Rechtspolitische Positionen vorgestellt

BERLIN. (hpd) Am gestrigen Sonntag wurden auf einer wissenschaftlichen Tagung

der „Humanistischen Akademie Berlin“ (HAB) die in ihrem Auftrag erstellten „Rechtspolitischen Grundvorstellungen und Kernforderungen der säkularen Verbände, unter besonderer Berücksichtung des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD)“ der Öffentlichkeit vorgestellt, rege diskutiert und dem HVD zur weiteren Arbeit und möglichen späteren Beschlussfassung übergeben (Fotos). Die Studie ist in der Anlage dokumentiert.

Autor der Studie ist Dr. Thomas Heinrichs (Rechtsanwalt und Philosoph). Erster Gutachter war Prof. Dr. Johannes Neumann.

Die Präsentation erfolgte als Teil einer Konferenz (Anlage Programm, Fotos) zum Thema „Säkularisation und Freiheitsgarantien des Staates – Humanismus und 'Böckenförde-Diktum'“, deren zweiter Tag „Organisierter Humanismus und Rechtspolitik in Deutschland – Eine Antwort ...“ überschrieben war. Die Referate der Tagung werden in „humanismus aktuell“ Heft 22 (ISBN 3-937265-10-4) im Frühsommer 2008 erscheinen. Die Dokumentation kann schon jetzt bestellt werden.

Zur Studie

Heinrichs ging von der Frage aus, warum die weltanschaulichen und humanistischen Verbände, wenn sie schon politische Forderungen vertreten, diese Forderungen nicht direkt als politische Partei vortragen? Was leisten sie, was die politischen Parteien nicht leisten (können)? Er kam zu dem wohl richtigen Schluss: Es scheint ein Bedarf an weltanschaulichen Dienstleistungen zu bestehen und es scheine für den Staat sogar vorteilhaft zu sein, „wenn solche Dienstleistungen durch relativ staatsunabhängige, weltanschauliche Verbände erbracht werden“.

Die „Rechtspolitischen Positionen“, so Thomas Heinrichs in seiner historischen Herleitung und Begründung der Studie, reagieren erstens auf eine Lücke in der Rechtspolitik selbst, nämlich das weitgehende Fehlen einer Gesamtschau auf die Vorstellungen und Forderungen von Organisationen der Konfessionsfreien, besonders den Humanisten unter ihnen. Das könne auch die Studie nicht leisten.

Zweitens zeige die Studie selbst noch Lücken hinsichtlich bestimmter Felder (z.B. Arbeitsrecht). So ist das Wirken der Verbände breiter als deren formuliertes derzeitiges rechtspolitische Vorstellungsvermögen.

Drittens sei deutlich geworden, dass es eines klareren Verständnisses dessen bedarf – eben auf Seiten der Organisationen selbst – wie sie ihr Verhältnis zum Staat, zu dessen Institutionen und zur Gesetzgebung gern geregelt hätten. Hier gehe es nicht einfach um Rechtspolitik, sondern um das Staats- und Verfassungsverständnis generell. Abstrakte Losungen wie die der „vollständigen Trennung von Kirche und Staat“ seien heute überholt, nicht nur, weil sie aus der Vor-Weimarer Zeit stammen, sondern weil die Rechtspraxis wie das Handeln der Organisationen ganz anders ist als damals.
Heute bedürfe die Idee der „Gleichbehandlung“ tieferer Denkanstrengungen hinsichtlich der Frage, worin die Gemeinwohlfunktion „säkularer“ Organisationen eigentlich bestehe bzw. bestehen solle und was ihre Sozialfunktion sei zur Herstellung „positiver Sozialität".

Viertens ergebe sich aus den schon jetzt formulierten Positionen gerade für den HVD eine große intellektuelle Aufgabe, nämlich mehr für die kulturelle Begründung des Verhältnisses zum Staat aus der eigenen Weltanschauung heraus zu leisten – wo der HVD Teil der Staatsorganisation sein wolle (Körperschaftsrechte, Antrag auf humanistische Soldatenberatung, Lebenskunde ...) und wo er in Konkurrenz dazu stehe, die Staatsorganisation also ändern wolle.

Zum Gutachten

Johannes Neumann unterstützte ausdrücklich die in der Studie gemachten Aussagen. Um deren Sinnfälligkeit und politische Brisanz hervorheben, argumentierte er ausführlich in mehreren Thesen.

Er fragte erstens, was es bedeute, dass die säkularen Verbände 200 Jahre jünger seien als die Kirchen und, zweitens, was daraus folge, dass die religionspolitischen Privilegien heute unter dem Gebot der Gleichbehandlung stünden, was ja auch bedeute, dass der Staat keine konfessionellen Prioritäten setzen dürfe, es ihm also verwehrt sei (trotz anderer Praxis), für die „eine Konfession mit Liebe, für die andere jedoch nur nach Pflicht zu sorgen“. Er müsse alle religiösen und weltanschaulichen Verbände gleichermaßen unterstützen.

Drittens sei es Aufgabe des Staates, auch den säkularen Verbänden jenen Raum zu gewähren, den er den Kirchen und den anderen Religionsgemeinschaften gewähre, und zu sichern, dass deren Angehörige im Staat eine Heimstätte finden können, die auch religionslosen Bürgerinnen und Bürgern gleiche Rechte und die Ausübung ihrer Pflichten ermögliche.
Es dürfte wenig Sinn und Aussicht auf Erfolg haben, so Neumann, mehr zu fordern als diese gleichen Rechte. Angesichts der Forderung nach gleichen Rechten und Möglichkeiten dürfte jede neue Datailforderung, die mehr ist als eine Forderung nach Gleichheit, ein Stolperstein auf dem Weg dorthin sein.
Auch dürfe man nicht in die Falle jener laufen, die behaupten, nur Gleiches sei gleich zu behandeln. Vielmehr müsse der zeitlich Spätere und der zahlenmäßig Kleinere die gleichen Chancen bekommen, wie die Etablierten. Sonst ist keine soziale Entwicklung möglich.

Viertens spiele dabei sicher die juristische Qualität einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ eine wichtige Rolle. Die Humanisten sollten aber bedenken, dass diese Rechtsform in Bezug auf die Kirchen inzwischen nur mehr eine höchst fiktive Größe ist, da den Kirchen keine wie immer gearteten hoheitlichen Kompetenzen für den staatlichen Bereich zukommen. Sie seien seit Weimar keine Organe der Staatsverwaltung. Für die Kirchen ist es ein reiner „Ehrentitel“, mit dem ihre „Staatstreue“ und die „Gewähr der Dauer“ ihres Bestandes bestätigt werden. Werden ihnen jedoch aufgrund dieses Charakters irgendwelche Vorrechte eingeräumt, wäre das ein Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz.
Immer dann also, wenn bestimmte Vorrechte mit dem Verweis auf bestehende Verträge begründet werden, sei eine rechtliche, möglicherweise gerichtliche Überprüfung angezeigt.

Zu den Aussichten

Neumann schloss sein Referat mit dem Hinweis darauf, dass ein Humanismus, der angesichts der vielen fundamentalistischen Bedrohungen überleben wolle, sich selbst und der Gesellschaft vermitteln müsse, dass Freiheit und Verantwortung Maßstäbe seien, „die dem Leben Sinn geben, auch wenn wir wissen, dass unsere Entscheidungsfreiheit in vielfältigen Formen prädisponiert und darum eingeschränkt ist. Dazu kommt, dass die bislang vertrauten Zusammenhalte und Traditionen durch die Entwicklungen der Moderne weithin brüchig geworden, ja sind zerstört und werden weithin destruiert.“ Es gehe um Vertrauen und Zutrauen uns selbst gegenüber, dann auch gegenüber jenen, die uns vertrauen. „Wem das zu wenig ist, und der für einen geistlichen Mehrwert plädiert, schaue in die Realität des Glaubens: wo er funktioniert, sind die sozialen Bezüge in Ordnung, besteht Vertrauen und Zuwendung. Auf diese beiden Haltungen gründet unsere humanistische Ethik. Auch die Religionen haben keinen anderen tragenden Grund anzubieten!“

Dr. Horst Groschopp, der als Direktor der „Humanistischen Akademie“ die Tagung geleitet hatte, versuchte in den stets sachlichen, sehr regen und anregenden Debatten zwischen theoretischem Streit und verbandpolitischen Positionen zu moderieren. Er stellte das Thema der kommenden Tagung vor, die am 15./16. November 2008 in Berlin stattfinde „Was ist heute Humanismus? Humanismus in Deutschland zwischen Antikerezeption und Weltanschauungskampf“. Er dankte allen Teilnehmenden und wünschte am Schluss der Tagung: „Bleiben Sie uns bitte kritisch gewogen.“

GG