BERLIN. (hpd) Wir fahren die Ernte ein: im vergangen Herbst und Winter wurde den Populisten, die sich um Pegida, Hosega und ähnliche Verbindungen geschart haben, nicht laut und entschlossen genug Einhalt geboten. Heute brennen an jedem Tag Häuser und Sporthallen, in denen Flüchtlinge untergebracht werden sollten. Es ist nur eine Frage von Tagen, bis die ersten Toten zu beklagen sein werden; bis wieder Häuser brennen, in denen Menschen leben.
Die, denen sich viel zu wenige entgegenstellten, als sie von "Deutschland den Deutschen" faselten, als sie wieder "Ausländer raus!" brüllten, mussten sich zwangsläufig berechtigt fühlen, den Worten nun Taten folgen zu lassen. Hat der offenkundig rechtsäugig blinde Staat, haben Polizei oder Staatsanwaltschaft konsequent durchgegriffen, als die Angriffe auf Flüchtlinge häufiger wurden?
Im Gegenteil. Der Innenminister ist sich selbst nach Heidenau nicht zu Schade, von schneller Abschiebung zu reden. Andere bemühen das Wort "Asylmissbrauch", als würde Asyl nicht - aus gutem Grunde (man schaue in die Geschichtsbücher) - generell und jedem grundsätzlich zustehen. Es ist ein Grundrecht und damit kann es nicht missbraucht werden. So wenig wie das Grundrecht auf Meinungsfreiheit oder das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit des Körpers.
Die Ersten und nicht die Schlechtesten, die gegen das dummfreche Gepöbel anschreiben, haben bereits aufgegeben ihre Stimme zu erheben. Heinrich Schmitz und seine Famile wurde so massiv bedroht, dass er nun schweigt. Desillusioniert schreibt er: "Die Mehrzahl der Bevölkerung hat den Staat offenbar schon aufgegeben und begnügt sich damit, sich entspannt am Sack zu kratzen, während andere für sie die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. Nicht mal zur Wahl schleppen [sich] diese Staatsbürger im Wellnessmodus. Es sind ja auch nur die leeren Flüchtlingsheime die brennen, nicht unsere Häuser. Und wenn als nächstes die Flüchtlinge selbst brennen, dann geht uns das doch gar nichts an."
Damit trifft Schmitz ins Dunkelschwarze: die wenigen, die helfen oder gegen diese Zustände protestieren, werden kriminalisiert, die große Mehrheit schaut weg und der braune Mob bestimmt die Tagespolitik. Allerdings nicht die der Politiker.
Immerhin: Bundeskanzlerin Merkel konnte sich nach wochenlangem Schweigen gestern in Heidenau - als der rechte Mob sie dort mit Buh-Rufen empfing - zu einer Art Stellungnahme durchringen. "Wir müssen alle unsere Kraftanstrengung darauf lenken, deutlich zu machen: Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen", sagte sie laut Spiegel-Online. Deutliche Worte hören sich allerdings anders an.
"Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die nicht bereit sind zu helfen, wo rechtlich und menschlich Hilfe geboten ist. Je mehr wir das deutlich machen, umso stärker werden wir sein." Nun, das sollte sie einigen Mitgliedern ihrer Regierung auch mitteilen, damit dieses unverantwortliche Öl-ins-Feuer-Gießen endlich aufhört und die, die verbal zündeln ebenso zur Verantwortung gezogen werden wie die, die Brandbeschleuniger in Sporthallen platzieren.
Etliche von denen, die sich selbst als "das Volk" bezeichnen und vor Asylbewerberheimen rumgrölen, sind "stolz darauf, Deutscher zu sein", als wäre das ein Verdienst.
Deutschland ist das Land, in dem die NSU ein Jahrzehnt aus dem Untergrund morden konnte und in dem die Verantwortlichen für die "Ermittlungspannen" bis heute nicht zu eben dieser Verantwortung stehen. Es ist das Land, in dem Sätze, die mit "ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber..." beginnen, keinen Widerspruch mehr hervorrufen. Das Land, in dem bei den Ausschreitungen des Mobs wie in Heidenau nicht die brüllenden Rechten verjagt werden, sondern die, die das Asylbewerberheim schützen vor diesem Mob und Journalisten verhaftet, die darüber berichten wollen.
Das ist das Land, dessen Staatsoberhaupt endlich Rechtsextremisten und Ausländerfeinde als das bezeichnet, was sie sind und etwas später und nur einige Kilometer entfernt erneut Flammen aus einer Sporthalle lodern.
Das ist Dunkeldeutschland im Sommer 2015, ein Land, das Angst macht.
21 Kommentare
Kommentare
Andreas am Permanenter Link
@ Frank Nicolai – Du hast den Brand in der Berliner Sporthalle aufgenommen, obwohl beim Erscheinen Deines Artikels noch nicht endgültig die Brandursache geklärt war ...
Olaf Sander am Permanenter Link
Vielen Dank für diese Wutrede, Herr Nicolai! Meine Unterschrift dazu haben Sie.
Das jahrelange Fremdschämen ohne Gegenrede, die Augenklappe auf Justizias rechten Auge und nicht zuletzt die rechtslastige Politik der Konservativen, verhelfen dem Rassismus, den dumpfen Ressentiments und der Gewaltanwendung gegen alles Fremde zu neuer Blüte. Aber das ist nicht nur in Deutschland so. Ich lebe in Dänemark und sowohl die Sprüche, wie auch die begrenzten Weltsichten, sind gleich zu Deutschland. Längst nicht bei allen und jedem, aber salonfähig genug, um wieder laut und selbstbewusst geäußert werden zu können.
Ich warte wie bekloppt darauf, dass mal endlich ein Spitzenpolitiker sagt, was man, was wir!, gegen die Flüchtlingswellen tun können. Nämlich:
Die Politik des Westens (nicht nur) in den Ländern ändern, aus den die Flüchtlinge stammen. Keine Waffenverkäufe mehr an Länder, in denen ganz offensichtlich keine Demokratie herrscht.
Und wenn Heckler & Koch & Co. daran pleite gehen?
Och... Wir müssen doch alle mal sterben. Viele zu viele von uns Menschen leider viel zu früh. Vor allem wegen Firmen wie Heckler & Koch & Co.
Aber nicht nur keine Waffen dürfen "wir" dorthin verkaufen. "Wir" müssen auch für die Rohstoffe bezahlen, die "wir" dort mit unserem Know how und unter bester Bewachung ausbeuten, egal wie viel Krieg da gerade ist.
Und wenn "wir" merken, dass dadurch höchstens ein paar Diktatoren und deren Vasallen reich werden und das Volk dennoch arm und unterdrückt bleibt, dann sollten "wir" konsequent sein und keine Geschäfte mehr mit diesen Ländern machen.
Aber nicht nur das. "Wir" im Westen müssen auch "unseren" Firmen wie Nestlé klar machen, dass sie das Wasser nicht privatisieren können. Nicht bei uns und auch nicht anderswo auf unserem Planeten. Gelänge das, gäbe es schonmal ein Grund weniger, der Menschen flüchten lässt.
Es gibt noch ungezählt viele weitere Gründe, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen - was sie meistens ohnehin nur dann tun, wenn sogar das nackte Überleben bedroht ist.
Aber die Lösungen dieser Probleme, die es in der Mehrheit zweifelsohne gibt, werden nicht angestrebt werden. Das ist weder mit den europäischen Politikern und auch nicht mit den Völkern zu machen.
Zu viele der schlechten Erinnerungen sind verblasst.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich hätte -trotz allem angeborenen Pessimismus- nicht damit gerechnet, dass ich in diesem Land noch erleben muss, wie der Mob die Straße und die öffentliche Agenda zu beherrschen beginnt.
Das Gesäusel von Frau Merkel in Heidenau kann ich doch nicht als "klare Worte" klassifizieren. Es hätte hier eines ganz andern Tones bedurft. Der dunkelfarbige Mob fühlt sich bei derart windelweichen Statements doch nicht im geringsten berührt.
Ich bin eigentlich der Letzte, der nach der Staatsgewalt ruft. Hier aber ist es richtig und notwendig, konsequent auch mit den Mitteln des Polizei- und des Strafrechts vorzugehen. Oder sind überall V-Leute des Verfassungsschutzes unterwegs?
By the way: Mein Großvater starb 1932 durch den prügelnden und schießenden SA-Mob. Der war damals auch noch keine Staatsmacht, sondern eine Bewegung, die friedlich gegen den Kommunismus demonstriert hat...
Frank Nicolai am Permanenter Link
Danke für die Verteidigung.
Diese Geschichtsvergessenheit geht einher mit einem mehr oder minder deutlichen Rassismus - und wenn das schon Politiker in den Medien ungestraft und kaum widersprochen vertreten - wie viel mehr dann "der Stammtisch"?
Das erzeugte eine Spirale der - erst verbalen, jetzt tatsächlichen - Gewalt, deren Zeugen wir derzeit werden.
David am Permanenter Link
"Doch darum geht es tatsächlich nicht.
Wer fordert denn sowas? Meinen Sie die geplante Einstufung gewisser Staaten als sichere Herkunftländer?
Frank Nicolai am Permanenter Link
Nur so eine Frage: Haben Sie gestern Bayerns Innenminister Joachim Hermann bei Maybrit Illner gesehen/gehört? Der wieder von Asylmissbrauch sprach?
David am Permanenter Link
Nein, die Sendung habe ich leider nicht gesehen. Ich werde versuchen, eine Aufzeichnung im Netz zu finden.
Mit meinem jetzigen Kenntnisstand kann ich an dem Wort nichts falsches erkennen. Es beschreibt den Vorgang, unter falschen Voraussetzungen jenen Status versuchen zu erlangen, den jemand erhält, der die richtigen Voraussetzungen mitbringt.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Sorry, David, ich widerspreche noch einmal. Wie auch andere schreiben: jeder hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Wenn er abgelehnt wird, ist das kein Missbrauch des Antragsrechts.
David am Permanenter Link
"Wenn er abgelehnt wird, ist das kein Missbrauch des Antragsrechts. Irgendwo las ich die Gegenfrage: nennt man jemanden, dessen Bauantrag abgelehnt wurde, Bauantragsbetrüger?"
Wenn die Bearbeitungszeit eines Bauantrags mit finanziellen Vorteilen für den Antragssteller einhergeht und dann der Bauantrag bewusst mit falschen Angaben oder wissentlich unter falschen Voraussetzungen eingereicht wird, dann ist das in der Tat ein Betrugsversuch bzw zumindest eine mutwillige Behinderung der Behörde.
Insofern kann ich den Einwand nicht gelten lassen.
Sven Schillings am Permanenter Link
Sorry, Frank Nicolai, mit dieser Argumentation könnte jede Person aus einem anderen Land nach Deutschland kommen und Asyl beantragen. Gemäß Art. 16a GG genießen nur politisch Verfolgte Asyl, sonst niemand. Wenn z.B.
Eahlstan am Permanenter Link
Mit Verlaub: Asyl steht nicht jedem zu - sonst wäre ja schon die Quote der abgelehnten Anträge nicht so exorbitant hoch.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ad 1: Darum gehts hier nicht. Oder sollen die rechten Aktivisten vielleicht gezielt pöbeln, sozusagen nur so lange, bis jemand seine Anerkennung vorzeigt?
Ad 3: Ich denke, dass niemand, der Frank Nicolais Kritik und Sichtweise teilt, sich Illlusionen über das grundlegende Flüchtlingsproblem macht. Aber nochmal: Das hat mit dem Thema von Frank Nicolais Beitrag, dem Entstehen eines mehr als bedenklichen, fürchterlichen Hetzmob, der auch vor unmittelbaren Straftaten nicht mehr zurückschreckt, überhaupt nichts zu tun.
Eahlstan am Permanenter Link
Wenn es hier nicht darum geht, warum postuliert man es denn?
Im Grunde fordert der Autor hier genau das, was er den Menschen vorwirft die er hier kritisiert: Die Einschränkung ihrer Grundrechte - nämlich der Meinungsfreiheit und der Demonstrationsfreiheit.
Das ist nämlich ebenso beängstigend wie die vom Autor postulierten Morde. Meinungsäußerungen einschränken zu wollen, nur weil sie nicht der eigenen Meinung entsprechen. Das wäre ein Zeichen eines totalitären Staates.
Mord und Brandstiftung sind schon jetzt strafbar, ebenso gewisse Meinungsäußerungen (Volksverhetzung).
Man mag die von diesen Leuten vertretenen Meinungen nicht teilen, sie verbieten zu wollen ist aber auch keine Lösung.
David am Permanenter Link
"Ad 1: Darum gehts hier nicht."
Warum schreibt der Autor dann sowas? Egal, letztendlich geht es beim Thema genau darum. Es geht um unsere unreflektierte Handhabung des Sachverhalts Asyl, sowohl sprachlich als auch faktisch - und mit dem erwähnten Satz scheint eben genau diese unreflektierte Handhabung auch in diesem Artikel durchzuleuchten. Die Entstehung der derzeitigen aggressiven Fremdenfeindlichkeit originär den Populisten von Pegida zuzuschreiben ("Wir fahren die Ernte ein:..."), zeigt mMn einmal mehr diese Grundproblematik des Ausweichens.
Davon abgesehen teile ich die Auffasung des Autors, dass wir uns weitaus entschiedener gegen die verbale wie physische Gewalt positionieren sollten.
Philo am Permanenter Link
Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen?!
Wie interessant! Sind demnach Politiker auch sich selbst gegenüber intolerant?
Darum heißt es ja auch nicht umsonst, dass Menschenrechte als >Subjektive Rechte< definiert sind - sie können also, wie sonstige Phrasen auch, alles und nichts bedeuten!
An dieser Stelle bin ich gedanklich (mitunter!) bei Karen Duve und ihrem Buch: Warum die Sache schief geht.
Gelesen habe ich dieses Buch zwar (noch) nicht, so ich nur weiß, was für ein "Heißes Eisen" sie damit aufgegriffen bzw. thematisiert hat.
Ein Eisen, das ungleich älter und heißer ist, als alle philosophischen Spielarten der Menschheitsgeschichte zusammengenommen, denn; im Gegensatz zu dummen Psychopathen, die uns eher als Serienmörder vorgeführt werden, sind sie nicht selten dennoch klug genug, um Psychologen auszutricksen, beherrschen intelligente Psychopathen fast zu 100 % die gesammte Menschheit, einschließlich Hirnforscher!
Letztere in sofern, alsdass sie kaum bis gar keinen pompösen Alarm schlagen, sei es nun aus Gründen zur Wahrung der eigenen Lebenssituation, oder aus dieser heraustreten zu können, oder wie auch immer sonst.
Der Gedanke, innerhalb einer Eiseskälte die Ernte einzufahren, mutet in sich schon seltsam an, denn eine solche Situation wünscht sich im öffentlichen Leben niemand - so nicht in Deutschland, oder sonstwo.
Und dennoch plagen sich Menschen weltweit in dieser so umschriebenen Situation.
Die Gründe hierfür sind nicht schwer auszumachen, sofern man um die Tatsache weiß, dass Psychopathen aller Couleur gar nicht erst der Frage nach Ernteerträgen nachgehen, so sie einzig darauf konzentriert sind, andere Menschen möglichst erfolgreich zu manipulieren.
Mit anderen Worten: Es macht ihnen Freude, gesellschaftliche Strukturen zu beherrschen, und das unabhängig davon, ob sich diese aufbauen, oder zerstören, denn wichtig ist nur, dass alles nach ihren Manipulationsgeschicken geschieht.
Es geht also immer und einzig nur darum, zu manipulieren - nichts weiter.
Sie geben vor, was zu tun ist, und bringen andere dazu, ihre Ideen umzusetzen.
Und genau deshalb gibt es Verfolger und Verfolgte, gibt es aufblühende und zerstörte Imperien, gibt es Reiche und Arme, gibt es offene und geschlossene Grenzen, gibt es Überfluss und Mangel ...
Nur eins gibt es nicht, und das ist die Gleichstellung der menschlichen Würde, sowohl nicht hierzulande, als auch nicht in anderen Ländern auf unser aller gemeinsamen Welt.
Und weltweit passieren mehr unnötige Menschenschindereien, als per hpd aufgezeigt werden kann, darum ich auch mit meinen Kommentaren ab und an auf den Umstand anspiele, dass es gar nichts bringt, sich überwiegend mit Folgeerscheinungen zu befassen, sondern es meinen Überlegungen nach sinnvoller wäre, würden aus Ereignissen, wie sie hier thematisiert werden, vorzüglich Prinzipien herausgehoben bzw. betont.
Oder sehe ich das falsch?
Philo
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, Frank. Klare Worte "gegen das dummfreche Gepöbel".
pavlovic am Permanenter Link
Über die Rolle von Polizei und Justiz bei Demonstrationen kann man sich ein Bild machen, wenn man die Geschichte kennt. Man schaue nach "Emil Gumbel - Rechnen gegen den Terror" bei Spiegel Einestages.
Michael Brade am Permanenter Link
"Dunkeldeutschland" - Kandidat für das „Unwort des Jahres 1994“; einzige Bedeutung: aus Sicht eines Bürgers der alten BRD, eine abwertende Bezeichnung für die neuen Bundesländer (ehemalige DDR)
René am Permanenter Link
Ja, schade! Der Begriff ist vom Autor sehr hässlich gewählt worden.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Hallo Michael,
den Begriff hat Gauck benutzt...
René am Permanenter Link
Ich finde das hättest Du im Artikel deutlich machen sollen. Auch Gauck hat mit der "Wiederbelebung" dieses bereits besetzten Begriffs daneben gegriffen.