Ein offener Brief an den ORF-Publikumsrat

Antisäkulare und religiöse Propaganda im staatlichen Fernsehen

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Das ORF-Zentrum Küniglberg in Wien
Das ORF-Zentrum Küniglberg in Wien

Bereits mehrfach wurde vom Humanistischen Verband Österreichs (HVÖ) auf die religionsfreundliche Berichterstattung im ORF hingewiesen. Zu dieser sind die Redakteure offensichtlich auch aufgrund interner Anweisungen verpflichtet. Nun ließ der ORF verlauten, sein mediales Religionsangebot erweitern zu wollen. Der HVÖ verfasste daraufhin einen offenen Brief an den Publikumsrat des ORF, den der hpd in voller Länge veröffentlicht.

Anlass für den offenen Brief war die Verbreitung der antisäkularen "Hitler-Stalin-Lüge" in einer Diskussionssendung. Noch bevor "die Tinte getrocknet" war, kam schon der nächste Paukenschlag ins Gesicht der Aufklärung: Wie nämlich ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz erklärte, werde der ORF aufgrund des immensen Publikumszuspruches das mediale Religionsangebot weiter ausbauen. Diese Einschätzung des österreichischen Publikums widerspricht allerdings grundlegend den Ergebnissen der fowid-Religionsstatistik für Deutschland. Die vorliegenden Indizien sprechen für ein zunehmendes Auseinanderdriften von religiösem Fernsehangebot und den Wünschen der sich immer weiter von der Religiosität abwendenden Bevölkerung. Bei diesem Trend liegt die Befürchtung nahe, dass in naher Zukunft eine zunehmende Anzahl von religionsfernen Gebührenzahlern mit einem medialen Angebot versorgt wird, welches von der Tendenz her zwischen Radio Vatikan und dem iranischen Staatsfernsehen anzusiedeln ist.

Wahrheitswidrige und irreführende Behauptungen in ORF-Sendung

Sehr geehrte Damen und Herren,

In den Medien hat – ausgelöst durch Herr Trump – ein Kampf gegen offensichtlich irreführenden Meldungen begonnen. Menschen, die oft in den Medien sind, scheren sich offenbar immer weniger um Fakten, wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse werden angezweifelt und Wahrheit im eigenen Sinn manipuliert. Diesem Trend muss entschieden entgegengetreten werden.

Besonders leicht hat es da die Kirche, denn ihr darf nicht widersprochen werden. Es nimmt sie auch niemand besonders ernst. Was aber wenn alles kritiklos Geschluckte eines Tages manifest wird? Das gilt primär für die Leugnung naturwissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse (Evolution), was aufgrund mangelhafter Bildung immer wieder auf fruchtbaren Boden fällt. Welche katastrophalen Auswirkungen solche gesellschaftlichen Defizite haben, zeigt die Entwicklung in Amerika, wo Tatsachen allgemein – vor allem durch das religionsdurchwirkte Gezwitscher des Präsidenten Trump – ihren Stellenwert verloren haben, willkürliche, manipulative Behauptungen an der Tagesordnung sind, wobei vernünftige Menschen "mit der Widerlegung dieser Behauptungen nicht mehr nachkommen" (Zitat Günther Paal). Glücklicherweise sind wir in Österreich weit entfernt von Zuständen wie in den USA, wo rund 50 % der Bevölkerung der Ansicht sind, dass die Bibel wörtlich gilt und die "Schöpfung" rund 6000 Jahre alt ist.

Unseres Erachtens ist der öffentliche Rundfunk dazu verpflichtet, wissenschaftliche Redlichkeit als hohes Gut zu achten und sich für die Wahrheit einzusetzen, schon deswegen, weil alle Menschen, besonders Kinder, in diesem Land "ein Recht auf die beste verfügbare Wahrheit haben". Dem wird in den Redaktionen bereits so gut es geht Rechnung getragen, indem willkürliche Behauptungen hinterfragt und Anschuldigungen von den Redakteur*innen mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, dass sich der Angesprochene "jetzt nicht wehren kann". In manchen Fällen ist von den Journalist*innen bereits ein Fakten-Check nachgereicht worden. Der ORF ist also in der Kultur der Wahrheitsbearbeitung und -findung bereits weit fortgeschritten, allerdings nicht in allen Bereichen.

Im Bereich Religion gelten alle diese Regeln nicht. Religion ist wie eine rote Lampe bei Aufnahme, die besagt: "Gehirn bitte ausschalten!" Mehrfach ist mir versichert worden, dass der ORF "keine kritischen Kommentare über Religion und Kirche" möchte. Mir sind Fälle namentlich bekannt, in denen Kritik mit dem Hinweis auf den genannten UKAS unterdrückt worden ist.

Am 5. August 2020 ist eine Sendung der Barbara Karlich Show ausgestrahlt worden, in der die Univ. Professorin Dr. Regine Polak die beiden wichtigsten Unwahrheiten, die von Vertretern der katholischen Kirche immer wieder aufgetischt werden, verbreitet hat:

  1. Es wird immer wieder die kaum widerlegbare Tatsache von unsäglichen Verbrechen der katholischen Kirche in der Geschichte bis hinauf ins 20. Jahrhundert dadurch relativiert, dass die sog. "säkularen Führer" wie Hitler und Stalin noch viel mehr Tote auf dem Gewissen haben.
  2. Die katholische Kirche und besonders einzelne Katholiken hätte nach Meinung Polaks "große Verdienste um die Aufklärung" erworben.

Diese im wahrsten Sinne des Wortes "Kardinallügen" können wir hier nicht im Detail erörtern. Es steht Interessierten jede Menge wissenschaftliches Material zur Verfügung, welches diese Behauptungen widerlegt. Die erste Behauptung richtet sich auch schon selbst, weil ja diese Führer die Kriege, die sie begannen, nicht wegen ihres Atheismus führten (siehe bei R. Dawkins Buch "Der Gotteswahn"). Absolutheitsansprüche religiöser Führer und Theokratien hingegen haben tatsächlich zu Krisen jeder Art geführt, Jehova war ursprünglich ein Kriegsgott im Alten Testament. Die zweite Behauptung ist schon deshalb absurd, weil noch bis Mitte der Sechziger Jahre (sic!) alle Kleriker, also auch die beiden noch lebenden Päpste, den sogenannten "Anti-Modernismus-Eid" schwören mussten, in dem allen modernen Theorien, die Grundlage der Aufklärung sind, abgeschworen werden musste. Siehe "Syllabus errorum" des Papstes Pius IX.

Das weiß Fr. Prof. Polak natürlich auch und daher sind solche Behauptungen in der Öffentlichkeit zurückzuweisen, weil wissenschaftlich und intellektuell unredlich, ja obszön. Wo die Kirche in nicht-religiösen Aussagen Lobby betreibt (wie hier in dieser Sendung) muss man seitens der Medien darauf achten, dass Kritik möglich ist und die Waffengleichheit aller Diskursteilnehmer gewahrt bleibt.

In einer Zeit, in der von allen Gesellschaftsteilen und von ganzen Staaten mit Recht die Aufarbeitung der Vergangenheit verlangt wird und dass sich alle ihrer Verantwortung aus der Vergangenheit stellen, wäre es der Kirche zuträglich, ihre großen Verbrechen nicht zu relativieren, sondern sich dazu zu bekennen. Die Rolle der Kirche in der Nazizeit, die Rolle der Religion bei der Entwicklung des Nationalsozialismus ist beileibe nicht aufgearbeitet worden. Anstatt dessen werden die Mittel an die Kirchen trotz sinkender Mitgliederzahlen erhöht und nicht gesenkt, fast ohne medialen Kommentar. Die Gehirnwäsche scheint zu wirken. Österreich ist ein mehrheitlich ungläubiges Land, nur bemerkt man nichts davon. Eine Diskussion darüber ist überfällig.

Wir fordern daher auch vom ORF ein Nachdenken über folgende Punkte:

  1. Ein Update, welchen Stellenwert Religion heute in einem öffentlichen Medium haben soll. Es liegt auf der Hand, dass das Konkordat keine vernünftige Basis ist, da es aus einer klerikal-faschistischen Zeit stammt, in der über 90 % der Bevölkerung Katholiken waren.
  2. Beteiligung und Gleichbehandlung von säkular-humanistischen Stimmen am öffentlichen Rundfunk.
  3. Trennung von Staat und Kirche auch im ORF. Politische Statements von Kirchenvertretern sollten unerwünscht sein und mit einem Verweis auf die Säkularität des ORF geahndet werden. Der ORF ist kein Kirchenfunk.
  4. Der ORF macht klar, dass er für religiöse Menschen wie bisher dienstbar ist (z.B. Religion aktuell, Messen etc.), jedoch nicht für ihre kirchlich-politische Agitation, Geldsammelaktionen, Mission oder Akquisition von Mitgliedern. Wenn die Kirche das wünscht, dann nur bei sauberer Trennung von redaktionell-objektiven Sendungen mit Kritik und Belangsendung wie bei politischen Parteien, diese aber mit sorgsamer Ankündigung und gegen Bezahlung. Der ORF würde durch diese Regelung rund 50 Mio. Euro mehr Umsatz lukrieren, die derzeit verschenkt werden.

Vielen Dank für die Behandlung dieser Themen!

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Gerhard Engelmayer
Präsident des Humanistischen Verbandes Österreich
Mitglied der Europäischen Humanistischen Föderation

P. S.: Vielleicht sollte auch darüber nachgedacht werden, ob es nicht, so wie in Deutschland, im Publikumsrat einen Vertreter der Konfessionsfreien und Säkularen geben sollte, immerhin die zweitgrößte Bekenntnisgruppe in Österreich

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