Auch wenn die Kirchentagsveranstalter versuchen, eine positive Bilanz zu ziehen: Der Bedeutungsverlust der christlichen Glaubensgemeinschaften schreitet unaufhörlich fort. Das zeigte sich auch beim gerade zu Ende gegangenen Sommerfest der evangelischen Kirche, das einmal mehr großzügig staatlich finanziert wurde.
Zwar nannte der Oberbürgermeister Nürnbergs, Marcus König (CSU), das evangelische Fest in seiner Stadt frohlockend ein "Sommermärchen des Glaubens 2023", doch dies kann nicht über die Gesamtbilanz hinwegtäuschen, die man nur als ernüchternd bezeichnen kann. Obwohl die vorab ausgegebenen Gästezahlen in den letzten Jahren regelmäßig unterschritten wurden, hatten die Veranstalter des Kirchentags, der von Mittwoch bis Sonntag stattfand, im Vorfeld wieder einmal erfolgreich mit der Aussicht auf 150.000 Besucher argumentiert – eine Zahl, die später auf 100.000 abgesenkt wurde – und sich damit die stolze Fördersumme von 10 Millionen Euro der öffentlichen Hand gesichert. Nur 11 Millionen der insgesamt 22 Millionen Euro Kosten zahlte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD).
Nun stellte sich heraus: Zwar befanden sich laut Kirchentag etwa 130.000 Menschen während des kostenlosen "Abends der Begegnung" am Mittwoch in der Nürnberger Innenstadt (in der parallel unter anderem auch das Fränkische Bierfest stattfand); die Gesamtzahl der zahlenden Besucher:innen belief sich jedoch gerade einmal auf 70.000. Das Bemerkenswerte daran: Dies umfasst sowohl diejenigen, die eine Dauerkarte für alle fünf Tage erwarben, als auch die, die nur Tagestickets lösten. Bisher hatten die Kirchentagsveranstalter hier immer eine Differenzierung vorgenommen. Ein deutlicher Hinweis, dass man offenbar versucht, die Bilanz weniger gravierend erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich ist.
Matthias Krause vom Ketzerpodcast, der sich seit vielen Jahren intensiv mit den Kirchen- und Katholikentagen beschäftigt, glich die Angaben mit dem letzten Evangelischen Kirchentag von 2019 ab und stellte einen Besucherschwund von über 40 Prozent gegenüber Dortmund und damit dem Vor-Corona-Niveau fest: Damals hatten 80.000 Dauerkartenkäufer und 41.000 Tagesgäste teilgenommen. Und das trotz eines Staraufgebots aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft: Bundeskanzler Olaf Scholz setzte sich ebenso auf eines der Podien wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Viele weitere aktuelle und frühere Vertreter:innen der Bundespolitik nahmen die Einladung der evangelischen Kirche ebenfalls an. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Siemens Joe Kaeser war mit von der Partie und auch die Kabarettisten Eckart von Hirschhausen und Bodo Wartke – um nur einige zu nennen.
Während es Letzteren jedoch freisteht, an einem solchen Event teilzunehmen, da sie als Privatpersonen auftreten, zeigt sich durch die zahlreiche Anwesenheit von politischen Repräsentant:innen die noch immer starke Verquickung von Staat und Kirche, während sich die Gesellschaft – veranschaulicht nicht zuletzt durch die niedrigen Besucherzahlen – zum überwiegenden Teil von der Kirche abgewandt hat. Gerne wird als Gegenargument angeführt, dass die Politiker:innen sich auf einer gesellschaftlich relevanten Plattform zu politischen Themen äußern würden – eine augenscheinliche Trennung, die in diesem Jahr kein geringerer als das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland endgültig verwischte, indem Frank-Walter Steinmeier gar im Rahmen des Eröffnungsgottesdienstes sprach – eine neue Ebene im zur Schau gestellten Schulterschluss eines per Verfassung zur weltanschaulichen Neutralität verpflichteten Staates mit einer Religionsgemeinschaft. Doch auch damit war es noch nicht genug: Der Bundespräsident leitete sogar eine Bibelarbeit. Stolz steht dazu auf der Website des Kirchentages: "In einem bemerkenswerten Schritt vereinte er Politik und Spiritualität."
Dass es diese geistlichen Veranstaltungen sind, welche die Menschen interessieren, die noch auf Kirchentage gehen, stellte der Tagesspiegel in einem bilanzierenden Text fest. Der Kirchentag sollte die Größe besitzen, sich von seinem Anspruch der gesamtgesellschaftlichen Relevanz zu verabschieden und sich seinem Kerngeschäft widmen: Religion und Spiritualität – aber bitte auf eigene Kosten und mit etwas weniger Vereinnahmung einer ganzen Stadt, in der Christen seit 2018 in der Minderheit sind.
17 Kommentare
Kommentare
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Der Religionssoziologe DETLEF POLLACK (*1955), Universität Münster, kam schon vor Jahren in einer Studie aufgrund repräsentativ erhobener Daten zu dem Ergebnis, dass Konfessionslosigkeit überdurchschnittlich oft zusam
Anmerkung: Aufgrund der Veränderungen in der Gesellschaft darf davon ausgegangen werden, dass die Anzahl weiblicher Personen in obiger Studie heute signifikant höher wäre.
Heinz König am Permanenter Link
Jeder, der solchen Lügentreffs fern bleibt, tut der Menschheit einen Gefallen!
G.B. am Permanenter Link
Ich hoffe es werden jährlich immer mehr, denen ein Licht aufgeht über das Übel von Religionen!
Tini Tortellini am Permanenter Link
Aber nein! Kirchentag ist lustig!
https://www.pastafari.eu/2023/06/das-wort-zum-freitag-evangelischer-kirchentag-2023-in-nuernberg/
;-)
Tini Tortellini am Permanenter Link
Wir von der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters Deutschland waren ja auch dem "Markt der Möglichkeiten" auf dem Kirchentag vertreten und hatten sehr viele gute Gespräche mit sehr vielen Leuten.
Bin mir nicht sicher aber es waren... 8 - 12 Leute, die sich bei uns "ambuland enttaufen" lassen haben, sehr viele, die unsere Anliegen, vor allem: Trennung von Kirche und Statt verstehen und befürworten. Fast alle waren sich einig, dass die Kirche unbedingt Veränderungen braucht. Sehr viele Leute waren "Basis" die auf "die da oben" und die verkrusteten Strukturen geschimpft haben.
Lustig war, dass sich viele Besucher unsere Button neben ihren Kirchentagsschal gepinnt haben. Und bei Enttaufungen gab es unser Piratenfisch-Bandana. Manche sind dann mit unserer Bandana auf dem Kopf durch die Hallen neandert :-)
Einige Religionslehrer, die sich freuten, dass wir da waren und sie sich Info's und Materialien über das Fliegende Spaghettimonster mitnehmen konnten: "Meine Schüler sagten mir, dass es Sie gibt!"
Eine Besucherin: "HA! Hier seid ihr ja! Ich habe in der U-Bahn gehört, dass ihr hier seid und habe euch schon gesucht."
Fazit, bzw *ich* meine: Die glauben fast alle nicht mehr so richtig an ihren Gott, an ihre Kirche :-))
Und ich glaube ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir der am meisten fotografierte Stand waren und die, die am meisten für gemeinsame Fotos mit Teilnehmern posiert haben.
Sehr spannend das alles und noch spannender wird, wie sich das weiter entwickelt - im wahrsten Sinne ;-)
Helmut Lambert am Permanenter Link
Dass eine Organisation nimmt, was sie bekommen kann, ist ihr m.E. nicht vorzuwerfen.
Eine Zumutung wieder einmal die Rede des Präsidenten unserer Republick, eine einzige Lobhudelei, als wenn er sich, analog de Maizière, um ein Pöstchen bei der EKD bewerben würde. Beschämend.
David Z am Permanenter Link
Das kommt darauf an, um was es sich für eine Organisation handelt.
Ansonsten teile ich ihre Kritik.
Helmut Lambert am Permanenter Link
An David Z: Wer, wie Sie sagen, höchste moralisch Ansprüche vertritt, wird natürlich der Verbreitung seiner Ansichten auch höchste Bedeutung zumessen und sich deshalb nicht als Raffke sehen....circulus vitiosus.
Dr. Friedwart Uhland am Permanenter Link
Ist Steinmeier tatsächlich immer noch Bundespräsident? Seit Schäuble im Bundestag verboten hat, das Staatsoberhaupt zu kritisieren, dachte ich, er sei im Himmel. De mortuis nil nisi bene.
Bernie am Permanenter Link
Die Satire-Plattform "Horizont" hat da ein interessantes Youtube-Video (relativ kurz) zum Evangelischen Kirchentag veröffentlicht, der sich, was die Übersicht suggerieren könnte, nicht mit der Partei "D
"Der grüne Kirchentag"
Link zum kurzem, aber sehr gut zusammengeschnittenen Video
https://www.youtube.com/watch?v=BpqQ1e_q_6E
Da wundern sich die beim EKD noch, dass Ihnen die "Schäfchen" in Scharen davonlaufen? "Gott ist Quer" und "Black Lives Matter", und "die Klimakleber" nimmt der evangelische Pastor auch noch in seine Predigt auf.
"Gott ist Quer"? Jesus wäre auch Klimakleber?
Hat es damals, im antiken Judäa, auch schon Klebstoff gegeben? Hat Jeus gesagt, dass man ihn ans Kreuz kleben soll damit er für seinen Gay-Gott sterben darf?
Amüsierte Grüße
Bernie
PS: Da weis man doch wieder warum man vor Jahren - zurecht - aus der Kirche ausgetreten ist - bei so Vertretern, auch bei der Evangelischen Kirche, ist es kein Wunder, dass die Schäfchen in Scharen.....
Martin am Permanenter Link
"Horizont" ist eine "Satire-Plattform"? Ich dachte, es sei ein rechter Youtube- und Telegram-Schwurbel-Kanal, der Putin-Propaganda verbreitet. So kann man sich irren!
Wer an Kirche ausgerechnet zu kritisieren hat, daß sie zu "queer friendly" sei und nicht ihre jahrhundertelange Homophobie, hat mit Humanismus nicht viel am Hut.
Bernie am Permanenter Link
Ach Martin, danke für den Hinweis, dass wußte ich so nicht, aber heute wird ja der Begriff "rechter" und "schwurbel" und "Putin-Propaganda" so inflationär in Diskussionen verwendet, dass
Liebe Grüße
Bernie
David Z am Permanenter Link
danke für den Link. Man kann das alles nur noch sarkastisch lachend ertragen. Aber ich muss zugeben, dass selbst dies immer schwerer fällt. Wenn der Irrsinn zur Normalität wird, wird der Normalo zum Fremdkörper.
A.S. am Permanenter Link
Vermutlich verkündet die evangelisch Kirche demnächst: Jesus hat sich für's Klima ans Kreuz geklebt.
A.S. am Permanenter Link
Habe gerade das verlinkte Video angesehen.
Tja, so ist das nunmal mit erfundenen Göttern. Denen kann man alles andichten und in die Schuhe schieben, die wehren sich nicht.
Ich war auf dem Kirchentag. Die Gläubigen, mit denen ich gesprochen habe, hatten sehr wenig Ahnung von der Bibel. Die härtesten Sprüche von Gläubigen:
- Glaube hat nichts mit Religion zu tun. Es geht nur um die persönliche Beziehung zu Jesus.
- Die zwölf Apostel waren Vollpfosten. (Das sehe ich auch so)
- Religion ist Mist, Kirche ist Scheiße. In unserer Gemeinde haben wir keinen bezahlten Pfarrer. Komm uns besuchen!
Von den "Zwölf Stämmen" hat mich auch ein Missionar angesprochen.
Mein Fazit: Da fantasiert sich jeder zusammen, was ihm persönlich als "Glaube" gefällt.
Helmut-Otto Manning am Permanenter Link
Eine gute Nachricht! Leider bereitet sich eine noch gefährlichere Religion gerade rasant aus.
Angela H am Permanenter Link
Auf der Website der "Nürnberger Nachrichten" kann momentan übrigens darüber abgestimmt werden, ob man die staatlichen/städtischen Zuschüsse für den Kirchentag richtig fand.
nn.de>leserforum
Nichts wie hin und entsprechend abstimmen; vielleicht bekommt die hiesige lokale Jubelberichterstattung ("Sommermärchen des Glaubens") wenigstens so doch noch einen Dämpfer.