BERLIN. (hpd) Nach den Mitteilungen der Hannoveraner Staatsanwaltschaft vom 14. Februar 2014 ermittelt der Staatsanwalt seit dem 4. November 2013 wegen Vorwürfe im Grenzbereich zur Kinderpornografie gegen Sebastian Edathy. Sie hat bisher offenkundig nichts gegen Edathy in der Hand, das eine strafbare Handlung belegt.
Professor Dr. Monika Frommel, eine Expertin zum Sexualstrafrecht und zur Kriminologie aus feministischer Sicht, geht daher in einem ausführlichen Interview in der HNA davon aus, das Ermittlungsverfahren einzustellen. Offenkundig haben die Hausdurchsuchungen naheliegenderweise keine neuen Daten ergeben.
Sebastian Edathy vorzuwerfen, dass er seine Computer verändert hat, ist ein wenig banal: Er hat über seinen Rechtsanwalt ja selbst schon im November bzw. Anfang Dezember den Kontakt zur Staatsanwaltschaft gesucht. Er ist nach den Veröffentlichungen der Kanadier zu einem Kinderpornografie-Ring von sich aus über seinen Rechtsanwalt an die Staatsanwaltschaft herangetreten und hat seine Kooperation für mögliche strafbare Handlungen angeboten. Wenn dies der Stand der Dinge ist, gilt erst recht: in dubio pro reo – oder genauer: im Zweifel für einen möglichen Angeklagten, solange seine Schuld nicht feststeht und nicht über diesen Zustand der (Vor-)Ermittlungen hinausgegangen ist.
Ist der Staatsanwalt ein Hellseher
Monika Frommel geht weiter und kritisiert in dem gleichen Interview den Staatsanwalt, wenn er vom Grenz- bzw. Graubereich zur Kinderpornografie spricht. Und fragt, ob der Staatsanwalt ein Hellseher ist. "Er kann auf Fotos erkennen, dass einer der Jungen 14 Jahre alt ist und nicht 16 (…) wenn der Junge 16 Jahre alt ist und die Darstellung nicht sexualbetont, ist es in Deutschland straflos, keine Kinderpornografie. Dann hat der Staatsanwalt das Ermittlungsverfahren einzustellen. Stattdessen stellt er sich hin und sagt, naja, wahrscheinlich steckt noch mehr dahinter (…) das ist einfach eine Spekulation. Der Staatsanwalt hat keinen dringenden Tatverdacht. Den hätte er aber für eine Hausdurchsuchung gebraucht. Es ist schon sehr hart, was er der bietet. Es wird gerade so getan, als wäre ein kleines Kind vergewaltigt worden!"
Die Gesetzeslage in Deutschland. Nötige Differenzierung
Hinzu kommt, dass sich die Gesetzeslage seit 2003 – mit guten Gründen – verschärft hat. Danach bestraft der Paragraf 184 wegen “Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften.” Wolfgang Janisch und Heribert Prantl erklärt ihn in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Februar so: “Das Wort Schriften darf man dabei nicht wörtlich verstehen. Den Schriften stehen alle Ton- und Bildträgerspeicher sowie Datenspeicher gleich. Bis 2003 war das Verbot der Kinderpornografie Bestandteil des allgemeinen Pornografieverbots § 184. Seitdem der Gesetzgeber die Kinderpornografie abgekoppelt und zu einem selbstständigen Paragrafen gemacht hat, ist dieser wiederholt erweitert und sind die Strafen ständig verschärft worden. Es soll so der Markt für pornografische Produkte mit minderjährigen Darstellern (unter 14 Jahren) bekämpft werden. Klebrig ist der Paragraf nicht nur wegen des Sujets, um das es geht; sondern auch deswegen, weil eine Person schnell dran hängen bleibt – sich also strafbar macht.”
Vielfach geht man darüber hinaus davon aus, dass nicht Strafbares (die sogenannte Kategorie zwei) zugleich einen Anfangsverdacht begründe, weil oft, in der Regel, nach aller Erfahrung und ähnlichen Formulierungen, wenn man in die Nähe der Nutzung solchen Bildmaterials kommt, dann auch weitergehe und strafbare Handlungen unternehme. Dies nennt man dann den Grenzbereich, die Grauzone. In dieser Grauzone bewegt sich nun auch die Staatsanwaltschaft Hannover. Problem verschärfend kommt hinzu, dass die kanadische Rechtspflege einen anderen Begriff von Pornografie hat und die Staatsanwaltschaft Hannover hätte prüfen müssen, ob in Deutschland tatsächlich ein Straftatbestand erfüllt ist. (Frommel) “Sie hätte auf einen Sexualbezug achten müssen. Es ist ein großer Unterschied, ob auf Fotos kleine Kinder oder eindeutig geschlechtsreife Jungs dargestellt sind. In Deutschland wäre bei den Abbildungen, die bei Edathy gefunden worden sein sollen, strafrechtlich nichts passiert.”
Die Vernichtung der Existenz von Sebastian Edathy. Vorläufig.
Wenn also Sebastian Edathy nach gegenwärtigem Stand keine strafbare Handlung vollzogen hat, bleibt die Frage, wie der gegenwärtige Chef der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, der von den Vorwürfen offenkundig seit (mindestens) Oktober 2013 irgendetwas wusste, in seinen Äußerungen am Anfang dieser Woche zu einem vernichtenden Urteil auszuholen vermochte: “Es handele sich um einen Vorwurf, der ungeheuer schwerwiegend sei.” Woher weiß er das, wenn nicht einmal die Staatsanwaltschaft das weiß? (Was hat ihm darüber hinaus getrieben, eine vertrauliche Information, die er vertraulich hätte behandeln müssen – dass verlangt der Respekt bei vertraulichen Informationen – an die Öffentlichkeit bringt und zusätzlich noch gegen jede Regel, den Chef des BKA danach fragt, ob der Vorwurf, von dem er gehört habe, zutreffe und dieser ihm das bestätigt habe, obwohl der Präsident des BKA ihm vehement widerspricht? Bekannt ist auch, dass das Verhältnis zwischen Oppermann und Edathy schon wesentlich zuvor, d. h. schon im Sommer 2013 für jeden, der NSU-Debatten zugehört hat, gänzlich zerrüttet war. War es Panik? Überforderung im ersten Härtetest? – Wie dem auch sei.
Sicher ist, dass spätestens zu jenem Zeitpunkt Thomas Oppermann Sebastian Edathy mit dieser unbelegten Assoziation erledigt hat. Es war nicht nur eine Promihetze (Frommel), dass die Durchsuchung, sei es aus SPD Kreisen oder aus Polizeikreisen, dem überforderten Lokalredakteur des Lokalblatts “Die Harke” zu Unrecht durchgestochen worden ist und dass das Lokalblatt sich nicht an die Grenzen der Privatsphäre und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte gehalten hat, sondern gesetzwidrig mit Fotos die Privatsphäre von Edathy ausgeleuchtet und denunziert hat. Dies hat auch der Staatsanwalt getan, der vom Grenzbereich zu Kinderpornografie spricht.
Auf die Frage der Interviewerin, wie die Formulierung des Staatsanwalts vom Grenzbereich zur Kinderpornografie zu verstehen sei: Ist das so wie: Sie hat fast geklaut, sich also eigentlich nicht strafbar gemacht? antwortet Monika Frommel: “So ungefähr: Wenn der Staatsanwalt von einem Grenzbereich spricht, kann man ihm später nicht Rechtsbeugung vorwerfen. Wenn aber der Staatsanwalt nichts gegen ihn in der Hand hat, so Frommel weiter, hätte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen einstellen müssen. Stattdessen geht das nach dem Motto: Versuchen kann man es ja mal. Das ist für mich der Grenzbereich zur Rechtsbeugung.”
Autoritäres Nachtreten?
Als klar wurde, dass die Staatsanwaltschaft gegen Edathy ermittelt und sichtbar werden würde, dass er sich für junge Männer interessiert, war er politisch nicht mehr zu halten. Jedenfalls hat er sich von der politischen Bühne zurückgezogen, vielleicht sogar, um Schaden von der SPD und allgemeiner, der Politik abzuwenden. Erst recht dann hätte die Staatsanwaltschaft sich auf das, was ihre Aufgabe ist konzentrieren müssen.
Die Vernichtung einer Existenz und die öffentliche Verantwortung
Der Schutz der Privatsphäre gilt auch für öffentliche Personen. Wir haben von der Unschuldsvermutung auszugehen, solange Sebastian Edathy keine strafbare Handlung nachgewiesen ist. Wir müssen damit leben, dass wir nicht alles wissen und auch nicht alles wissen dürfen. Ein beträchtlicher Teil der Medien sieht dies ähnlich. Umso fragwürdiger ist das Verhalten von Thomas Oppermann und Christine Lamprecht aus der SPD-Fraktion. Und auf eine ganz andere Weise einer der Chefkommentatoren der Bild-Zeitung, der am Freitag den 14. Februar, Sebastian Edathy de facto als Kinderschänder hingerichtet hat.
Sebastian Edathy sollte, wenn er dazu in der Lage ist, seine Sicht der Dinge darlegen. Er würde Gehör finden. Auch für ihn gilt, dass er irgendwann eine zweite Chance haben darf.
(Anlässlich der Stellungnahme auf N24 vom 13. 2.2014, H. Funke)
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von hajofunke.wordpress.com