Religiöser Fundamentalismus trifft auf Coronavirus

SARS-CoV-2 und die Lungenkrankheit Covid-19 halten die Bevölkerung weiterhin auf Trab. Täglich werden neue Informationen über die Zahl der Infizierten herausgegeben, jeden Tag gibt es mindestens eine Pressekonferenz von Kabinettsmitgliedern und die Empfehlungen beziehungsweise einschränkenden Maßnahmen zur Eindämmung der Fallzahlen werden ebenfalls kontinuierlich aktualisiert sowie verschärft. Doch ganz so, als wäre das Virus an sich nicht fatal genug, verschlimmern Esoteriker und religiöse Fundamentalisten durch die Verbreitung von Fake News die Situation.

Während ein Teil der Bevölkerung besonnen und angemessen reagiert und sich dabei an die Empfehlungen der Exekutive hält und zum Beispiel keine Hamsterkäufe tätigt oder keine Desinfektionsmittel in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen stiehlt, die dann den Bedürftigen vor Ort fehlen, gibt es einen anderen Teil, welcher das komplette Gegenteil davon für richtig hält. Und während die einen versuchen, auch einer allgemeinen Hysterie mit Sachlichkeit und vernünftigem Handeln vorzubeugen, gibt es auf der anderen Seite immer mehr Menschen, welche sich mit der Verbreitung von Fake News zu Zeiten der Krise profilieren wollen – und zwar in vielen verschiedenen Ländern.

So verharmlost der Schweizer Weihbischof Marian Eleganti die herrschende Gefahr, indem er kategorisch ausschließt, dass eine Kommunion zu einer Ansteckung beitragen kann. Auch das Leeren der Weihwasserbecken hatte dieser mit den folgenden Worten kritisiert: "Ja, ich erwarte Wunder und rechne mit der Kraft und dem Schutz Gottes." In Übersee hat der evangelikale Pastor Steven Andrew von der USA Christian Church den März als "Monat der Buße für LGBTIQ-Sünden" erklärt, um die Bevölkerung vermeintlich vor dem Coronavirus zu schützen.

Auch der ultraorthodoxe Rabbi Meir Mazuz aus Israel macht LGBTIQ-Menschen und Pride-Paraden für den Ausbruch des Virus verantwortlich. Als Begründung gibt er an, dass solche Paraden gegen die Natur seien und wer gegen die Natur handele, der müsse Rache von demjenigen erwarten, der die Natur erschaffen habe. Rabbi Aryeh Lipo, welcher Beziehungen zu Netanjahus Regierung pflegt, pocht auf eine spirituelle Lösung für die Corona-Krise. Diese könne ihm zufolge nur dann herbeigeführt werden, wenn der Jerusalemer Tempel als Krone wiederaufgebaut werde.

Der islamische Kleriker Béchir Ben Hassen aus Tunesien behauptet, dass das Virus ein Soldat Allahs sei und die Chinesen für deren Umgang mit den muslimischen Uiguren bestrafe. Ahmed Issa al-Maasrawi, ein islamischer Geistlicher aus Ägypten, vertritt die gleiche Ansicht und ergänzt, dass Allah nun China vom Rest der Welt für ihre Taten isoliere. In einem der am stärksten betroffenen Länder, dem Iran, wird von der Regierung das Ausmaß der Gefahr fortwährend verharmlost. Der religiöse Führer Ayatollah Khamenei und der Kommandeur der Iranischen Revolutionsgarden Hussein Salami machen die USA verantwortlich, indem sie behaupten, es könne sich um einen Angriff der US-Amerikaner mit biologischen Waffen handeln. Damit stellen beide eine Verschwörungstheorie auf, die Studien eindeutig widerlegen.

Die Weltgesundheitsorganisation beschreibt das Verbreiten von Falschmeldungen mittlerweile sogar als "Infodemic", welche unter anderem deshalb folgenschwer ist, weil wichtige Ressourcen in die Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit bestimmter Institutionen statt in die eigentliche Bekämpfung des Virus gesteckt werden müssen. Außerdem trägt die Verbreitung von Falschmeldungen dazu bei, dass Menschen, die sich noch nicht ausreichend informiert haben, das Virus auf die leichte Schulter nehmen und sich eben jenes weiterhin exponentiell ausbreitet – und zwar mit fatalen Konsequenzen. In Deutschland – wobei Ähnliches auch für alle anderen betreffenden Länder gilt – gibt es nämlich nur 28.000 sogenannter Intensivbetten, welche ausreichend zur Behandlung von schwerwiegenden Krankheitsverläufen von Covid-19 ausgestattet sind. Breitet sich das Virus weiterhin ungedämmt aus, ist absehbar, dass die Kapazitäten des Gesundheitssystems überstrapaziert werden. Dadurch gerät das medizinische Personal in die missliche Lage, die Entscheidung treffen zu müssen, wer behandelt wird und wer leiden oder sterben muss. Um dies zu verhindern, ist es ratsam, sowohl das Virus als auch die Verbreitung von Fake News einzudämmen. Der religiöse Fundamentalismus steht durch den Versuch der Umdeutung der Epidemie dem allgemeinen Wohl ein weiteres Mal eindeutig im Weg. Womöglich ist es sinnvoll, auch drastische Maßnahmen wie das Verhängen von Ausgangssperren oder die strafrechtliche Verfolgung von eindeutigen Fake News einzuleiten. Unter Anbetracht der Tatsache, dass selbst heute noch viele Cafés und Restaurants proppenvoll sind und Fake News unter anderem in den sozialen Netzwerken große Aufmerksamkeit erfahren, ist eine breitere Debatte hierzu längst überfällig.

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