aus dem Fonds, wenn sie einen Antrag gestellt hatten.
Als ob nicht schon das Wort Verzicht bei jedem ehemaligen Heimkind nicht als brutaler Zynismus aufgefasst werden musste, denn Verzicht auf allen Ebenen gehörte zum Leben eines Menschen im Heim.
An dieser Misere in der Konstruktion der ABeH änderte auch der Umzug in eigens angemietete größere Räume und die personelle Aufstockung nichts Wesentliches.
Was sich mit dem Umzug in andere Räumlichkeiten änderte, betraf die neue, lediglich kommissarische Leitung, Herbert Scherer, die personelle Aufstockung und damit die Arbeitsfähigkeit der ABeH sowie die Anzahl der Anträge und damit die Anzahl der abgeschlossenen Vereinbarungen (etwa 2700). Die Mitarbeit der selbst traumatisierten Betroffenen in der Telefonberatung und im Dienstagscafe blieb ohne Supervision erhalten.
Dennoch entstand ein strukturelles Dilemma, denn die Antragsteller mussten ja zunächst einen ersten Termin in der ABeH bekommen. Die telefonische Terminvergabe erwies sich in dieser Konstruktion als Problem, denn Wartezeiten von über einem Jahr ohne eine schriftliche Bestätigung wurden zum Regelfall. Das war unzumutbar.
Der Fachbeirat als politisches Ornament
Der Fachbeirat zur Begleitung der ABeH, der sich im Februar 2012 konstituierte, hatte zwar in seiner Zusammensetzung den Eindruck erwecken können, dass der ehemals gemeinsame politische Wille zur Kooperation zwischen Behörde, dem freien Träger und den Betroffenen die Basis für die Fachberatung bilden sollte, weshalb drei Betroffene aus dem Osten und drei aus dem Westen auch eine stabile Grundlage für diese Transparenz und Mitsprache herzustellen wusste. In der konkreten Fachberatung zeigte sich jedoch, dass die Mitgestaltungsmöglichkeiten an der Arbeit innerhalb der ABeH sehr begrenzt waren.
Es dauerte z.B. Monate, bis die Verzichtserklärung vom Tisch war. Der Fachbeirat hatte hier zwar von Anfang an eine deutliche Position bezogen, aber ohne die Mühen der Gremienarbeit hätte sich nichts bewegt. Der Berliner Ombudsmann im Lenkungsausschuss hat erheblich dazu beigetragen, dass die Verzichtserklärung von Seiten des BAFzA aufgegeben worden ist.
Es dauerte Monate, bis der Bedarf nach psycho-sozialer Beratung der Antragsteller_innen als ernstzunehmendes Thema von allen Beteiligten verstanden wurde. Allerdings folgte dem nichts.
Von den betroffenen ehemaligen Heimkindern im Fachbeirat wurden mit engagierter Regelmäßigkeit Anträge formuliert, wonach sich die Senatsverwaltung und im weitesten Sinne die politische Klasse in den Parlamenten mit den Fragen beschäftigen sollten, die in den Verwaltungsvereinbarungen zur Fondslösung ungeklärt geblieben sind. Diese Fragen betrafen zum Beispiel:
- Der Umgang mit der sogenannten Kinderarbeit, also der Arbeit der Heimkinder, die bereits vor dem 14. Lebensjahr zu Arbeiten gezwungen worden sind, die zur Aufrechterhaltung der Heime wirtschaftlich notwendig waren. Das betraf nicht nur Arbeiten im Putzdienst.
- Der Umgang mit individuell nachweisbaren Härtefällen, wenn etwa ein ehemaliges Heimkind West noch nach dem Ende des Antragsrahmens, also nach 1975, dieselbe Arbeit verrichtet hat, wie zuvor, da sich an der Struktur des Heims nichts geändert hatte.
- Der Umgang mit der „Wissenssicherung“.
- Der Umgang mit der wissenschaftlichen Begleitung der Umsetzung der Fondslösung.
- Der Umgang mit der Weiterführung der Studie zur Heimerziehung in West-Berlin.
- Der Umgang mit real existierenden Heimen, wie die Haasenburg-Gruppe.
Diese Anträge wurden freundlich aufgenommen und protokolliert. Das war es aber auch schon. Die Mitwirkung im Fachbeirat hatten sich die ehemaligen Heimkinder anders vorgestellt.
Es dauerte überdies Monate, bis die Senatsverwaltung die Empfehlung des Fachbeirates nach personeller Aufstockung der ABeH umzusetzen bereit schien, obwohl der Anlass für diese Empfehlung von allen Mitgliedern des FB als gleichermaßen unzumutbar bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich um das Procedere der bereits beschriebenen Terminvergabe.
Und nun müssen wir zum Zeitpunkt dieses Artikels - im Januar 2014 - feststellen, dass die angekündigte Verdreifachung der personellen und damit verbunden der finanziellen Unterstützungsmittel für die Arbeit der ABeH zunächst auf Eis gelegt worden sind, da auch in Berlin niemand weiß, wie es mit dem Fonds Ost weitergehen wird.
Obwohl der Vertrag mit dem freien Träger, GSkA, nur bis zum 31.12.2013 lief, gibt es zur Stunde noch keinen neuen. Die Mitarbeiter hängen in der Luft und Empfehlungen des FB erweisen sich als Luftballons, sobald sich die Gegebenheiten verändern.
Die Betroffenen
Die aktuelle Situation befördert einen emotionalen Schock in der Gruppe der Betroffenen, der von niemandem systematisch und professionell aufgefangen wird.
Kein Coaching, keine Supervision. Jeder sorgt für sich selbst. Das ist neben den bereits aufgeführten Auswirkungen der eigentliche Skandal.
Parallel dazu veränderte sich die Gruppendynamik innerhalb der Interessenvertreter der Betroffenen ehemaligen Heimkinder. Die Berliner Regionalgruppe Ehemaliger Heimkinder hatte einige wesentliche Ziele bezüglich der Umsetzung der Fondslösung in Berlin erreicht, andere Vertreter wollten mehr und anderes. Ein politisches Vakuum entstand, in dessen Folge es einige Nachfolgekämpfe um die Legitimation gab, wer denn nun die ehemaligen Heimkinder öffentlich vertreten könne und wer nicht.
An diesem Zustand hat sich zunächst nichts geändert. Die aktuelle Krisensituation der Fondslösung trägt nicht zur positiven Entwicklung der Interessenvertretung bei, sondern befeuert nur alte Abwehrmechanismen und zerstört gewachsenes und mühsam hergestelltes Vertrauen zwischen den Betroffenen, den Behörden und den poltischen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Wie es weitergeht, vermag ich nicht zu sagen, aber wie sich die Beteiligten verhalten könnten, findet sich als Anregung im Schluss des Theaterstückes „Der gute Mensch von Sezuan“, von Bertold Brecht. Marcel Reich-Ranicki z.B. beendete seine Literatursendung mit einem Zitat aus diesem Theaterstück: „Vorhang zu und alle Fragen offen“, ich denke, wir sollten den gesamten Schluss zu Rate ziehen, denn dort heißt es:
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.[...]
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
[...]
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss! (Seite 144)
Der Autor ist Vorsitzender des Fachbeirates zur Begleitung der Anlauf-und Beratungsstelle für den Entschädigungsfond für die ehemaligen Heimkinder. Für den hpd schreibt er über die aktuelle Situation.