Die größte Videospieleplattform "Steam" des Softwareunternehmens Valve nahm kürzlich Hunderte Videospiele von ihrer Plattform. Der Grund: Zahlungsdienstleister wie Mastercard, Visa oder PayPal drohten, die Zahlungsabwicklungen von Valve einzustellen. Hinter dieser Aktion steht ein Kollektiv aus feministisch-religiösen Aktivisten.
Die Grundlage dafür bildet ein kalifornisches Urteil aus dem Jahr 2022, das Visa für die Bereitstellung kindesmissbräuchlicher Inhalte auf einer einschlägigen Pornoseite mitverantwortlich erklärte. Seitdem behalten sich Zahlungsdienstleister vor, die Kooperation mit Unternehmen einzuschränken, falls diese Inhalte (hier: Videospiele) vertreiben, die als "riskant" eingestuft werden. Konkret meint das vor allem Inhalte für Erwachsene, die sexuelle Themen bedienen. Hierbei werden zweierlei Sachverhalte in einen Topf geworfen: legale Inhalte – wie die explizite Darstellung romantischer Beziehungen oder die kritische Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder – und illegale Inhalte, wie die Verherrlichung von Missbrauch und sexueller Ausbeutung.
Doch warum wurden genau jetzt so viele Spiele mit den fraglichen Inhalten von der Plattform genommen? Auslöser war die Veröffentlichung eines Indie-Spiels mit dem Titel "No Mercy" auf Steam, das nach kurzer Zeit massive internationale Kritik hervorrief. In "No Mercy" wurde sexualisierte Gewalt in Familien in den Mittelpunkt des Spiels gerückt, wobei in der Spielbeschreibung Aussagen wie "Akzeptiere kein Nein als Antwort" oder "Besitze jede Frau" nachzulesen waren. Vorwürfe, das Spiel würde Vergewaltigungen und Inzest in der Familie verherrlichen, folgten auf dem Fuß.
Valves mangelnde Zugangskontrollen zu den Veröffentlichungen auf ihrer Plattform spielten der australischen NGO Collective Shout (CS) in die Karten, die seit Langem versucht, Videospiele mit fadenscheinigen Begründungen zu zensieren. Bekannte Namen wie "Grand Theft Auto V (GTA V)" und "Detroit: Become Human" waren bereits Ziel von CS, wobei deren Anschuldigungen, dass Gewalt gegen Kinder und Frauen verherrlicht werde, ins Leere liefen.
CS beschreibt sich selbst als Graswurzelbewegung, die sich gegen die Objektifizierung von Frauen und Sexualisierung von Mädchen sowie die "Pornifizierung" der Gesellschaft einsetzt. Ihre Gründerin Melinda Tankard Reist versteht sich zudem als Feministin und überzeugte Christin, die sich "durch das weltweite Leid und die Ungleichbehandlung von Frauen und Mädchen" in ihrer Arbeit motiviert sehe.1 Klingt nobel und löblich, oder? Naja, fast. Stöbert man ein wenig auf der Webseite von CS, wird schnell deutlich, dass viele frauenrechtsrelevante Themen eher polemisch bespielt und tendenziell konservativ aufgezogen sind. CS ist zwar keine selbst definierte religiöse Bewegung, arbeitet allerdings eng mit evangelikalen (z. B. Compassion International) und rechtskonservativen (z. B. National Center on Sexual Exploitation) Strömungen zusammen. Tankard Reist ist zudem Gründerin des Women's Forum Australia (WFA), das für seine Anti-Abtreibungs- und Pro-Life-Kampagnen bekannt ist.
Der Fall "No Mercy" war für CS nun das perfekte Vehikel für eine groß angelegte Petition, die auf maximale Skandalisierung sexueller Inhalte in Videospielen abzielte. Hätte CS einfach nur ein problematisches Spiel entfernen lassen wollen, wäre dies problemlos mit einer Anzeige bei Valve möglich gewesen und der Drops wäre schnell gelutscht gewesen. Mit der medialen Aufmerksamkeit, die CS auf "No Mercy" richtete, erreichte das Spiel hundertmal so viele Abrufe wie selbst die Spiele-Entwickler konstatierten. Das Ziel war also nicht das problematische Spiel, sondern die Platzierung der eigenen Moralvorstellungen über das Medium der Zahlungsdienstleister – und das mit Erfolg.
Letztlich sprechen wir also über eine Form der Zensur: Zahlungsdienstleister haben die Macht zu bestimmen, welche Videospiele erworben werden dürfen – auf der Basis eigens festgelegter Definitionen dessen, was als problematisch zu werten ist und was nicht. Damit erfolgt ein indirekter Eingriff in die Kunstfreiheit, mit der Folge, dass Publisher (vor allem kleinere) keine Abnehmer mehr für ihre Produkte finden. Man könnte jetzt denken: "Gut so, sexualisierte Gewalt hat auch nichts in Videospielen verloren". Das greift allerdings zu kurz. Videospiele werden heute massenhaft vertrieben und bieten die Chance, über Themen aufzuklären – eben genau die kritische Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, wie das beispielsweise bei dem Spiel "Detroit: Become Human" der Fall ist. Auch Entwickler von queeren Spieleinhalten sehen sich nun unter Druck gesetzt. Dürfen jetzt noch Videospiele veröffentlicht werden, die Homosexualität oder Trans-Themen adressieren?
Es wird immer Organisationen wie CS geben, die nach Hebeln suchen, um ihre eigenen politischen Ziele umzusetzen – das ist nicht neu. Das Kernproblem besteht allerdings darin, dass Zahlungsdienstleister momentan die Macht innehaben, ihre eigenen Moralvorstellungen allen überzustülpen. Und genau das hat sich CS hier zunutze gemacht. Dass sich die Zahlungsdienstleister bei Straftaten zudem nicht mitschuldig machen möchten – wie das nach dem kalifornischen Urteil 2022 bei Visa geschehen ist – ist nachvollziehbar.
Aus meiner Sicht müssen verpflichtende und transparente Kontrollmaßnahmen der Videospielplattformen her, die ein zu veröffentlichendes Spiel hinsichtlich der Überschreitung strafrechtsrelevanter Sachverhalte prüfen. Warum bei grundsätzlich seriös arbeitenden Organisationen die Zahlungsdienstleister plötzlich in Mitverantwortung gezogen werden sollten, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls muss das Einfallstor für rückwärtsgewandte Moralvorstellungen dringend wieder geschlossen werden.
1 Gleeson, K. (2013). From Suck magazine to corporate paedophilia. Feminism and pornography – Remembering the Australian Way. In Women's Studies International Forum (Vol. 38, pp. 83-96). Pergamon. ↩︎







4 Kommentare
Kommentar hinzufügen
Netiquette für Kommentare
Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare vor der Veröffentlichung zu prüfen und über die Freischaltung zu entscheiden.
Kommentare
David See am Permanenter Link
ich als Spieler fände es gut wenn es keine queeren themen in videospielen gibt.
früher war das so und das ist auch gut so
Andreas Leber am Permanenter Link
Der Einwand "du musst das ja nicht spielen" liegt zwar nahe, aber die ablehnende Meinungsäußerung teile ich.
Tobias Krahm am Permanenter Link
Ich als Spieler finde es gut, dass es queeren Themen in videospielen gibt.
Das ist schon länger so und das ist auch gut so.
Wenn du keine Spiele mit queeren Themen magst, kaufe einfach keine Spiele mit queeren Themen.
Deine persönlichen Präferenzen sind nicht bedeutender als die Freiheit anderer Menschen.
Petra Pausch am Permanenter Link
Ach was? Dann erzählen Sie uns doch mal, was an Last of Us zum Beispiel gestört hat.
Wenn ich das schön höre: "Früher war alles besser"... ja dann gehen Sie doch Gummihopse spielen. Und träumen Sie weiter von einer statischen Welt.