Kommentar

40 Prozent weniger Besucher beim Kirchentag in Nürnberg

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Leere Sitze bei einer Musikveranstaltung in der Nürnberger Messe
Leere Sitze bei einer Musikveranstaltung in der Nürnberger Messe

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Wenige Besucher am Donnerstagabend während eines Bandauftritts auf der Bühne am Kornmarkt
Wenige Besucher vor der Bühne am Kornmarkt

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Vor einem Bandauftritt am Donnerstagabend auf dem Nürnberger Hauptmarkt
Wenige Besucher auch auf dem Nürnberger Hauptmarkt

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Gelebte Trennung von Staat und Kirche: Der Bundestag betrieb einen Infostand auf dem Kirchentag
Infostand des Deutschen Bundestages auf dem Kirchentag

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Die Giordano-Bruno-Stiftung hatte eine "Religionsfreie Zone" auf dem Kirchentag organisiert...
"Religionsfreie Zone"

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...dort mahnte "Moses" das 11. Gebot an ("Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!")...
"Moses"

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...und der "Nackte Luther" klärte über den gefeierten Reformator auf. Mit dabei war außerdem eine Kirchenaustritts-Beratungsstelle.
"Nackter Luther" und Kirchenaustritts-Beratungsstelle

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Die "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" (KdFSM) betrieb einen Messestand auf dem "Markt der Möglichkeiten". Nach eigener Aussage hätten 40 Prozent der dortigen Besucher bereits von der KdFSM gehört.
Messestand der "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters"

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Die KdFSM bot Nudeln gegen allerlei Leiden an: Buchstabennudeln gegen Legasthenie, Herznudeln gegen Liebeskummer oder Fadennudeln gegen Band-, Spul- und Fadenwürmer.
Die KdFSM bot Nudeln gegen allerlei Leiden an

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Eine Kirchentagsbesucherin bezeugte das Wunder der Wandlung von Wasser in Bier, die die KdFSM ebenfalls anbot.
Wunder der Bierwandlung

Auch wenn die Kirchentagsveranstalter versuchen, eine positive Bilanz zu ziehen: Der Bedeutungsverlust der christlichen Glaubensgemeinschaften schreitet unaufhörlich fort. Das zeigte sich auch beim gerade zu Ende gegangenen Sommerfest der evangelischen Kirche, das einmal mehr großzügig staatlich finanziert wurde.

Zwar nannte der Oberbürgermeister Nürnbergs, Marcus König (CSU), das evangelische Fest in seiner Stadt frohlockend ein "Sommermärchen des Glaubens 2023", doch dies kann nicht über die Gesamtbilanz hinwegtäuschen, die man nur als ernüchternd bezeichnen kann. Obwohl die vorab ausgegebenen Gästezahlen in den letzten Jahren regelmäßig unterschritten wurden, hatten die Veranstalter des Kirchentags, der von Mittwoch bis Sonntag stattfand, im Vorfeld wieder einmal erfolgreich mit der Aussicht auf 150.000 Besucher argumentiert – eine Zahl, die später auf 100.000 abgesenkt wurde – und sich damit die stolze Fördersumme von 10 Millionen Euro der öffentlichen Hand gesichert. Nur 11 Millionen der insgesamt 22 Millionen Euro Kosten zahlte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).

Nun stellte sich heraus: Zwar befanden sich laut Kirchentag etwa 130.000 Menschen während des kostenlosen "Abends der Begegnung" am Mittwoch in der Nürnberger Innenstadt (in der parallel unter anderem auch das Fränkische Bierfest stattfand); die Gesamtzahl der zahlenden Besucher:innen belief sich jedoch gerade einmal auf 70.000. Das Bemerkenswerte daran: Dies umfasst sowohl diejenigen, die eine Dauerkarte für alle fünf Tage erwarben, als auch die, die nur Tagestickets lösten. Bisher hatten die Kirchentagsveranstalter hier immer eine Differenzierung vorgenommen. Ein deutlicher Hinweis, dass man offenbar versucht, die Bilanz weniger gravierend erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist.

Matthias Krause vom Ketzerpodcast, der sich seit vielen Jahren intensiv mit den Kirchen- und Katholikentagen beschäftigt, glich die Angaben mit dem letzten Evangelischen Kirchentag von 2019 ab und stellte einen Besucherschwund von über 40 Prozent gegenüber Dortmund und damit dem Vor-Corona-Niveau fest: Damals hatten 80.000 Dauerkartenkäufer und 41.000 Tagesgäste teilgenommen. Und das trotz eines Staraufgebots aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft: Bundeskanzler Olaf Scholz setzte sich ebenso auf eines der Podien wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Viele weitere aktuelle und frühere Vertreter:innen der Bundespolitik nahmen die Einladung der evangelischen Kirche ebenfalls an. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Siemens Joe Kaeser war mit von der Partie und auch die Kabarettisten Eckart von Hirschhausen und Bodo Wartke – um nur einige zu nennen.

Während es Letzteren jedoch freisteht, an einem solchen Event teilzunehmen, da sie als Privatpersonen auftreten, zeigt sich durch die zahlreiche Anwesenheit von politischen Repräsentant:innen die noch immer starke Verquickung von Staat und Kirche, während sich die Gesellschaft – veranschaulicht nicht zuletzt durch die niedrigen Besucherzahlen – zum überwiegenden Teil von der Kirche abgewandt hat. Gerne wird als Gegenargument angeführt, dass die Politiker:innen sich auf einer gesellschaftlich relevanten Plattform zu politischen Themen äußern würden – eine augenscheinliche Trennung, die in diesem Jahr kein geringerer als das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland endgültig verwischte, indem Frank-Walter Steinmeier gar im Rahmen des Eröffnungsgottesdienstes sprach – eine neue Ebene im zur Schau gestellten Schulterschluss eines per Verfassung zur weltanschaulichen Neutralität verpflichteten Staates mit einer Religionsgemeinschaft. Doch auch damit war es noch nicht genug: Der Bundespräsident leitete sogar eine Bibelarbeit. Stolz steht dazu auf der Website des Kirchentages: "In einem bemerkenswerten Schritt vereinte er Politik und Spiritualität."

Dass es diese geistlichen Veranstaltungen sind, welche die Menschen interessieren, die noch auf Kirchentage gehen, stellte der Tagesspiegel in einem bilanzierenden Text fest. Der Kirchentag sollte die Größe besitzen, sich von seinem Anspruch der gesamtgesellschaftlichen Relevanz zu verabschieden und sich seinem Kerngeschäft widmen: Religion und Spiritualität – aber bitte auf eigene Kosten und mit etwas weniger Vereinnahmung einer ganzen Stadt, in der Christen seit 2018 in der Minderheit sind.

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