Mit Hamed Abdel-Samad und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide im Gespräch

Humanismus als letzte Chance des Islams? (2)

hpd: In den 17 Punkten der Gründungserklärung des Muslimischen Forums Deutschland habe ich vermisst, dass Sie sich zur rituellen Beschneidung von Jungen und Mädchen positioniert haben. Halten Sie - provokant formuliert - Vorhautamputation für harmloser als Kopftuchtragen?

MK: Also ich glaube, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man Menschen nicht verstümmelt.
 

hpd: Aber warum fehlt das dann als 18. Punkt?

MK: Weil es eine Selbstverständlichkeit ist.
 

hpd: Das sehen Muslime anders.

MK: Also wenn es um Frauenbeschneidung geht, glaube ich, dass die absolute Masse der Muslime, hoffe ich zumindest, das als grausame, archaische Praktik ansieht.
 

hpd: In Ägypten ist es noch ein großes Problem.

MK: Ja. Die Frage ist, ob das primär islamisch begründet ist. Also, wenn Sie in die Türkei gehen und wegen Mädchenbeschneidung nachfragen, kennen die Leute dort das nicht. Aber in Afrika kennen das Muslime und Nichtmuslime. Es ist eine afrikanische Tradition, die dann einige Muslime natürlich islamisch zu legitimieren versuchen.
 

hpd: Aber im Koran steht auch kein Auftrag zur Knabenbeschneidung – anders als im Alten Testament.

MK: Beschneidung gibt es im Judentum. Das ist eine sehr alte Tradition, die im Lauf der Geschichte kaum für Kontroversen gesorgt hat und über die sich bis heute keiner beschwert hat. Es geht nicht um eine Verstümmelung, sondern um eine Vorhaut, die beschnitten wird. Anders als bei Mädchenbeschneidung, wo in der Tat ein Organ teilweise beschnitten wird. Das kann man beides nicht in einen Topf werfen.
 

hpd: Das heißt: Was ist Ihre Position?

MK: Meine Position: Mädchenbeschneidung muss strafbar sein. Knabenbeschneidung ist in meinen Augen ein legitimer Akt. Ob man sie religiös oder medizinisch begründen will, ist jedem selbst überlassen. Ob man es islamisch oder jüdisch begründen will, ist jedem selbst überlassen. Ich finde, es ist ein legitimer Akt.
 

hpd: Auch als Zwangsbeschneidung? Wenn ein unmündiges Kind oder gar ein acht Tage altes Baby beschnitten wird, ist das immer Zwang. Warum kann man das nicht ab achtzehn Jahren und auf freiwilliger Basis machen?

MK: Wo ist da die Grenze?

HAS: Die Grenze ist das Grundgesetz, die körperliche Unversehrtheit.

MK: Die Frage ist: Ist das Körperverletzung?

HAS: Ja, das ist Körperverletzung. Es ist eine nicht notwendige Körperverletzung. Wenn eine Entzündung da ist, dann okay. Aber so ist es eine nicht notwendige Körperverletzung. Darüber müssen wir mal reden. Es ist genau diese Traditionsgläubigkeit: "Ja ja, weil die Juden und die Muslime das machen, dann sollte man darüber nicht diskutieren." Jetzt erst Recht sollten wir darüber diskutieren.

MK: Darüber sollten Mediziner diskutieren, nicht Theologen.

HAS: Nein, denn das wird auch religiös legitimiert. Auch Mädchenbeschneidung wird unterstützt, weil es auch eine afrikanische Tradition ist aus dem Bereich Äthiopien, Eritrea und Somalia. Je mehr man sich davon entfernt, desto weniger gibt es das. Deshalb haben das die alten Ägypter, die Pharaonen gemacht. Aber der Islam – es gibt auch dazu Texte, wo der Prophet ganz genau sagt, wie viel man wegschneiden soll von der Frau usw.

Also kann man nicht so tun, als hätte das mit dem Islam nichts zu tun. Deshalb müssen wir darüber reden. Der Staat – zumindest hier in Deutschland – garantiert die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Auch ein kleiner Schnitt ist heute strafbar, wenn man das ohne Grund macht. Man muss fragen: Womit hat das Kind das verdient? Das Kind überhaupt nicht, ob es Jude, Moslem, Christ oder Atheist ist! Das Kind kann nicht wählen und wird mit dieser körperlichen Verletzung, wie ich finde, sein Leben lang verbringen müssen. Warum wartet man nicht, bis es selbst imstande ist, das zu entscheiden?

MK: Ich glaube, das sollten Mediziner entscheiden, ob das eine körperliche Versehrtheit ist oder nicht.

HAS: Das ist alles bekannt.

MK: Es gibt solche und solche Positionen. (Nachträgliche Ergänzung durch Prof. Khorchide: Dann sollten die Mediziner untereinander streiten und uns dann aufklären. Wie ich den Islam verstehe, darf nichts legitimiert werden, was eine Körperverletzung darstellt. Die Theologen besitzen aber nicht die Kompetenz, feststellen zu können, was Körperverletzung darstellt, gerade wenn es unklar ist, daher sind sie hier auf die Expertise der Medizin angewiesen.)

HAS: Es gibt natürlich auch die Behauptung, dass Beschneidung Krebs vorbeugt. Also das ist alles ganz dünn, ganz dünn. Da kann man keine wissenschaftliche Erkenntnis daraus gewinnen. Selbst wenn das so wäre, dann wäre das auch Zwangsmedizin. Das heißt: das darf man nicht!
 

hpd: 70 Prozent der Deutschen haben in Umfragen gesagt, dass sie gegen die medizinisch nicht notwendige Beschneidung von unmündigen Jungen sind.

MK: Aber aus welchen Gründen? Ist es ideologisch oder medizinisch begründet?

HAS: Die Ärzte sagen, dass es nicht notwendig ist. Das mündet auch manchmal in Traumata oder in Komplikationen. Also warum geht man so ein Risiko ein? Selbst wenn es ein einziger Fall wäre, dass ein Junge ausblutet und stirbt, weil er Bluter ist. Das weiß man erst, nachdem man ihn verletzt hat und das Blut hört nicht auf. Die Wunde heilt nicht.

MK: Die Beschneidung sollte in den ersten Tagen nach der Geburt erfolgen. Ich bin froh, dass ich mit 15 Tagen beschnitten wurde, sonst wäre ich heute traumatisiert.

HAS: Ich habe mit vier Jahren "nein" gesagt. Und trotzdem…
 

(wird fortgesetzt)