Kommentar

Ein alter Hut, als "Innovation" verkauft: Die Rückkehr der Praxisgebühr

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Die Praxisgebühr wurde nach acht Jahren wieder abgeschafft – nun erlebt das alte Modell unter neuem Namen eine Auferstehung. Zusammen mit einer Forderung, die das Solidarprinzip in Frage stellt.

Es ist noch gar nicht so lange her: Zwischen 2004 und 2012 mussten gesetzlich Versicherte bei Arztbesuchen eine Praxisgebühr entrichten. Der angebliche Zweck war, "unnötige Arztbesuche" zu vermeiden und Kosten zu dämpfen. Schon damals war absehbar, dass diese Steuerungswirkung ausbleiben würde. Heute wissen wir es: Die Praxisgebühr war ein Flop – sie traf vor allem einkommensschwache Versicherte, während sie für die Gesamtfinanzierung praktisch nichts brachte. Kein Wunder, dass sie nach großem Protest wieder abgeschafft wurde.

Nun bringen die Arbeitgeberverbände dasselbe Modell erneut ins Spiel – diesmal getarnt als "Kontaktgebühr". Gleichzeitig fordern sie eine Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das ist nicht nur sozialpolitischer Sprengstoff, sondern auch eine Entlarvung ihres eigentlichen Programms: Weg vom Solidarprinzip, hin zur Kostenabwälzung auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Kostendämpfung? Ein Märchen.

Damals wie heute gilt: Die Praxisgebühr entfaltet keinerlei reale Kostendämpfung. Denn: Ärzte rechnen bei gesetzlich Versicherten überwiegend über Quartalspauschalen ab. Ob Patientin A dreimal oder zehnmal kommt – für den Arzt bleibt das Honorar im Quartal praktisch gleich. Zusätzliche Besuche erhöhen also in der Regel nicht die Kosten für die Krankenkassen. Die Ärzte dagegen hatten durch die Verpflichtung zur Eintreibung der Praxisgebühr einen bürokratischen Mehraufwand ohne Aufwandsentschädigung durch die Krankenkassen.

Mehrkosten entstehen höchstens bei außerbudgetären Leistungen (z.B. bestimmte Labordiagnostik oder Zusatzuntersuchungen). Aber das ist die Ausnahme, nicht die Masse. Der Mythos vom "überflüssigen Arztbesuch als Kostentreiber" hält einer sachlichen Analyse nicht stand.

Bleibt die Frage: Handelt es sich bei der neuen Forderung um schlichte Unkenntnis der Abrechnungslogik – oder um bewusste Ideologie? Vieles spricht für Letzteres: Es geht gar nicht um Kostendämpfung, sondern darum, Druck auf Patienten auszuüben und das Solidarprinzip zu schwächen.

Gesundheitskompetenz

So lange die Gesundheitspolitik mit der aktiven Unterstützung von Pseudomedizin wie Homöopathie, Osteopathie und Co. die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung untergräbt, statt – wie sie es selbst in ihren gesundheitspolitischen Zielen festgelegt hat – zu fördern, braucht man sich nicht zu wundern. Und über Maßnahmen, die durch finanziellen Druck zur Vermeidung von "Überinanspruchnahmen" führen sollen, braucht man insofern gar nicht nachzudenken.

Noch gravierender: Wer überlegt, ob er wegen finanzieller Hürden lieber nicht zum Arzt geht, riskiert, Krankheiten zu verschleppen und am Ende höhere Kosten zu verursachen. Die Praxisgebühr hat das gezeigt: Ein Teil der Patienten blieb weg – oft auch dann, wenn es medizinisch angezeigt gewesen wäre. Der andere Teil suchte die Praxis umso häufiger auf, weil man ja schon bezahlt hatte und es sich "lohnen" sollte. Ich selbst habe am Praxistresen gehört: "Jetzt bin ich schon mal hier, jetzt will ich auch alles abklären lassen."

Beides ist absurd – und beides zeigt, wie kontraproduktiv dieses Instrument ist. Dabei liegt wohl in einer echten Förderung von Gesundheitskompetenz einer der Schlüssel, das Gesundheitssystem wirklich zu entlasten.

Übrigens zeigt die Forderung nach einer Kontaktgebühr sehr wohl, dass die Arbeitgeber sich über die soziale Situation vieler durchaus klar sind: sie würden dieses Instrument ja nicht als Abschreckung verwenden, wüssten sie nicht genau, dass so ein Betrag auch wirklich weh tun kann.

Der ideologische Kern

Am Ende ist der Vorstoß ein weiterer Baustein in einer längerfristigen Strategie: Arbeitgeber und ihnen nahestehende Wirtschaftsinstitute versuchen, die Balance der sozialen Sicherungssysteme zu verschieben. Wenn noch ein Restgefühl gemeinsamer Verantwortung von Kapital und Arbeit existiert, dann soll er mit solchen Vorschlägen vollends beseitigt werden.

Die Wahrheit ist: Hohe Gesundheitskosten lassen sich nicht durch Strafmaßnahmen gegen Patienten senken, sondern nur durch kluge Strukturpolitik – bessere Prävention, Digitalisierung mit Augenmaß, Entlastung der Notaufnahmen, Abbau von Fehlanreizen, bessere Kommunikation und Koordination sowohl bei Leistungserbringern als auch bei Leistungsträgern. Stattdessen wird ein alter Zopf aus der Mottenkiste geholt, der weder ökonomisch noch sozial Sinn ergibt. Die Praxisgebühr ist kein Instrument der Steuerung, sondern ein Symbol der sozialen Demontage. Wer wirklich Kosten senken und Versorgung verbessern will, muss systemische Verwerfungen beseitigen und Prävention fördern, nicht Patienten gängeln.

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