Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) fordert die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Bundesregierung lässt derzeit eine außerstrafrechtliche Lösung prüfen. Über den Stand der Dinge sprach die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed in Düsseldorf.
Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland seit über 150 Jahren eine Straftat, bleibt aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Diese – auch im internationalen Vergleich – rückständige Gesetzeslage durch die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu ändern, hat sich die Ampelkoalition im Dezember 2021 auf ihre Fahnen geschrieben.
Der Straftatbestand ist einer der Gründe dafür, dass sich die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, in den letzten Jahren nahezu halbiert hat. Zudem sind sie immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Abtreibungsgegner vor allem aus extremen, fanatischen religiösen Vereinigungen veranstalten Mahnwachen vor Praxen oder organisieren Gebetsversammlungen vor Beratungsstellen. Diese Handlungen gehen weit über die grundgesetzliche Meinungsfreiheit hinaus und sind ein zusätzlicher Grund dafür, dass immer weniger Arztpraxen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Dass auf diese Weise Frauen ihrer gesetzlichen Rechte beraubt werden, stellt vor allem in ländlichen Regionen ein großes Versorgungsproblem dar.
Auch mit der damit einhergehenden Stigmatisierung der Frauen soll nun aber offenbar endlich Schluss sein.
Unter Federführung der Ministerien für Justiz, Gesundheit und Familie wurde – wie im Koalitionsvertrag festgehalten – im März 2023 die "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" eingesetzt. Diese befasst sich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs möglich ist.
Die Kommission ist ein interdisziplinär zusammengesetztes Gremium aus 18 Expertinnen und Experten aus den Fachbereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Gesundheitsweisen, Ethik und Rechtswissenschaften. Eine der beiden Arbeitsgruppen, in die ausschließlich Frauen und keine Kirchenrepräsentanten berufen wurden, ist mit der Aufgabe betraut, die Möglichkeiten der Regulierung für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches zu prüfen.
Insgesamt 39 Vereine und Organisationen haben bisher Stellungnahmen eingereicht: Von A wie Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) bis Z wie Zentralrat der Konfessionsfreien.
Auch das 2017 von der Giordano-Bruno-Stiftung gegründete Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) wurde zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladen.
Zu welcher Einschätzung das ifw gelangt ist und wie sich die neueren Entwicklungen in der Thematik darstellen, darüber berichtete die Strafrechtlerin und stellvertretende Direktorin des ifw, Jessica Hamed, im Rahmen des Januar-Themenabends des AK Säkulare der SPD Düsseldorf.
Das ifw spricht sich dafür aus, den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig, das heißt ohne jegliche Fristen, zu legalisieren und die Paragrafen 218 ff. StGB zu streichen. Auch der Zentralrat der Konfessionsfreien sowie die Organisation pro familia plädieren für eine außerstrafrechtliche Regelung der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren ohne Fristen und Indikationen.
Ende 2023 hatte Jessica Hamed das ifw-Gutachten der Kommission in Berlin vorgestellt. Auch der Zentralrat der Konfessionsfreien war zum gleichen Zeitpunkt vor Ort mit seiner Stellungnahme (dies allerdings erst auf ausdrückliche Nachfrage des Zentralrats, ebenfalls eine solche einreichen zu können).
Paragraf 218 StGB Teil der "unrühmlichen Liste der Sittlichkeitsparagrafen"
In einem dichten Vortrag begründete Jessica Hamed die ifw-Forderung der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs anhand der zusammenhängenden rechtslogischen Inkonsistenzen der Gesetzgebung schlüssig – auch für juristische Laien. Darüber hinaus widerspreche die Beratungspflicht – so Hamed – dem Bild der "mündigen Bürger*innen im liberalen Rechtsstaat, denen Eigenverantwortlichkeit abgesprochen wird".
Durch die bedingungslose Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs würde sich mutmaßlich auch gar nichts ändern, so die Juristin. Bestes Beispiel dafür sei Kanada. Obwohl dort der Schwangerschaftsabbruch bereits im Jahre 1988 entkriminalisiert wurde und auch keinerlei Fristen existieren, werden dort ein Drittel weniger Schwangerschaftsabbrüche als in den USA durchgeführt; 90 Prozent der in Kanada durchgeführten Abbrüche fänden im ersten Trimester statt und fast alle Abbrüche nach der 20. Woche würden wegen fötaler Anomalien durchgeführt. Auch in Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach Ablauf der zwölften Woche nach Empfängnis möglich und rechtmäßig, wenn eine medizinische Indikation ausgestellt wird.
Schon die sogenannte Lancet-Studie aus dem Jahr 2007 verdeutlichte, so Hamed, dass die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen keine Auswirkungen auf die Häufigkeit des Schwangerschaftsabbruchs hätten. Im übrigen würden auch die "Strafzwecke" nicht erreicht, da keine Abschreckung anderer erfolge und eine "Resozialisierung der Täterin" nicht notwendig sei.
Der Paragraf 218 StGB reihe sich ein in die "unrühmliche Liste der Sittlichkeitsparagrafen", resümierte Hamed, und damit in die Ideologisierung des Rechts. Dabei sei "eine der Lehren der totalitären deutschen Vergangenheit insbesondere die Zurückhaltung im Umgang mit der Kriminalstrafe". Es bleibe festzustellen, dass mit Paragraf 218 StGB das Strafrecht zum Selbstzweck erhoben wurde.
Zu welchen Ergebnissen die Kommission in der Frage der Streichung von Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch kommen wird, ist völlig offen. Erste Stellungnahmen werden im Frühjahr erwartet.
Weitere im Koalitionsvertrag festgehaltene Zusagen zur reproduktiven Selbstbestimmung lassen derweil hoffen:
"Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen. Wir stellen die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung wird auch künftig online möglich sein. (…) Wir wollen Krankenkassen ermöglichen, Verhütungsmittel als Satzungsleistung zu erstatten. Bei Geringverdienenden werden die Kosten übernommen. Wir wollen die Forschungsförderung für Verhütungsmittel für alle Geschlechter anheben."
Kritisch wird in der Gesamtschau bereits jetzt der relativ späte Zeitpunkt der Konstituierung der Kommission gesehen. Auch hätte man die längst überfällige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs direkt in den Koalitionsvertrag schreiben können.
Offenbar tut sich ausgerechnet die FDP schwer mit einer Modernisierung des Strafrechts an dieser Stelle. In einer Antwort der FDP auf die Wahlprüfsteine des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung vor den letzten Bundestagswahlen heißt es dazu:
"Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen wird von der Rechtsordnung unter den Bedingungen der §§ 218a ff. StGB toleriert. Dieser Kompromiss ist das Ergebnis einer langen gesellschaftlichen Diskussion und sollte aus Sicht der Freien Demokraten in seiner Grundkonstruktion auch nicht angetastet werden."
Vor über 30 Jahren, am 28. Mai 1993, hatte das Bundesverfassungsgericht sein zweites Abtreibungsurteil verkündet. In Deutschland gilt seitdem für den Schwangerschaftsabbruch das sogenannte Beratungskonzept, das faktisch als Fristenregelung mit Beratungspflicht wirkt.
Die Haltung der SPD in dieser Frage war immer klar: Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch!
Neben zahlreichen säkularen Genossinnen und Genossen hatten sich an dem Abend auch viele Akteure aus dem Netzwerk des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung von nah und fern zugeschaltet: HVD, pro familia, Terre des Femmes, die Giordano-Bruno-Stiftung – um nur einige zu nennen.
Die anschließende Diskussionsrunde bewies deutlich, wie groß die Dringlichkeit einer Gesetzesänderung ist. Konkret berichtete eine Teilnehmerin aus dem medizinischen Bereich von Anrufen in Arztpraxen mit Beschimpfungen bis hin zu Gewaltandrohungen. Die Aufhebung von Paragraph 219a hat zu keiner Verbesserung geführt.
Nun bleibt nur noch ein kurzes – manche sagen: historisches Zeitfenster, um den Paragrafen 218 ein für alle Mal aus dem Strafgesetzbuch zu tilgen.