Themenabend AK Säkulare der SPD Düsseldorf

Damit es aufhört: Die Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs im Kontext der katholischen Kirche

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Matthias Katsch (Sprecher des Betroffenenverbands "Eckiger Tisch")

Im Mittelpunkt des fünften Themenabends des Arbeitskreises der Säkularen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der SPD Düsseldorf in diesem Jahr stand der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Erst kurz zuvor waren Vorwürfe gegen den vormaligen Bischof von Essen und Kardinal Franz Hengsbach bekannt geworden sowie Informationen über den mangelhaften Umgang damit in den Bistümern Paderborn und Essen.

Der Abend stand auch im zeitlichen Zusammenhang mit der Veröffentlichung der MHG-Studie, die sich just zum fünften Mal gejährt hatte: Diese am 25. September 2018 der Öffentlichkeit vorgestellte Studie als Ergebnis eines Forschungsprojekts der Universitäten in Mannheim, Heidelberg und Gießen zum sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker hatte 2018 zum ersten Mal deutlich gezeigt, dass sexueller Kindesmissbrauch, seine Vertuschung und aktiver Täterschutz in der katholischen Kirche Deutschlands System haben.

Matthias Katsch, Mitgründer und Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch e.V., referierte als Gast der säkularen Düsseldorfer Sozialdemokraten in einem dichten und mitunter beklemmenden Vortrag auch über seine eigene Geschichte:

Der studierte Philosoph, Politikwissenschaftler und Betriebswirt, der lange Jahre im Qualitätsmanagement der Deutschen Telekom gearbeitet hat und seit 20 Jahren selbstständig als Trainer und Berater für Veränderungsprozesse in Unternehmen agiert, war in den 70er Jahren als Schüler des Berliner Canisius-Kollegs selbst Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch geworden.

Wie hinter einer "Milchglasscheibe", so Katsch, lagen für ihn die Erinnerungen an das Erlebte über Jahre und Jahrzehnte verborgen und standen nicht im Vordergrund des gelebten Lebens. Die sexuellen Übergriffe am Canisius-Kolleg waren jahrelang durch zwei Jesuitenpriester während der Jugendarbeit und der seelsorgerischen Betreuung erfolgt: Beichtgespräche und Einkehrtage waren das Setting, in dem er und viele seiner Kameraden sexuelle Gewalt erleben mussten.

Der Referent verdeutlichte eindringlich, wie überwältigende Gefühle von Scham, Schuld, Ohnmacht, dazu die Intransparenz und ein großes Schweigen über einen langen Zeitraum verhindern können, dass Betroffene eine aktive Verbindung zu diesen Gefühlen und Erfahrungen mit sich selbst und dem eigenen Leben herstellen können. Viele Missbrauchsopfer leiden ihr ganzes Leben an depressiven Erkrankungen, haben Schwierigkeiten im privaten Leben und durchleben langjährige therapeutische Begleitungen, ohne dass die Ursachen zu Tage treten oder auch nur danach gefragt würde. Was bleibt, ist ein lebenslanges Gefühl von Überwältigung im Zusammenhang mit dieser religiösen Institution, in der man zum Opfer geworden ist.

Seitdem die Fälle 2010 publik wurden, streitet Matthias Katsch um Aufklärung, Hilfe und Entschädigung für die Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Die Gründung des Vereins Eckiger Tisch e.V. war 2010 eine direkte Reaktion auf die damalige Bundesregierung und auf die Art und Weise, wie die Politik mit dem Skandal umgegangen ist. Unvergessen die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die im Februar 2010 in einer Tagesschau-Sendung die katholische Kirche aufforderte, in Fällen des sexuellen Missbrauchs mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten und diese Fälle zur Anzeige zu bringen.

Der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz Zollitsch forderte daraufhin ultimativ und innerhalb von 48 Stunden eine Entschuldigung seitens der Bundesjustizministerin – die er tatsächlich auch bekommen hat (!). Ein Telefonat mit Angela Merkel ist bekannt; bis heute weiß man jedoch nicht, was besprochen wurde, Auskunftsersuchen wurden bislang vom Kanzleramt abgelehnt. Zollitschs eigenes Fehlverhalten in Form von massiver Vertuschung im Umgang mit sexuellem Missbrauch ist mittlerweile bekannt.

Das sei der eigentliche Skandal im Skandal, so Matthias Katsch: Die meisten Fälle sind mittlerweile verjährt, weil die Kirche aktiv nichts getan hat, um zur Aufklärung beizutragen, sondern geschwiegen und verzögert hat und vor allem die Täter schützte.

Die Lösung damals schien ein "Runder Tisch" zu sein, an dem 60 gesellschaftliche Institutionen aus allen denkbaren Bereichen zusammenkamen und über das Phänomen sexueller Kindermissbrauch in der Gesellschaft insgesamt berieten. Gut, so der Referent, aber am Thema vorbei. Die Betroffenen des Missbrauchs in der katholischen Kirche wollten die katholische Kirche konfrontieren und den Jesuitenorden.

Das System katholische Kirche sei so einmalig, dass es deshalb auch in Fällen des Kindermissbrauchs gesondert betrachtet werden müsse, so Matthias Katsch: Alle Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche weltweit werden zentral an den Vatikan gemeldet und in den dortigen Archiven erfasst. Ein Zugriff auf diese Akten wurde bislang verwehrt.

Über den Ausgangspunkt des Skandals wurde seinerzeit nicht mehr gesprochen, auch das Thema Aufklärung und Aufarbeitung spielte keine Rolle mehr. Der Runde Tisch, so Katsch, war ein "ungeeignetes Format": Er musste eckig sein, mit "klarer Kante". So kam es zur Gründung des Vereins Eckiger Tisch.

Seit dessen Gründung vor 13 Jahren hat es ermutigende Momente, aber auch viele Enttäuschungen gegeben: Eine davon, so der Sprecher der Betroffeneninitiative, markierte der Besuch von Papst Benedikt 2011 im deutschen Bundestag. Es sei eine immense Desillusionierung gewesen, wie die deutsche Politik damals auf den Papstbesuch reagiert habe. Niemand hatte den Mut gefunden, den deutschen Papst zu konfrontieren.

Dass er selber auch eine Geschichte als Teil des Missbrauchsskandals hatte – damals ahnte man es nur, heute weiß man es: Als Erzbischof von München hatte der spätere Papst einen der notorischsten deutschen Serientäter geschützt: den berüchtigten Priester Peter Hullermann, der in Bottrop und Essen übergriffig geworden war und auch verurteilt wurde.

Der Täter wurde nach Bayern versetzt, sollte eine Therapie machen, hat aber auch dort weitere Kinder missbraucht. Seit 2010 ist er in Pension, lebt nach wie vor alimentiert von der Kirche – seine Opfer hingegen müssen sehen, wo sie bleiben.

Es sei ein Unding gewesen, so Matthias Katsch, dass man Benedikt 2011 im Bundestag empfangen habe, ohne ihm auch nur eine kritische Frage zu stellen.

Kurz nach dem Vortrag vor den Düsseldorfer Genossinnen und Genossen ist Matthias Katsch anlässlich der Weltbischofssynode in Rom nach Italien aufgebrochen. Zusammen mit dem ECA (Ending Clergy Abuse), einer globalen Koalition aus Opfern, Aktivisten und Menschenrechtlern aus 25 Ländern, plant der Eckige Tisch in Rom Pressegespräche, Demonstrationen und Mahnwachen.

Die Forderungen an Papst Franziskus, noch vor der Eröffnung des Bischofstreffens ein Null-Toleranz-Mandat einzuführen (ein Priester, der missbraucht hat, soll nicht mehr Priester sein; ein Bischof, der vertuscht hat, nicht mehr Bischof) und einen umfassenden Zugang zu Akten und Archiven des Vatikans und von Bistümern und Ordensgemeinschaften weltweit zu gewährleisten, bleiben hoffentlich nicht ungehört.

Eine weitere langjährige Forderung der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch e.V. ist die Einrichtung von Wahrheitskommissionen. Gefragt sind an dieser Stelle Justiz und Politik: Die schon an anderer Stelle konstatierte "Beißhemmung" der Justiz muss endlich beendet werden. Der Bund und die Länder sind aufgerufen, Wahrheitskommissionen für die Opfer des katholischen Missbrauchsskandals einzurichten, um auch diejenigen Fälle aufzuarbeiten, bei denen die Justiz aufgrund von Verjährungsfristen nicht mehr tätig werden kann und darf.

Ein Opferfonds, der sich aus Geldern der reichen katholischen Kirche in Deutschland speist, sowie großzügige Entschädigungen an die Missbrauchsopfer (aktuell sind "freiwillige Anerkennungszahlungen" üblich) sollten mit Blick auf das immense Leid der Betroffenen und die Schuld der Täter eine Selbstverständlichkeit sein.

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