An die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP sind hohe Erwartungen und Hoffnungen auf einen Politikwechsel in verschiedenen Bereichen geknüpft. Dies gilt auch für die Drogenpolitik. Die Ampelparteien haben beschlossen, Cannabis zu legalisieren und Maßnahmen zur Verminderung von Folgeschäden des Drogenkonsums zu stärken – einschließlich Drug-Checking-Angeboten.
"Die angehenden Koalitionsparteien gehen damit einen lang geforderten Schritt in die richtige Richtung", sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. (DAH) "Diese Maßnahmen müssen nun Auftakt sein für eine neue Drogenpolitik, bei der statt Strafverfolgung und Marginalisierung staatliche Regulierung und Unterstützung für Konsument*innen im Vordergrund stehen."
Das Ergebnis nach 40 Jahren Drogenverbotspolitik ist niederschmetternd
Befürworter*innen der bisherigen Politik haben Sorge, dass mit einer kontrollierten, staatlich gelenkten Abgabe von Cannabis neben Tabak und Alkohol eine dritte Volksdroge entsteht. Sie befürchten eine Verharmlosung von Drogen und dass noch mehr Menschen als bisher bestimmte Substanzen konsumieren.
Schaut man sich jedoch die bisherigen Erfolge der Drogenverbote an, ist die Bilanz ernüchternd. Das seit 1981 bestehende Betäubungsmittelgesetz und der dahinterliegende Politikansatz der Prohibition hat vier Hauptziele verfolgt:
- organisierte Kriminalität und Drogenkriminalität bekämpfen,
- das Angebot von Drogen reduzieren,
- die Zahl der Drogenkonsument*innen reduzieren,
- Jugendliche schützen
Ein Blick auf die von der Bundesregierung veröffentlichten Daten zeigt allerdings klar, dass alle vier Ziele grundsätzlich verfehlt wurden. Die bisherige Politik war in allen Belangen von Erfolglosigkeit gekennzeichnet.
Die organisierte Kriminalität ist besser aufgestellt denn je und hat den Markt fest im Griff.
Die Zahl der illegalen Substanzen ist explodiert. Drogen, egal welcher Art, sind überall erhältlich und so preiswert wie nie. (Während 1 Gramm Heroin 1990 350 D-Mark gekostet hat, ist es heute für 30 Euro erhältlich). Die Opium- und Kokainproduktion stellt immer neue Rekorde auf.
Auch die Zahl der Drogenkonsument*innen hat deutlich zugenommen. Ebenso wie die Zahl der drogenbedingten Todesfälle (2020 waren es 1.581 Tote). Jugendliche und Erwachsene konsumieren Drogen jeglicher Art mit teilweise dramatischen körperlichen und rechtlichen Folgen. Jugendschutz gibt es nicht. Das ist die Bilanz nach 40 Jahren Drogenverbote in Deutschland.
Wie könnten Alternativen aussehen?
Die Diskussion um Cannabis steht bei den Koalitionsverhandlungen im Vordergrund. Das ist bei mehr als vier Millionen Konsument*innen nicht verwunderlich.
All diese Menschen besorgen sich ihre Substanz mit unbekannten Streckstoffen und mit unbekanntem THC-Gehalt beim Dealer um die Ecke. Synthetische Cannabinoide, die als deutlich gefährlicher einzuschätzen sind, fügen gerade jungen unerfahrenen Konsument*innen immense Schäden zu.
"Der einzige Weg diesem Problem zu begegnen, ist die Produktion von sauberem Cannabis mit unterschiedlichem THC-Gehalt in staatliche Hände zu legen sowie den Verkauf an lizensierte Fachgeschäfte zu übertragen, so wie es Schweden mit seinen Alkoholshops vorgemacht hat", sagt Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Haft bei der Deutschen Aidshilfe.
Was geschieht mit Jugendlichen?
Es ist unstrittig, dass der Drogenkonsum bei Kindern und Jugendlichen dramatische Folgen haben kann. Wir können aber gerade Jugendliche als vulnerable Gruppe nicht weiter dem Schwarzmarkt überlassen. Somit muss man sich Gedanken darüber machen, ob zum Beispiel Personen ab 16 Jahre (wie beim Bier) Zugang zu Fachgeschäften erhalten. Dabei könnte man über eine verpflichtende Beratung oder Mengenbegrenzungen nachdenken oder den THC-Gehalt im Cannabis für Jugendliche begrenzen. All das sind bisher Tabuthemen.
"Wenn wir Jugendschutz ernst nehmen und wissen, dass Millionen Jugendliche kiffen, dann müssen wir sie vor dem illegalen Markt mit all seinen Risiken schützen und den legalen Erwerb mit verstärkten Angeboten der Drogenhilfe verknüpfen", sagt Dirk Schäffer.
Cannabisregulierung alleine ist keine Lösung
Der Konsum von Kokain und Amphetaminen zeigt deutliche Steigerungsraten. Diese Drogen ermöglichen temporär eine Hochleistung etwa im Beruf und sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Kokain ist so billig und rein wie nie.
Dazu kommen etwa 165.000 Menschen, die illegale Opiate konsumieren. All diesen Menschen begegnen wir bisher völlig erfolglos mit Kriminalisierung.
"An die Stelle des Strafrechts müssen wir konsequent medizinische und soziale Hilfen setzen. Der Erwerb und Besitz zum Eigenbedarf muss straffrei gestellt werden, wie in anderen Ländern auch", erklärt Schäffer.
Für die große Gruppe junger Erwachsener, die in Clubs und auf Festivals Kokain und Amphetamine sowie Metamphetamine konsumieren, gilt es vor Ort szenenahe Beratungsangebote und Möglichkeiten der Substanzanalyse (Drug-Checking) zu implementieren. Unsere Nachbarn in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden verzeichnen hiermit Erfolge.
Die medizinische Forschung zu medikamentöser Behandlung der Kokain- und Amphetaminabhängigkeit muss intensiviert werden. Vorbild könnte die Behandlung der Opiatabhängigkeit sein, wo heute mehr als 81.000 Menschen Substitutionstherapien erhalten.
Drogen als Teil des Lebens anerkennen
Den Drogenkonsum wird niemand abschaffen können. Wir müssen einen neuen, progressiven Weg im Umgang damit finden und Konsument*innen nicht mit dem schärfsten Schwert, das unser Rechtssystem kennt, dem Strafrecht, begegnen. Stattdessen gilt es, konsequent Hilfe vor Strafe zu setzen.
Die organisierte Drogenkriminalität ist fest verankert, aber je mehr legale und kontrollierte Zugänge wir bieten, desto mehr schwächen wir den Schwarzmarkt.
Hilfe statt Strafe
Während in Portugal Bürger*innen, die mit illegalen Substanzen zum Eigenbedarf aufgegriffen werden, ausnahmslos ein Hilfeangebot bekommen, erwartet sie in Deutschland eine Strafanzeige, eventuell eine Hausdurchsuchung, Führerscheinentzug, Schulverweis, Arbeitsplatzverlust oder sogar Gefängnis.
Dies führt dazu, dass Hilfe gerade bei Jugendlichen aber auch bei Erwachsenen aus Angst vor all diesen Konsequenzen zu spät artikuliert wird und alle versuchen, ihren Konsum zu verbergen. Bis Hilfe angenommen wird, vergehen oft viele Jahre.
"Hilfe statt Strafe muss daher die Leitlinie und Grundlage der Drogenpolitik einer neuen Regierung sein", sagt DAH-Vorstand Sven Warminsky.