Kommentar

Gehören Muslime zu Deutschland?

BERLIN. (hpd) Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit Ihrer gestrigen Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag Haltung bewiesen und sich deutlich für die Grundrechte ausgesprochen und Antisemitismus und Rassismus eine klare Absage erteilt. Allerdings ist auch diese Rede nicht kritiklos geblieben.

“Freiheit und Toleranz haben niemals das geringste Verständnis für Gewalt durch Links- oder Rechtsextremismus, für Antisemitismus oder für Gewalt im Namen einer Religion. Freiheit und Toleranz sind ihre eigenen Totengräber, wenn sie sich nicht vor Intoleranz schützen. Religionsfreiheit und Toleranz meinen nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz steht. Freiheit und Toleranz bedeuten, nicht wegsehen oder das Messen mit zweierlei Maß.”

Das sind deutliche Worte in einer Zeit, in der es Pegida noch immer gelingt, in Dresden die Menschen in Massen zu mobilisieren und eine Woche nach den Terroranschlägen von Paris. Auch wenn Angela Merkel weder Pegida noch die AfD erwähnte, war allen Medienvertretern klar, an wessen Adresse sich diese Worte richteten.

Beachtenswert ist dabei vor allem der Satz, der sich vorrangig auf Konsequenzen auf die Terrorakte von Paris bezog: “Religionsfreiheit und Toleranz meinen nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz steht”, den man getrost mit “Religionsfreiheit und Toleranz meinen nicht, dass im Zweifelsfall irgendeine religiöse Vorschrift über dem Grundgesetz steht” gleichsetzen sollte. Diese Aussage wird dann jedoch von der Bundeskanzlerin relativiert. Denn sie stellt fest, dass Terror, der im Namen einer Religion geschieht, mit der Religion nichts zu tun haben kann. “Wahrscheinlich hat sie mit einer speziellen Auslegung von Religion zu tun, die in der Anmaßung besteht, an der Stelle Gottes handeln, strafen, töten zu dürfen. Das aber ist für mich Gotteslästerung; nichts anderes.”

Der Bundeskanzlerin ist zu empfehlen, einen Blick in die sog. “Heiligen Bücher” der drei großen monotheistischen Religionen zu tun, um sich selbst davon zu überzeugen, dass so ziemlich jede von ihnen zu Gewalt aufruft. Und zwar immer zu Gewalt gegen Andersgläubige. Nach der Merkelschen Logik wäre dann jede Religion Gotteslästerung.

Gegen ihre Aussage regte sich selbst im Bundestag Widerspruch. Bundestagspräsident Norbert Lammert zum Beispiel hatte in seiner Rede zuvor noch eine klare Verbindung gezogen zwischen Religion und Tat: “Es stimme nicht, dass der Islam nichts mit islamistischer Gewalt zu tun habe. Genauso wenig, wie die Kreuzzüge oder Hexenverbrennungen nichts mit dem Christentum zu tun gehabt hätten. Die Zusammenhänge seien ‘jeweils offenkundig’.” Allerdings stellte er klar: “Unser Gegner ist nicht der Islam, sondern der Fanatismus.” Er mahnte jedoch, dass vor den Gräueltaten von Islamisten nicht die Augen verschlossen werden dürften.

Die christlich-jüdische Tradition

Die Bundeskanzlerin sagte in der Regierungserklärung auch den einen von vielen Medien zitierten Satz: “Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.” Über die Benutzung des Wortes “aber” am Anfang des vierten Satzes müsste man eigentlich auch noch reden; aber von Interesse ist hier vor allem der Hinweis - wieder einmal - auf “unsere christlich-jüdische Geschichte.”

Diese christlich-jüdische Geschichte oder Tradition gibt es so nicht und gab es nie. Weder in Deutschland noch in Europa. Unbestritten gibt es eine christliche Tradition; und unbestritten haben viele jüdische Intellektuelle die wissenschaftliche, literarische und wirtschaftliche Geschichte des Landes und des Kontinents geprägt. Aber von einer Tradition zu sprechen bei einer jahrhundertelangen Unterdrückung, Verfolgung und - im Dritten Reich - Vernichtung der jüdischen Minderheit von einer christlich-jüdischen Tradition zu reden, grenzt an Geschichtsklitterung.

Auch fehlt in ihrer Aussage, dass es bei den Angriffen von Paris “um zwei der großen Übel unserer Zeit [ging], die nicht immer, aber häufig Hand in Hand gehen: um mörderischen islamistischen Terrorismus und Antisemitismus” der Hinweis, dass der Antisemitismus auch und gerade unter muslimischen Jugendlichen sehr verbreitet ist. Davor die Augen zu verschließen widerspricht gerade dem, was die Kanzlerin in ihrer Rede forderte.

Weiter sagte sie: “Die Menschen fragen mich, welcher Islam gemeint ist, wenn ich diesen Gedanken zitiere. … Ich sage ausdrücklich: Das sind berechtigte Fragen. Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig, und ich halte sie für dringlich. Ihr kann nicht länger ausgewichen werden.”
Das ist richtig. Doch sollen diese Fragen wirklich allein durch die “Geistlichkeit des Islam” geklärt werden? Wäre es nicht ratsamer, diese Aufgabe in der gesamten Gesellschaft und öffentlich zu diskutieren?

Allerdings steht zu vermuten, dass die Politik wie bisher einzig mit den muslimischen Verbänden sprechen wird, die eine eher konservative Richtung vertreten. Es ist sehr zu hoffen, dass sie auch mit Kritikern wie Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek oder mit Mouhanad Khorchide, der für einen liberalen Islam steht.

Kritik von Hamed Abdel-Samad

Scharfe Kritik an der in der Regierungserklärung wiederholten Aussage Merkels, dass der Islam zu Deutschland gehört, übte Hamed Abdel-Samad. Der Politikwissenschaftler und Autor schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass die Bundeskanzlerin dann auch verpflichtet sei, zu erklären, von welchem Islam sie spricht. “Gehört die Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige auch zu Deutschland? Was ist mit dem Dschihad? Was ist mit Polygamie? Was ist mit der Todesstrafe für Apostaten? Was ist mit Körperstrafen für Diebe und Ehebrecher und Alkoholtrinker? Was ist mit Frauenrechten, die im Islam kaum vorhanden sind? Was ist mit Sklaverei, die im Islam nicht verboten ist? Was ist mit dem Recht der Kinder, angstfrei erzogen zu werden und nicht mit der Drohung mit Höllenqual aufzuwachsen?”

Bei Handelsblatt-Online wird er zudem mit den Worten zitiert: “Frieden entsteht nicht, wenn man die authentischen islamischen Passagen ausblendet, die die Mörder benutzten, um ihre Anschläge zu legitimieren. Sondern indem man sie beleuchtet und ehrlich diskutiert.” Solche Passagen gäbe es sowohl im Koran als auch in der autorisierten Biographie und Überlieferung des Propheten. “Statt zu behaupten, die Anschläge in Frankreich hätten mit dem Islam nichts zu tun, müssten daher Theologen und Islamvertreter entweder diese Passagen für nichtig erklären oder zugeben, dass Mohamed in vieler Hinsicht kein moralisches Vorbild für das 21. Jahrhundert sein könne.”

Muslime gehören zu Deutschland

Ein säkularer Staat und eben auch die Regierungschefin eines solchen, sollte nicht darüber diskutieren, ob und wenn ja welche Religion zum Staat gehört. Sondern sich einzig darauf verständigen, dass es unerheblich ist, welcher Religion ein Bürger des Landes angehört. Er ist Staatsbürger und hat deshalb Rechte und Pflichten. Und nur diese und keinerlei religiöse (Vor)Rechte.

Wenn Religion zur Privatsache wird, lässt sich guten Gewissens sagen, dass Muslime ebenso zu Deutschland gehören wie Atheisten, Humanisten, Christen, Juden, Buddhisten, Zeugen Jehovas, Mormonen und und und…