Kommentar

Wer vor dem Gottesstaat flieht, muss unterstützt werden

In Afghanistan haben die islamistischen Taliban erneut die Macht übernommen. Wer vor ihrem totalitären Gottesstaat flieht, muss vom Westen Unterstützung erfahren, kommentiert hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.

Vor 20 Jahren riefen die USA den "Krieg gegen den Terror" aus, nachdem islamistische Terroristen des Al-Qaida-Netzwerks am 11. September 2001 mit entführten Flugzeugen Anschläge aufs World Trade Center und das Pentagon verübt hatten. Diesen Stich ins Herz Amerikas beantworteten die USA und ihre NATO-Bündnispartner mit einem militärischen Eingriff in Afghanistan, wo das islamistische Taliban-Regime Al-Qaida-Kämpfern einen Rückzugs- und Ausbildungsort bot. Im Bündnis mit den Anti-Taliban-Kräften vor Ort wollte man Al-Qaida ausmerzen, die Taliban stürzen und das Land durch einen demokratischen Umbau und Ausbildung des Militärs fit machen zur Selbstverteidigung gegen erneute Umsturzversuche der Taliban.

Wie die Ereignisse der vergangenen Tage gezeigt haben, war die Unternehmung nicht wirklich erfolgreich. Kurz nach dem übereilten Rückzug von US-Armee und NATO-Streitkräften, übergab die vom Westen ausgebildete und hochgerüstete afghanische Armee den vorrückenden Taliban weitgehend kampflos das Terrain. Im Internet kursierende Videoaufnahmen zeigen, dass die Taliban in einigen Gegenden geradezu fröhlich von der Bevölkerung willkommen geheißen wurden. Offensichtlich gibt es in Afghanistan also nach wie vor genug Menschen, die nichts dagegen einzuwenden haben, in einem totalitären Gottesstaat zu leben, den die Taliban dort nun wieder errichten und in dem Menschen- und Frauenrechte, Religionsfreiheit und vieles mehr keinerlei Geltung haben werden.

Doch es gibt in Afghanistan auch die anderen. Jene Menschen, die keine Lust auf einen Gottesstaat haben, weil sie darin um Freiheit und Selbstbestimmung und im schlimmsten Fall sogar um Leib und Leben fürchten müssen. Jene Menschen, die der Demokratie und den freiheitlichen Werten vertrauten und teilweise gemeinsam mit den Militärs und Hilfsorganisationen aus dem Westen an einem neuen Afghanistan arbeiteten. Diese Menschen versuchen derzeit verzweifelt, aus Afghanistan zu fliehen. Und es ist die verdammte Pflicht des Westens, ihnen zu helfen. Und zwar nicht nur den sogenannten "Ortskräften", die die NATO-Kräfte vor Ort als Übersetzer oder Scouts direkt unterstützt haben und darum in akuter Lebensgefahr durch die Taliban schweben. Die Unterstützung des Westens muss allen Afghanen und vor allem allen Afghaninnen gelten, die vor der Taliban-Herrschaft aus ihrer Heimat fliehen.  

Ja, ich weiß, es sind viele. Und ich weiß, dass das keine einfache Aufgabe ist. Doch wer die Segnungen von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten anpreist und damit Menschen überzeugt, darf sie nicht allein lassen, wenn ihnen aufgrund dieser Überzeugung nun Unheil droht. Zum einen, weil ein solches Verhalten zutiefst verwerflich wäre und eine humanitäre Katastrophe heraufbeschwören würde. Und zum anderen, weil dies eine tiefe Enttäuschung provozieren würde, auf deren Boden Hass gegen den Westen und mit ihm neuer islamistischer Terror hervorragend gedeihen würden.

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