Eine christliche Buchhandlung in Köln provoziert mit einem Plakat, auf dem der Schriftzug "Abtreiben macht frei" zu lesen ist – nachempfunden dem zynischen Schriftzug über dem Konzentrationslager Auschwitz "Arbeit macht frei". Das Motiv ist offenbar seit einigen Wochen bei Abtreibungsgegnern sehr beliebt.
Wer sich mit Abtreibungsgegnern und -gegnerinnen beschäftigt, wird schnell feststellen, dass der Holocaust-Vergleich zum kleinen Einmaleins des gemeinen "Lebensschützers" gehört. Aus Sicht von Lebensschützern stellen Schwangerschaftsabbrüche – in deren Sprache "Morde an Ungeborenen im Mutterleib" genannt – ein mindestens ebenso schlimmes Verbrechen dar wie der Massenmord an Juden im Dritten Reich. Für viele von ihnen ist der "Babycaust" sogar noch viel schlimmer als der Holocaust
Die Relativierung des Holocausts unter sogenannten Lebensschützern ist also eigentlich ein alter Hut. Nun jedoch tauchte in einem Schaufenster in Köln ein mannshohes Plakat auf, das dem an sich bereits unfassbaren und in gleich mehrfacher Hinsicht diffamierenden Vergleich des Holocausts mit Schwangerschaftsabbrüchen durch eine Fotomontage die Krone der Geschmacklosigkeit aufsetzte. Das Plakat, ausgestellt im Schaufenster der christlichen Marienbuchhandlung in der Pipinstraße am Kölner Heumarkt, zeigt über einem Gebäude den Schriftzug "Abtreiben macht frei", der dem Schriftzug "Arbeit macht frei" über dem Eingang zum Konzentrationslager Auschwitz nachempfunden ist. Einer jener zynischen Slogans, die die Nationalsozialisten bekanntlich an den Eingängen ihrer Todeslager anzubringen pflegten.
Entdeckt und bekannt gemacht hatte das Plakat im Schaufenster der Marienbuchhandlung das Rheinische antifaschistische Bündnis gegen Antisemitismus auf seiner Facebook-Seite Anfang dieser Woche.
Das Motiv ist in den Kreisen der Abtreibungsgegner offenbar seit einigen Wochen im Umlauf. Vor wenigen Tagen berichteten Augenzeugen in den Sozialen Medien, dass am Rande der Münchner "Demo für alle" – einer homo- und genderphoben konservativen Demonstrationsveranstaltung – ein Geistlicher Flyer mit dem "Abtreiben macht frei"-Motiv verteilt habe. Schon Ende Juni fing eine Fernsehkamera zufällig ein, dass ein AfD-Abgeordneter im Bundestag einen solchen Flyer in Händen hielt.
Seinen Ursprung scheint das "Abtreiben macht frei"-Motiv auf der Webseite www.kindermord.org zu haben. Auf der Webseite brüstet man sich auch damit, Urheber des Faltblatts zu sein, das auf den Fernsehaufnahmen aus dem Bundestag von Ende Juni zu sehen ist. "Jedes Mitglied des Deutschen Bundestags erhielt ein Exemplar", heißt es auf der Seite.
Die Webseite weist als Betreiber die "Mahn- und Gedenkstätte für die im Mutterleib ermordeten Kinder Deutschlands" in Wiesbaden aus, sowie den Vorsitzenden eines anscheinend mit der Einrichtung verbundenen Kuratoriums, Karl Noswitz. Karl Noswitz erklärt an anderer Stelle im Internet, dass er der Urheber des auf der Webseite kindermord.org veröffentlichten Textes ist. Darüber hinaus ist Karl Noswitz Geschäftsführer der Marienbuchhandlung in Köln.
Neben beleidigenden Äußerungen über verschiedene Personen finden sich auf der Webseite kindermord.org auch Erläuterungen zum vermeintlich tieferen Sinn der Holocaust-relativierenden Fotomontage. Das Foto zeigt offenbar ein zentrales Gebäude auf dem Südfriedhof in Wiesbaden. Auf diesem Friedhof seien "bereits schätzungsweise mehrere hunderttausend Kinder", die man "vor der Geburt ermordet" habe, "heimlich verscharrt" worden, heißt es auf der Webseite. Deshalb erkläre man kurzerhand "das gesamte Friedhofsgelände zur Mahn- und Gedenkstätte für die im Mutterleib ermordeten Kinder Deutschlands". Schwangerschaftsabbrüche werden auf der Webseite übrigens zum "größten noch andauernden Verbrechen der deutschen Geschichte" erklärt. Ferner ist von einem "Babyzid" und von "Massenmord im Mutterleib" die Rede und Politikern, die sich gegen die Shoa, nicht jedoch gegen Abtreibungen aussprechen, wirft Karl Noswitz eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus vor.
Es wird sich zeigen, ob sich nun ein Gericht findet, das Karl Noswitz zu erläutern vermag, dass es in Wahrheit sein "Abtreiben macht frei"-Motiv ist, das die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt – und darüber hinaus auch alle Frauen, die sich aus welchen schwerwiegenden Gründen auch immer für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Die Kölner Polizei hat die Causa "Plakat Marienbuchhandlung" jedenfalls zur Prüfung eines Anfangsverdachts auf strafrechtliche Relevanz an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Nebenbei fahndet sie nach den Unbekannten, die inzwischen das Schaufenster der Buchhandlung eingeworfen haben.
10 Kommentare
Kommentare
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Geschmacklos! Christliche Buchhandlung? Noch geschmackloser!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Nein, liebe Daniela, die Frauen werden durch dieses Plakat nicht nur verhöhnt - sie werden auf das Abscheulichste beleidigt und erniedrigt, als sei die Entscheidung, einen Embryo abzutreiben, nicht schon traumatisiere
Aber manche Christen zeichnen sich oft genug dadurch aus, dass sie für ihre Ideale alles zu opfern bereit sind, selbst Wahrheit und Vernunft. So kann man besser verdrängen, dass die Mörder in den KZs ebenfalls Christen waren - die im Neuen Testament und bei Luther gelesen und verstanden haben, wie mit Juden umzugehen sei.
Ich hoffe sehr, dass dem Urheber dieser schändlichen Plakataktion - inklusive seines menschenverachtenden Denkens - eine harte Strafe des Rechtsstaates widerfährt...
Tony am Permanenter Link
Bei manchen Auswüchsen dieses Aberglaubens werde ich nur noch wütend.
Richard Weis am Permanenter Link
Ist dieser KZ-Vergleich eigentlich justiziabel?
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Ist dieser KZ-Vergleich eigentlich justiziabel?
Im Prinzip schon aber doch nicht bei den Kirchen, geistiges Niemandsland
Hans Trutnau am Permanenter Link
Vgl. dazu auch das EUGH-Urteil: https://www.t-online.de/leben/familie/schwangerschaft/id_84483482/eugh-urteilt-vergleich-von-abtreibung-mit-holocaust-verboten.html
Gunther Scheuenpflug am Permanenter Link
Wen wundert das eigentlich wo sich diese Sekte doch so wunderbar mit den Entwerfern des Originalschilds verstanden haben.
Thomas am Permanenter Link
Wen überrascht das eigentlich noch?
Karol Dittel am Permanenter Link
Das tragische ist, dass viele Abtreibungsgegner aus einem fundamentalistisch-christlichen Umfeld kommen in dem der Antisemitismus nicht unbedingt selten propagiert wird.
Das ist eine ziemlich widerliche Bande mit der wir es da zu tun haben.
gita neumann am Permanenter Link
Gegen dem fanatischen kath. Abtreibungsgegner K. G. Annen aus Deutschland wird laut Straßburger Urteil von gestern höchstrichterlich bestätigt, auch den Begriff "Mörder" nicht mehr benutzen zu dürfen.
Siehe Ärztezeitung von heute (21.9.):
"... Annen darf Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, nicht als `Mörder´ bezeichnen. Entsprechende Unterlassungsverfügungen deutscher Gerichte sind rechtmäßig und verletzen Annen nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Donnerstag in Straßburg.
Annen gehört zu den profiliertesten Abtreibungsgegnern in Deutschland. Er betreibt eine Homepage, auf der er Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust vergleicht. Zuletzt hatte er mehrere Hundert Ärztinnen und Ärzte wegen `Werbung´ für den Schwangerschaftsabbruch angezeigt.
Auf seiner Homepage stand früher: `Pervertierte Ärzte ermorden im Auftrag der Mütter die ungeborenen Kinder.´ Und: `Beten Sie (…) für die Mediziner (…), welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen´ (Hervorhebung im Original).
Vor dem Landgericht Karlsruhe erwirkte im Februar 2007 ein Arzt hiergegen eine Unterlassungsverfügung. Das Wort Mord werde gemeinhin als schwere Straftat verstanden; ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung sei aber nicht strafbar...."