Am heutigen Montag, den 7. Februar 2022, jährt sich der zum 17. Mal. Hatun Sürücü wurde von ihren Brüdern in Berlin ermordet, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollte und damit in den Augen der Brüder gegen die sogenannte Familienehre verstieß.
Nach wie vor geschieht hierzulande Gewalt im Namen der "Ehre" – im letzten Sommer etwa erschütterte der Mord an der Afghanin Maryam H. die Öffentlichkeit, die von ihren Brüdern getötet wurde.
"Die von Terre des femmes (TDF) recherchierten 'Ehren'-Morde zeigen, dass nach wie vor starke patriarchale Denk- und Verhaltensmuster in Deutschland das Leben vieler Menschen gefährden", so TDF-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle. "Meistens tragen Mädchen und Frauen die Verantwortung für die vermeintliche Familienehre. Bei 'Fehlverhalten' sind sie einem enormen Druck, manchmal auch einer reellen Todesgefahr, ausgesetzt."
Terre des femmes fordert deshalb, dass die Akuthilfe bei Bedrohten oder Betroffenen von sogenannten Ehrverbrechen, als elementarer Bestandteil der Gewaltverhinderung, durch entsprechende Beratungs- und Schutzräume weiter ausgebaut und verlässlich finanziert wird.
Gleichwohl muss bei der Prävention solcher Verbrechen jedoch auch ganzheitlich gedacht werden: Um zu vermeiden, dass es zu einer Gefahrensituation kommt, müssen Kinder, Jugendliche, aber auch deren Familien tradierte Rollen- und vermeintliche Ehrvorstellungen kritisch hinterfragen, um langfristig ein Umdenken zu erzielen. Für einen langfristigen Schutz muss die Präventionsarbeit so früh wie möglich ansetzen.
Terre des femmes geht derzeit mit dem Theaterstück "Mein Herz gehört mir" an Berliner Schulen, um spielerisch tradierte Rollenbilder und Verhaltensnormen zu hinterfragen.
Denn auch in den Jahren 2021 und 2020 gab es Gewalt im Namen der "Ehre" in Deutschland. Die Recherche von Terre des femmes – basierend auf Presseberichten und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ergab 25 Fälle von versuchter oder vollzogener Tötung zur Wiederherstellung der vermeintlichen Ehre. Doch nach Erfahrung der Frauenrechtsorganisation zeigen diese nur die Spitze des Eisbergs. Unter ihnen subsumiert sich eine Vielzahl vorangegangener Gewaltformen: Drohungen, Erpressungen, Misshandlungen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der freien Lebensgestaltung.
25 Menschen fielen 2020 und 2021 den "Ehr"vorstellungen der Täter zum Opfer. Elf von ihnen wurden ermordet, vierzehn überlebten. Von den elf Getöteten waren sechs Frauen und fünf Männer.
In der Mehrheit der Fälle ging dem "Ehr"verbrechen ein vermeintliches Fehlverhalten der Frau voraus: zum Beispiel eine Trennung oder der (vermutete) Kontakt der Frau zu anderen Männern außerhalb der Familie bzw. der Ehe. Denn damit weicht die Frau in den Augen streng patriarchaler Gemeinschaften von dem als richtig empfundenen Lebensstil ab und verstößt gegen das erwartete Frauenbild.
Die Tatsache, dass auch Männer bei "Ehren"-Morden ums Leben kamen, verdeutlicht außerdem: "Ehren"-Morde sind nicht per se mit Femiziden gleichzusetzen – die Debatte um diese Begrifflichkeiten flammte nach dem Mord an Maryam H. durch ihre Brüder auf, TDF äußerte sich ebenfalls dazu.
In einem Fall 2021 tötete der Täter den Bruder seiner Ex-Frau, weil dieser nichts gegen die Trennung unternommen hätte. Hier wird deutlich: Gewalt im Namen der Ehre (be)trifft viele Menschen, und sowohl an Frauen als auch an Männer werden meist schon in frühem Alter starre Erwartungen gestellt. Diese gilt es zu hinterfragen und aufzubrechen. Nur dann kann langfristig ein Umdenken und ein Ende der Gewalt im Namen der sogenannten Ehre erreicht werden.
Gedenkveranstaltung in Berlin am 7. Februar 2022
Am 07.02.2022 findet um 11 Uhr am Gedenkstein Hatun Sürücüs in Berlin (Oberlandgarten 1/Ecke Oberlandstraße) eine Gedenkveranstaltung statt. Referentinnen von TERRE DES FEMMES nehmen daran teil und stehen gerne vor Ort für Interviews zur Verfügung.
TDF-Recherche: "Ehren"-Mordfälle 2020 (pdf-Datei)
TDF-Recherche: "Ehren"-Mordfälle 2021 (pdf-Datei)