Fatwa gegen die Hamas ausgesprochen

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Der Islamic Fatwa Council hat eine Fatwa gegen die radikal-islamische Palästinenserorganisation Hamas ausgesprochen. Damit hat zum ersten Mal ein islamischer Rat entschieden, dass die Hamas keine religiöse Legitimität besitzt.

Warum es stets ratsam ist, einen Blick über den Tellerrand der deutschsprachigen Medienlandschaft hinaus zu werfen, belegt das Beispiel einer kürzlich ergangenen Fatwa gegen die muslimische Palästinenserorganisation Hamas. Anfang März hat der Islamic Fatwa Council eine Fatwa "zur Herrschaft der Hamas in Gaza" veröffentlicht, die auch in englischer Sprache verfügbar ist. Eine "Fatwa" ist eine von islamischen Gelehrten auf Anfrage erteilte Rechtsauskunft, um religiöse oder rechtliche Probleme zu klären. In der Regel ist das Ziel einer Fatwa, gläubigen Muslimen Handlungsanweisungen zu geben. Im schiitischen Islam sind Fatwas rechtsverbindlich, hingegen muss ein Sunnit einer Fatwa nicht zwingend Folge leisten. "Er kann von anderer Stelle eine anderslautende Fatwa anfordern und sich nach dieser zweiten Auskunft oder nach keiner der beiden in seiner Handlungsweise ausrichten", erklärt Prof. Dr. Christine Schirrmacher auf der Webseite des Instituts für Islamfragen.

Die jüngst vom Islamic Fatwa Council erlassene Fatwa kommt zu dem Schluss, dass nach dem gesichteten Videomaterial die Palästinenserorganisation Hamas verantwortlich ist für eine "Herrschaft der Korruption und des Terrors gegen die palästinensische Zivilbevölkerung innerhalb des Gazastreifens". Den gläubigen Muslimen wird verboten, für die Hamas zu beten, sich ihr anzuschließen, sie zu unterstützen, sie zu finanzieren oder für sie zu kämpfen. Darüber hinaus schließt sich der Islamic Fatwa Council der Meinung der Fatwa-Räte in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien an, wonach die Bewegung der Muslimbruderschaft und alle ihre Zweige als terroristische Organisationen einzustufen sind, die den Islam verleumden und sich gegen die islamische Einheit stellen.

Was ist das Besondere an einer Fatwa des Islamic Fatwa Council?

Im Islam gibt es bekanntlich keine zentrale Autorität, die weltweit für alle Muslime verbindlich entscheidet. Die Hauptströmungen des Islams, die Sunniten und Schiiten, stehen sich seit Jahrhunderten unversöhnlich gegenüber. Eine epochale Schlagzeile wäre es also nicht, wenn ein Fatwa-Rat der einen Gruppierung eine verurteilende Fatwa über die andere verhängt. Der Islamic Fatwa Council ist jedoch anders konstruiert. Nach seiner Eigendefinition ist er das erste globale Rechtsgremium, das sich darauf spezialisiert hat, Fatwas aus unbestreitbaren und gemäßigten islamischen Referenzen abzuleiten. Man sei bestrebt, "das islamische Rechtssystem von Extremisten, Islamisten und Terroristen zurückzufordern, die es für politische Macht missbrauchen". Die wesentliche Besonderheit ist aber, dass seine Rechtsgelehrten aus allen islamischen Strömungen stammen. Dieser quasi-ökumenische Ansatz ist es, der dem Islamic Fatwa Council eine besondere Autorität verleihen soll.

Obwohl der Islamic Fatwa Council seinen Sitz im mehrheitlich schiitisch geprägten Irak hat, will er sich unterschiedslos an alle Muslime richten. Ob sich seine Fatwas in sunnitischen Regionen auch tatsächlich durchsetzen werden, muss sich allerdings noch erweisen. Bei der aktuellen Fatwa hat der Rat leider aus den nachstehenden Gründen unsensibel und ungeschickt agiert, und damit vermutlich eine Chance vertan, die Hamas, die auch von der EU als Terrororganisation eingestuft wird (vgl. EuGH-Urteil vom 23.11.2021, Rechtssache C-833/19P), bei Sunniten als korrupte, gewalttätige und islamschädliche Organisation zu diskreditieren.

Zu den "Videobeweisen" des Islamic Fatwa Council

Grundsätzlich gilt für jede Fatwa, dass sie nicht mit einem Gutachten nach westlichen Maßstäben zu vergleichen ist. Im vorliegenden Fall ist es jedoch besonders bedenklich, dass das alarmierende und besorgniserregende Videomaterial, auf welches sich der Fatwa-Rat ausdrücklich bezieht, nicht offengelegt wurde. Nach den Erläuterungen in einem Video des Sprechers des Rates ist die Fatwa vom Videomaterial der Webseite von "Whispered in Gaza" beeinflusst gewesen. Dies ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens ist "Whispered in Gaza" eine Webseite, auf der nur Videos mit Zeichentrickanimationen veröffentlicht sind, aber keine eigentlichen Beweisvideos. Die Videoanimationen wurden erstellt, um die Identität der Palästinenser zu schützen, die in Interviews von ihrem schwierigen Leben unter der Hamas und von ihrem Wunsch nach Frieden mit Israel erzählen. Zweitens ist "Whispered in Gaza" ein Projekt des Centers for Peace Communication. Wo dieses Friedeninstitut seinen Sitz hat, erschließt sich mangels eines Impressums und Kontaktangaben zwar nicht auf den ersten Blick, aber verheimlicht wird es auch nicht: Sitz dieser gemeinnützigen Einrichtung sind die USA, die, wie man weiß, eine Schutzmacht Israels darstellen. Das bemerkenswerte und wichtige Projekt des Centers for Peace Communication soll keinesfalls kleingeredet werden, doch in den arabischen Foren gibt es auch zahlreiche kritische Videos über die Hamas, sodass fraglich ist, warum ausgerechnet diese US-amerikanische Quelle besondere Erwähnung bei der Präsentation der Fatwa findet. Ob der Islamic Fatwa Council mit dieser offen zur Schau gestellten Nähe zu den USA globale Anerkennung erlangen wird, wie er sich erhofft, kann jedenfalls mit gutem Grund angezweifelt werden.

Welche Reaktionen gab es auf die Fatwa?

Eine kurze Berichterstattung über die Fatwa gab es in israelischen Zeitungen wie der Jerusalem Post und in arabischen Medien. Und auch der erzkonservative US-amerikanische Nachrichtensender Fox News griff die Fatwa für seine Propagandazwecke auf. Auf den Webseiten der Hamas und des Staates Palästina wird die Fatwa hingegen mit keinem Wort erwähnt. Die Vertretung des Staates Palästina in Österreich wurde um ein Statement gebeten, aber bis zur Veröffentlichung dieses Beitrags ist keines eingegangen. Es ist ferner zu konstatieren, dass eine fachlich fundierte Analyse der Bedeutung dieser Fatwa für die Menschen in Palästina sowie für die Annäherung der islamischen Konfessionen und für die Politik in dieser Region in den Medien bis dato nicht stattgefunden hat.

Obwohl radikale sunnitische Gruppen wie die Hamas mit hoher Wahrscheinlichkeit die gemäßigte Theologie des Islamic Fatwa Council auch weiterhin ignorieren werden, ist der Schritt hin zu einer Zusammenarbeit von Rechtswissenschaftlern aus allen islamischen Strömungen in einem Fatwa-Rat zu begrüßen. Langfristig könnte dies dazu beitragen, mehr Frieden unter Muslimen zu schaffen, von dem die gesamte Welt profitieren würde.

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