Anmerkungen zu einem Buch über Suizidmethoden von Boudewijn Chabot

Was tun, wenn man eher sterben will?

"Ein Patient kaufte Kapseln in einem Entwicklungsland, die sich als 'fake' (d.h. unecht) erwiesen". Zu lesen unter "Berichte über Fehlschläge" in Tab. 2.4 "Dextropropoxyphen oder D-Propoxyphen". Diese Substanzen sind nicht mehr in Europa erhältlich; man kann sie aber noch über einige Internet-Apotheken in Entwicklungsländern beziehen (wie unter "Availability" angegeben).

"Anti-diabetische Medizin": Dieser Abschnitt endet mit der Warnung: "Da fehlgeschlagene Versuche nicht in die Zeitungen gelangen, entsteht der unzutreffende Eindruck, dass Insulin stets tödlich wirkt."

"Tab. 2.5 Chloroquinphosphat" weist unter "Nebeneffekten" auf Muskelkrämpfe hin und epileptische Anfälle, die bei zwei Personen auftraten, welche nicht zusätzlich Diazepam eingenommen hatten (was dies verhindert). Aus "Tabelle 2.6 Chloroquinsulfat" erfährt man unter "gemeldete Fälle", es gebe zwanzig Berichte, darunter keinen für einen Fehlschlag.

Im Abschnitt "Beobachtungen und Informationen aus der Literatur" geht es um die Behauptung, Diazepam beeinträchtige die letale Wirkung von Resochin. Dort heisst es: "Diese Hypothese ist widerlegt worden durch die Erfahrung von …, der bei über 50 Fällen selbstgewählten Sterbens mittels Chloroquin-Sulfat (Resochin) und 1000 mg Diazepam (Valium) zugegen war." Den Hinweis, dass es ratsam ist, tödliche Medikamente in einer halb-liegenden, mit Kissen abgesicherten Position einzunehmen, um die Gefahr eines Erbrechens (der man ohnehin durch die Einnahme eines Antiemetikums zu begegnen versucht) zu verringern, erhält man übrigens nur in einem der Fallberichte.

Ich habe diesen Malariamitteln vor allem deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil man derzeit in Deutschland Resochin noch (wie lange noch?) von einem Arzt verordnet bekommen kann. Mancher wird fragen, ob es nicht fahrlässig sei, derartige Informationen zu veröffentlichen. Das Dilemma wird immer sein, wie das berechtigte Informationsbedürfnis von Vernunft-geleiteten Bürgern abgewogen werden kann gegen die Pflicht, psychisch extrem gefährdeten Menschen den Suizid nicht zu erleichtern.

Die Verabschiedung des §217 StGB, durch den die Durchführung von rationalen Suiziden nahezu unmöglich gemacht worden ist, hat vermutlich nicht nur bei mir zu einem Umdenken geführt: Viele Katastrophen-Suizide folgen ohnehin altbekannten, schrecklichen Mustern (z.B. sich Erhängen). Ich halte es nicht für eine zynische Feststellung - auch wenn manche mir dies vorwerfen werden -, dass es weniger schrecklich ist, wenn ein Katastrophensuizid wenigstens mit einer professionellen, von unnötigem Leiden und Entstellung freien Methode erfolgt. Daher scheint es mir nicht gerechtfertigt, aus dem Streben nach Suizidprävention das Verbot konkreter Berichte über Suizidmethoden abzuleiten.

Im "Disclaimer" (einer Art von präventivem Dementi) heißt es: "Der Autor dieses Buches hat in keiner Weise den Wunsch, zu Suiziden zu ermutigen, zu denen sich deprimierte (im Engl. 'depressed') Menschen entschließen und die impulsiv, einsam und gewalttätig erfolgen. Ehe jemand nahe am Lebensende eine selbstgewählte, vorzeitige Lebensbeendigung vornimmt – vorausgesetzt, der Wunsch ist wohl-erwogen und beständig – sollte er professionelle Therapie, Palliative Care, spirituellen Trost (falls gewünscht) und andere Hilfe erhalten, die das Leben erträglich machen." Dem wird wohl jeder zustimmen. Es bleibt hinzuzufügen: "nahe am Lebensende" sollte nicht darauf reduziert werden, dass jemand wegen schwerer Krankheit nur noch Tage, Wochen oder Monate zu leben hat. Vielmehr sollten alle Entschlüsse einbezogen sein, die auf der Basis eines schon weitgehend durchlebten Lebens und aus nachvollziehbaren Gründen getroffen werden, kurz: also auch das, was man zuweilen als Alterssuizid bezeichnet oder, wie in der Schweiz üblich, als Altersfreitod.

Gleich drei international angesehene Persönlichkeiten haben dem Buch Geleitworte geschrieben. Faye Girsh, die ehemalige Präsidentin der World Federation of Right to Die Societies, äußert z.B.: "Er [also Chabot] richtet den Blick auf die Zukunft, wenn die vielen alten Menschen und Patienten mit einem schon länger bestehenden, chronischem Leiden oder bevorstehender Demenz die Ärzteschaft überfordern werden mit ihrem Bedarf ['needs'], friedvoll zu sterben." Chabot geht es in diesem Buch allerdings ganz grundsätzlich um Suizidmöglichkeiten, bei denen man erst gar nicht auf Ärzte angewiesen ist, zumal die ärztliche Beihilfe in den meisten Ländern dieser Welt wohl noch lange verboten bleiben wird und selbst dort, wo sie erlaubt ist, Ärzten grundsätzlich zugestanden werden muss, aus Gewissensgründen im Einzelfall die Hilfe zu verweigern.

Die Lösung in der Schweiz – Vereine, die ihren Mitgliedern Suizidhilfe anbieten – erscheint prinzipiell die nächstliegende Antwort auf dieses Dilemma, auch wenn uns in Deutschland jetzt auf unabsehbare Zeit diese Möglichkeit genommen worden ist. Aber selbst in der Schweiz sucht man nach einer weiteren Option, nämlich für solche Menschen, denen Sterbehilfeorganisationen nicht zum Suizid helfen können, da sie ihre Hilfsangebote an Voraussetzungen gebunden haben, die bei vielen Alterssuiziden eben nicht erfüllt sind. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendwann Sterbemedikamente in großem Umfang für Alterssuizide (oder "präventive Suizide") frei erhältlich sein werden.

Die Alternative Sterbefasten ist zwar weitgehend unabhängig von ärztlicher Mithilfe, aber im Idealfall sollte sie einem erleichtert werden durch die Zusage eines Arztes, notfalls zu helfen. Wer ohne eine infauste Prognose zu haben Sterbefasten plant, sollte z.B. versuchen, sich nach und nach eine ausreichende Menge schmerzlindernder bzw. sedierender Medikamente (z.B. Diazepam-Zäpfchen) zu besorgen. Denn in Deutschland und anderswo sind zwar nicht wenige Ärzte bereit, terminalen Patienten (die also nicht mehr lange zu leben haben) beim Sterbefasten zu unterstützen (vergl. Simon A, Hoekstra NL (2015) Dtsch Med Wochenschr 140: 1100–1102), aber Ärzte, die auch Patienten ohne infauste Prognose dabei helfen würden, sind bislang wohl nicht so leicht zu finden. Bei einem Sterbefasten, das sich kürzlich in Berlin zutrug, haben z.B. nach einander drei Ärzte die Begleitung verweigert, weil die 86-jährige Person noch nicht an einer zum Tode führenden Krankheit litt!

Wünscht man also eine Möglichkeit, gänzlich unabhängig von Ärzten vorzeitig aus dem Leben zu gehen, und will man sich nicht über das Internet oder im Ausland Medikamente für das Sterben besorgen (was bei Substanzen, die hierzulande verschreibungspflichtig sind, illegal ist), so bleiben einem wohl nur physikalische Möglichkeiten, derzeit also das Einatmen inerter Gase. Chabot bemerkt hierzu: "Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Gedanke, 'durch Gas' zu sterben, stets einen unheimlichen Klang gehabt, da er für manche den Holocaust in Erinnerung ruft. Aber in Ländern, in denen das Gesetz sterbenskranken Menschen einen ärztlichen begleiteten Suizid nicht erlaubt, sind viele Leute dankbar, dass es Helium gibt und dass es einen schnellen und schmerzlosen Tod ermöglicht."

Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass das Schaffen der technischen Voraussetzungen für einen Suizid mit einem inerten Gas (eine ausführliche Anleitung und ein Fallbeispiel dazu findet man im Buch) auf eine etwas makabre Heimwerker-Arbeit hinausläuft. Denkbar wäre daher, dass zumindest in der Schweiz sich mittelfristig eine neue Vereinigung herausbilden wird, die Sterbewilligen zur Anwendung von Helium o.ä. verhilft, indem sie dafür die komplette Ausrüstung mitbringt und die Durchführung kompetent absichert.

Abschließend sei noch auf sieben Kriterien für einen guten Suizid hingewiesen, die Chabot (anknüpfend an Vorschläge von Philip H. Nitschke, Australien, dem Gründer von Exit International) aufgrund von Interviews mit Angehörigen Verstorbener in den Niederlanden entwickelt hat. Seine Forderungen lauten: keine Gefährdung anderer; größtmögliche Wirksamkeit; friedlicher Tod im Schlaf; das Mittel ist mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen; Verantwortung und Tatherrschaft müssen ganz beim Sterbewilligen liegen; es treten keine bleibenden Schäden auf, falls es zu einem Fehlschlag kommt; der Suizid ist bei der normalen Feststellung der Todesursache schwer zu erkennen.

Hier wird also eine hohe "Messlatte" angelegt. Man legt das Buch am Ende nicht weg in der Hoffnung, dass sich demnächst noch neue Suizidmethoden finden lassen, die diesem Anspruch - der also auch die gänzlich autonome Handlungsmöglichkeit einschließt – genügen.


Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde am 27.11.2019 bearbeitet.