Anmerkungen zu einem Buch über Suizidmethoden von Boudewijn Chabot

Was tun, wenn man eher sterben will?

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MARBURG. (hpd) Einschlafen und nie mehr aufwachen – wäre das nicht ein schöner Tod? Das ideale Mittel hierfür - ein in Deutschland dank des Arzneimittelgesetzes nicht erhältliches Schlafmittel aus der Gruppe der Barbiturate - wird in der Schweiz bei professionellen Suizidbegleitungen eingesetzt. Was jedoch tun, wenn man dieses Medikament nicht legal erwerben kann? Oder wenn man nach Ansicht derer, die einem den Zugang dazu verschaffen könnten, noch nicht genug leidet oder wenn man z.B. durch einen präventiven Suizid einer Demenz entgehen möchte?

Boudewijn Chabot zeigt Alternativen auf in seinem im Sommer 2015 erschienenen Buch "Dignified Dying- A Guide - Death at Your Bidding" ("Sterben in Würde – Ein Wegweiser – Sterben, wenn/wie man es wünscht"). Die Lektüre dieses Buches setzt bei Lesern, die sich mit dem Thema noch wenig befasst haben, zuweilen gehobene Englisch-Kenntnisse voraus. Man kann es als e-book über Internet-Anbieter mit wenigen Mausklicks kaufen (oder als print-on-demand auch in der Druckversion). Es ist für alle von großem Interesse, die sich ausgiebig und verlässlich über Suizidmethoden informieren wollen. Es ist tröstlich für die, die nach Verabschiedung des §217 StGB in einer akuten oder halb-akuten Situation bald einen Suizid vorbereiten möchten und trostlos für diejenigen, die sich eine Zukunft wünschen, in der unkompliziert und nahezu ohne Einschränkungen ein ideales Sterbemedikament – z.B. Natriumpentobarbital - erhältlich ist.

Chabot ist von Haus aus Arzt, nämlich Psychiater, und befindet sich sei einigen Jahren im Ruhestand. Er entwickelte im Laufe der Zeit ein großes Interesse an Möglichkeiten und Problemen selbstbestimmten, humanen Sterbens. Schon 1997 begann er damit, Interviews mit Verwandten von Personen zu führen, die freiwillig aus dem Leben geschieden waren. Außerdem bezieht er Informationen von Aktivisten niederländischer right-to-die-Gruppen, an die er Sterbewillige ggf. verweist. Chabot ist im Bereich der Suizidhilfe also vor allem Theoretiker und Publizist, aber man kann ihn den zwei Deutschen zur Seite stellen, die in den zurückliegenden Jahren Suizidhilfe praktisch und in politischer Absicht geleistet sowie darüber informiert haben, nämlich Christian Uwe Arnold und Johann Friedrich Spittler, der durch seine detaillierten Berichte über Personen, die Suizidhilfe bei "Sterbehilfe Deutschland e.V." in Anspruch genommen hatten (bzw. nicht erhalten hatten), zu einer Versachlichung der Debatte über den rationalen Suizid beizutragen versuchte.

Cover

Chabot klärt nicht nur allgemein, sondern sehr präzise über Möglichkeiten auf, sich mittels geeigneter Medikamente oder durch das Einatmen von Helium auf sichere und humane Weise das Leben zu nehmen. Für beide Varianten wird je ein Fallbeispiel berichtet. Die dritte Möglichkeit, nämlich das Sterbefasten, wird nur kurz in der Einleitung angesprochen, weil es hierüber schon mehrere Bücher gibt. Es werden drei Gruppen von Medikamenten vorgestellt, nämlich Barbiturate, Opiate und Chloroquin, ein nur noch in einigen Übersee-Gebieten wirksames Malariamittel. Die besonders eingehend abgehandelte Helium-Methode wird durch Verweise auf die Alternative Stickstoff ergänzt, weil Helium manchmal Sauerstoff beigemengt ist (allerdings ist Sauerstoff-freies Helium weiterhin erhältlich). Stickstoff ist aber noch sozusagen in der Bewährungsphase – demnächst wird man darüber mehr sagen können.

Chabots Buch ist das reife Ergebnis seiner langjährigen Studien und früherer Veröffentlichungen. Es zeichnet sich durch ein Höchstmass von Empathie mit denen, die ihr Leben selbstbestimmt beendeten und ihren Angehörigen aus, jedoch auch mit dem unbekannten Leser, der möglicherweise aus Verzweiflung oder aber in weiser Voraussicht Rat sucht. Es ist zugleich schonungslos, sowohl durch die Konkretheit der Beschreibungen als auch durch das Eingehen auf Risiken. Es ist klar gegliedert, enthält immer wieder Zusammenfassungen (z.B. "Was man wissen sollte" oder "Was man tun sollte") und geht an verschiedenen Stellen auch auf mögliche Strafverfolgung bzw. diesbezügliche Vorsichtsmassnahmen ein (etwa Videodokumentation; Anhang 2: "Die Rolle von Zeugen beim beabsichtigten Tod"). Chabot erhielt hierfür die Unterstützung eines erfahrenen amerikanischen Juristen. Sein Wissen über Sterbemedikamente ist abgesichert durch die Kompetenz zweier Pharmazeuten und eines Biochemikers.

Hinweis
Wer diesen Artikel für wichtig hält, sollte ihn umgehend in eine Datei kopieren bzw. ausdrucken. Man kann nicht ausschließen, dass der Humanistische Pressedienst nach dem Inkrafttreten des neuen §217 StGB ("Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung") gezwungen sein wird, diesen Artikel zu löschen. 

Damit man sich das Buch etwas besser vorstellen kann, greife ich hier scheinbar willkürlich einige Zwischenüberschriften oder Informationen heraus:

"Das Recht auf Privatheit und Leben in Familie" – hier wird der Wunsch angesprochen, im Kreise seiner Lieben das Leben vorzeitig zu beenden und hierzu ihre organisatorische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies ist in verschiedensten Ländern – übrigens auch in den Niederlanden, nicht jedoch in Deutschland – strafrechtlich bedroht (das Buch ist für eine weltweite Leserschaft geschrieben). Immer wieder betont Chabot, wie wichtig die soziale Geborgenheit für einen guten Tod, gerade im Falle der Selbsttötung ist.

"Warum ein inertes Gas anstatt von Medikamenten?" ist der Titel von Textbox 3.1. Zwei der 5 Antworten lauten: "Ein inertes Gas ist eine Möglichkeit für diejenigen, die sich nicht illegal ein tödliches Medikament besorgen wollen; nicht die Motivation und Willensstärke haben, den Todeseintritt durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit zu beschleunigen."

"Was bekommen die Augenzeugen zu sehen?" wird im Kapitel über inerte Gase gefragt; und ebendort: "Wohin mit der technischen Ausrüstung, nachdem die Person gestorben ist?" Hier erfährt man z.B. einiges über den Sterbeverlauf (von dem der Sterbende nach kürzester Zeit nichts mehr merkt) beziehungsweise über das Risiko, hinterher Besuch von der Kriminalpolizei zu bekommen.

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"Ein Patient kaufte Kapseln in einem Entwicklungsland, die sich als 'fake' (d.h. unecht) erwiesen". Zu lesen unter "Berichte über Fehlschläge" in Tab. 2.4 "Dextropropoxyphen oder D-Propoxyphen". Diese Substanzen sind nicht mehr in Europa erhältlich; man kann sie aber noch über einige Internet-Apotheken in Entwicklungsländern beziehen (wie unter "Availability" angegeben).

"Anti-diabetische Medizin": Dieser Abschnitt endet mit der Warnung: "Da fehlgeschlagene Versuche nicht in die Zeitungen gelangen, entsteht der unzutreffende Eindruck, dass Insulin stets tödlich wirkt."

"Tab. 2.5 Chloroquinphosphat" weist unter "Nebeneffekten" auf Muskelkrämpfe hin und epileptische Anfälle, die bei zwei Personen auftraten, welche nicht zusätzlich Diazepam eingenommen hatten (was dies verhindert). Aus "Tabelle 2.6 Chloroquinsulfat" erfährt man unter "gemeldete Fälle", es gebe zwanzig Berichte, darunter keinen für einen Fehlschlag.

Im Abschnitt "Beobachtungen und Informationen aus der Literatur" geht es um die Behauptung, Diazepam beeinträchtige die letale Wirkung von Resochin. Dort heisst es: "Diese Hypothese ist widerlegt worden durch die Erfahrung von …, der bei über 50 Fällen selbstgewählten Sterbens mittels Chloroquin-Sulfat (Resochin) und 1000 mg Diazepam (Valium) zugegen war." Den Hinweis, dass es ratsam ist, tödliche Medikamente in einer halb-liegenden, mit Kissen abgesicherten Position einzunehmen, um die Gefahr eines Erbrechens (der man ohnehin durch die Einnahme eines Antiemetikums zu begegnen versucht) zu verringern, erhält man übrigens nur in einem der Fallberichte.

Ich habe diesen Malariamitteln vor allem deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil man derzeit in Deutschland Resochin noch (wie lange noch?) von einem Arzt verordnet bekommen kann. Mancher wird fragen, ob es nicht fahrlässig sei, derartige Informationen zu veröffentlichen. Das Dilemma wird immer sein, wie das berechtigte Informationsbedürfnis von Vernunft-geleiteten Bürgern abgewogen werden kann gegen die Pflicht, psychisch extrem gefährdeten Menschen den Suizid nicht zu erleichtern.

Die Verabschiedung des §217 StGB, durch den die Durchführung von rationalen Suiziden nahezu unmöglich gemacht worden ist, hat vermutlich nicht nur bei mir zu einem Umdenken geführt: Viele Katastrophen-Suizide folgen ohnehin altbekannten, schrecklichen Mustern (z.B. sich Erhängen). Ich halte es nicht für eine zynische Feststellung - auch wenn manche mir dies vorwerfen werden -, dass es weniger schrecklich ist, wenn ein Katastrophensuizid wenigstens mit einer professionellen, von unnötigem Leiden und Entstellung freien Methode erfolgt. Daher scheint es mir nicht gerechtfertigt, aus dem Streben nach Suizidprävention das Verbot konkreter Berichte über Suizidmethoden abzuleiten.

Im "Disclaimer" (einer Art von präventivem Dementi) heißt es: "Der Autor dieses Buches hat in keiner Weise den Wunsch, zu Suiziden zu ermutigen, zu denen sich deprimierte (im Engl. 'depressed') Menschen entschließen und die impulsiv, einsam und gewalttätig erfolgen. Ehe jemand nahe am Lebensende eine selbstgewählte, vorzeitige Lebensbeendigung vornimmt – vorausgesetzt, der Wunsch ist wohl-erwogen und beständig – sollte er professionelle Therapie, Palliative Care, spirituellen Trost (falls gewünscht) und andere Hilfe erhalten, die das Leben erträglich machen." Dem wird wohl jeder zustimmen. Es bleibt hinzuzufügen: "nahe am Lebensende" sollte nicht darauf reduziert werden, dass jemand wegen schwerer Krankheit nur noch Tage, Wochen oder Monate zu leben hat. Vielmehr sollten alle Entschlüsse einbezogen sein, die auf der Basis eines schon weitgehend durchlebten Lebens und aus nachvollziehbaren Gründen getroffen werden, kurz: also auch das, was man zuweilen als Alterssuizid bezeichnet oder, wie in der Schweiz üblich, als Altersfreitod.

Gleich drei international angesehene Persönlichkeiten haben dem Buch Geleitworte geschrieben. Faye Girsh, die ehemalige Präsidentin der World Federation of Right to Die Societies, äußert z.B.: "Er [also Chabot] richtet den Blick auf die Zukunft, wenn die vielen alten Menschen und Patienten mit einem schon länger bestehenden, chronischem Leiden oder bevorstehender Demenz die Ärzteschaft überfordern werden mit ihrem Bedarf ['needs'], friedvoll zu sterben." Chabot geht es in diesem Buch allerdings ganz grundsätzlich um Suizidmöglichkeiten, bei denen man erst gar nicht auf Ärzte angewiesen ist, zumal die ärztliche Beihilfe in den meisten Ländern dieser Welt wohl noch lange verboten bleiben wird und selbst dort, wo sie erlaubt ist, Ärzten grundsätzlich zugestanden werden muss, aus Gewissensgründen im Einzelfall die Hilfe zu verweigern.

Die Lösung in der Schweiz – Vereine, die ihren Mitgliedern Suizidhilfe anbieten – erscheint prinzipiell die nächstliegende Antwort auf dieses Dilemma, auch wenn uns in Deutschland jetzt auf unabsehbare Zeit diese Möglichkeit genommen worden ist. Aber selbst in der Schweiz sucht man nach einer weiteren Option, nämlich für solche Menschen, denen Sterbehilfeorganisationen nicht zum Suizid helfen können, da sie ihre Hilfsangebote an Voraussetzungen gebunden haben, die bei vielen Alterssuiziden eben nicht erfüllt sind. Es ist schwer vorstellbar, dass irgendwann Sterbemedikamente in großem Umfang für Alterssuizide (oder "präventive Suizide") frei erhältlich sein werden.

Die Alternative Sterbefasten ist zwar weitgehend unabhängig von ärztlicher Mithilfe, aber im Idealfall sollte sie einem erleichtert werden durch die Zusage eines Arztes, notfalls zu helfen. Wer ohne eine infauste Prognose zu haben Sterbefasten plant, sollte z.B. versuchen, sich nach und nach eine ausreichende Menge schmerzlindernder bzw. sedierender Medikamente (z.B. Diazepam-Zäpfchen) zu besorgen. Denn in Deutschland und anderswo sind zwar nicht wenige Ärzte bereit, terminalen Patienten (die also nicht mehr lange zu leben haben) beim Sterbefasten zu unterstützen (vergl. Simon A, Hoekstra NL (2015) Dtsch Med Wochenschr 140: 1100–1102), aber Ärzte, die auch Patienten ohne infauste Prognose dabei helfen würden, sind bislang wohl nicht so leicht zu finden. Bei einem Sterbefasten, das sich kürzlich in Berlin zutrug, haben z.B. nach einander drei Ärzte die Begleitung verweigert, weil die 86-jährige Person noch nicht an einer zum Tode führenden Krankheit litt!

Wünscht man also eine Möglichkeit, gänzlich unabhängig von Ärzten vorzeitig aus dem Leben zu gehen, und will man sich nicht über das Internet oder im Ausland Medikamente für das Sterben besorgen (was bei Substanzen, die hierzulande verschreibungspflichtig sind, illegal ist), so bleiben einem wohl nur physikalische Möglichkeiten, derzeit also das Einatmen inerter Gase. Chabot bemerkt hierzu: "Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Gedanke, 'durch Gas' zu sterben, stets einen unheimlichen Klang gehabt, da er für manche den Holocaust in Erinnerung ruft. Aber in Ländern, in denen das Gesetz sterbenskranken Menschen einen ärztlichen begleiteten Suizid nicht erlaubt, sind viele Leute dankbar, dass es Helium gibt und dass es einen schnellen und schmerzlosen Tod ermöglicht."

Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass das Schaffen der technischen Voraussetzungen für einen Suizid mit einem inerten Gas (eine ausführliche Anleitung und ein Fallbeispiel dazu findet man im Buch) auf eine etwas makabre Heimwerker-Arbeit hinausläuft. Denkbar wäre daher, dass zumindest in der Schweiz sich mittelfristig eine neue Vereinigung herausbilden wird, die Sterbewilligen zur Anwendung von Helium o.ä. verhilft, indem sie dafür die komplette Ausrüstung mitbringt und die Durchführung kompetent absichert.

Abschließend sei noch auf sieben Kriterien für einen guten Suizid hingewiesen, die Chabot (anknüpfend an Vorschläge von Philip H. Nitschke, Australien, dem Gründer von Exit International) aufgrund von Interviews mit Angehörigen Verstorbener in den Niederlanden entwickelt hat. Seine Forderungen lauten: keine Gefährdung anderer; größtmögliche Wirksamkeit; friedlicher Tod im Schlaf; das Mittel ist mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen; Verantwortung und Tatherrschaft müssen ganz beim Sterbewilligen liegen; es treten keine bleibenden Schäden auf, falls es zu einem Fehlschlag kommt; der Suizid ist bei der normalen Feststellung der Todesursache schwer zu erkennen.

Hier wird also eine hohe "Messlatte" angelegt. Man legt das Buch am Ende nicht weg in der Hoffnung, dass sich demnächst noch neue Suizidmethoden finden lassen, die diesem Anspruch - der also auch die gänzlich autonome Handlungsmöglichkeit einschließt – genügen.


Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde am 27.11.2019 bearbeitet.