Studie dokumentiert den privilegierten Zugang der Kirchen zur Politik

Die Lobbymacht der Kirchen

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Pressekonferenz am 10.11.2015
Pressekonferenz am 10.11.2015

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Dr. Carsten Frerk
Dr. Carsten Frerk

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Ingrid Matthäus-Maier
Ingrid Matthäus-Maier

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RA Jaqueline Neumann
RA Jaqueline Neumann

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Daniela Wakonigg
Daniela Wakonigg

BERLIN. (hpd) Die Kirchen dürfen keine Sonderrolle einnehmen, wenn es um den Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren geht. So könnte die zentrale Botschaft einer Pressekonferenz zusammengefasst werden, die am Dienstag in Berlin stattfand. Vorgestellt wurden die Ergebnisse einer Studie, welche die "Kirchenrepublik Deutschland" unter die Lupe genommen hat.

Die Idee, sich einmal genauer anzuschauen, wie die beiden großen christlichen Kirchen ihre Interessen gegenüber der Politik und konkret den Parlamenten in Bund und Ländern vertreten, wurde im Sommer 2011 auf einem Arbeitstreffen des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) geboren. Im Herbst 2013 wurde dann der Politikwissenschaftler Carsten Frerk mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt. Die zentralen Ergebnisse seiner über 1.000-seitigen Studie wurden auf der Pressekonferenz präsentiert.

Neben ihm saßen auf dem Podium die langjährige Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Maier und die Anwältin Jacqueline Neumann, die Frerks Ausführungen aus politischer und juristischer Perspektive ergänzten. Die Leitung der Pressekonferenz lag bei der Journalistin Daniela Wakonigg.

Fehlende Rechtsgrundlagen

Zunächst stellte Carsten Frerk heraus, dass es keinerlei Rechtsgrundlagen dafür gibt, die Kirchen zu einem so frühen Zeitpunkt in Gesetzgebungsverfahren einzubinden, wie dies derzeit regelmäßig geschieht. (Jacqueline Neumann zeigte später, dass ein hier immer wieder erwähnter "Erlass" aus den frühen 1970er Jahren tatsächlich gar nicht existiert – es handelt sich lediglich um einen Brief des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt an seine Minister mit der Bitte, die Kirchen über anstehende Reformvorhaben frühzeitig zu informieren.)

Eine zentrale Rolle für die Lobbyarbeit der Kirchen spielen die kirchlichen Büros, die es in Berlin sowie allen Landeshauptstädten gibt. Alleine hier arbeiten etwa 100 Personen daran, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Die Büros sind eingebunden in ein Netz von Arbeitskreisen, Instituten und Kommissionen, deren Fachkompetenz hinzugezogen werden kann, was die Wirkungsmöglichkeiten noch erweitert. Dabei läuft der Kontakt häufig nicht in erster Linie über die Abgeordneten, sondern über die Ministerialbürokratie. Denn anders als die Parlamente werden die Ministerien zumindest auf der "Arbeitsebene" nach Wahlen nicht neu besetzt.

Beträchtliche Eigeninteressen

In den Kommunikationsstrategien sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche wird die Advocacy Arbeit, also der selbstlose Einsatz für die Schwachen und Bedürftigen in der Gesellschaft, immer in den Vordergrund gestellt. Damit soll auch die Aufmerksamkeit davon abgelenkt werden, dass beide Kirchen massive ökonomische Eigeninteressen haben. Als größte private Arbeitgeber, Grund- und Immobilienbesitzer und Anbieter von Bildungs- und Erziehungseinrichtungen interessieren sich die Kirchen für die Arbeit von nahezu allen Ministerien. Es passt ins Bild, dass aus den Akten hervorgeht, dass besonders häufig Kontakt zum Bundesfinanzministerium gesucht wird, wie Ingrid Matthäus-Maier erwähnte.

Ein wichtiges Detail ist der Wechsel von Kirchenfunktionären in die Politik. Durch die in Staat-Kirche-Verträge und Konkordate aufgenommene Formel "Kirchlicher Dienst ist öffentlicher Dienst" ist dies problemlos möglich. Frerk zeigt dies am Beispiel von David Gill, der heute als Leiter des Bundespräsidialamtes fungiert. Nach einem Theologiestudium arbeitete er zunächst als Pressesprecher bei der Gauck-Behörde; nach dem anschließenden Jurastudium war er als Referent im Bundesinnenministerium und beim Berliner Datenschutzbeauftragten tätig, bevor er 2004 juristischer Stellvertreter des Bevollmächtigten des Rates der EKD wurde. 2012 folgte dann der erneute Wechsel in die Politik.

"Gottesfraktionen" in den Parlamenten

Ingrid Matthäus-Maier knüpfte in ihrem Beitrag zunächst an den von Carsten Frerk eingeführten Begriff der "Gottesfraktion" an. Damit ist gemeint, dass es in allen Fraktionen Abgeordnete gibt, die im Zweifel für die Interessen der Kirchen stimmen.

Die frühere Bundestagsabgeordnete führte als Beispiel die Abstimmung über das Verbot "geschäftsmäßiger" Sterbehilfe an. Hier hatte es eine fraktionsübergreifende Mehrheit für einen Gesetzentwurf gegeben, der von den Kirchen großen Beifall erhielt, während mehr als drei Viertel der Bevölkerung ihn ablehnen. Im Vorfeld hatten die drei Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, SPD und Grünen ein gemeinsames Schreiben veröffentlicht, das große Übereinstimmungen mit dem Brief aufwies, den die Kirchen an alle Parlamentarier verschickten. Matthäus-Maier führte hierzu ein atmosphärisch interessantes Details an. Als 2013 ein Antrag der Fraktion der Linken über die Umsetzung des Verfassungsauftrages, die sogenannten Staatsleistungen abzulösen, im Bundestag debattiert wurde, waren acht Redebeiträge vorgesehen. Vier davon jedoch wurden nicht im Plenum gehalten, sondern zu Protokoll gegeben – denn die betreffenden Abgeordneten hatten zum selben Zeitpunkt einen wichtigeren Termin: Sie befanden sich anlässlich des Papstbesuches in der St. Hedwigskirche. (Selbstverständlich waren sie für die verfassungswidrige Fortsetzung der Staatsleistungen.)

Formale Gleichbehandlung ist geboten

Jacqueline Neumann bewertete das zuvor gehörte nun juristisch und machte einige Handlungsvorschläge. Von zentraler Wichtigkeit sei die formale Gleichbehandlung aller Beteiligten. Diese gelte im Bereich der Lobbyarbeit wie im Bereich der Journalismus: Wenn ein externer Akteur (also ein Verband oder eine Reporterin) Informationen erhält, müssen diese allen zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf die Einbindung der Kirchen in die Gesetzgebung sei dies derzeit ganz offensichtlich nicht der Fall. Neumann sprach von einem "exklusiven, intransparenten Verfahren".

Als problematisch sah sie auch die Doppelrolle kirchlicher Lobbyisten als Vertreter der Interessen einer Religionsgesellschaft und Seelsorger von Abgeordneten. Hier stelle sich die Frage, ob "mit Hilfe religiöser Dogmen … eine Nötigungs- und Erpressungssituation" entstehen könne, wenn gläubige Abgeordnete oder Beamte in ihrer Tätigkeit gegen religiöse Normen verstoßen. Hier müsse das "öffentliche Risikomanagement" verbessert werden. Dabei könne an die Lernerfahrungen aus der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität angeknüpft werden.

Als weitere, einfach umzusetzende Handlungsmöglichkeit nannte Neumann die Aufstellung von Befangenheitsregeln für den Bundestag, wie sie im Bereich der Kommunalpolitik längst existieren.

Nach den Vorträgen schloss Daniela Wakonigg die Pressekonferenz, denn es gab keine weiteren Fragen. Offenbar war das Thema erschöpfend dargestellt. Oder die anwesenden Journalistinnen und Journalisten waren sprachlos angesichts einer Lobbymacht, die kaum jemand auf dem Schirm hat und deren Vertreter doch von sich selbst ganz offen und selbstbewusst sagen, dass sie erfolgreicher seien als die Atom- oder Bankenlobby.

Weitere Informationen zum Thema finden sich auf der Webseite kirchenrepublik.de. Eine gekürzte Fassung der Studie ist als Buch erhältlich.