US-Bundesstaat verbietet "pornographisches" Material in Schulbüchern

Die Bibel ein Porno?

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Bibel mit Warnhinweis: "Gefahr – Außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren!"
Bibel mit Warnhinweis für Kinder

Der US-Bundesstaat Utah hat vergangenes Jahr ein überaus umstrittenes Gesetz verabschiedet. "HB374", lanciert von christlich-konservativen Organisationen wie Utah Parents United, verbietet "pornographisches" Schriftwerk in Schulbüchereien und Klassenzimmern. Nun macht sich ein Elternteil das diffuse Gesetz zunutze, um die "sexverpestete" Bibel aus dem Schulgebäude zu verbannen. Ein Kommentar zur aktuellen Welle moralischer Panik in den USA.

Utah ist, demographisch gesprochen, ein interessantes Fleckchen Erde. Der im Westen der USA gelegene Bundesstaat ist zwar nicht die historische Heimat des Mormonentums, weist aber die mit Abstand höchste Dichte an Angehörigen der sogenannten Church of Latter-Day Saints auf: 55 Prozent der Bevölkerung sind mormonisch, insgesamt 73 Prozent der Bevölkerung christlich. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind weiß. Diese Komposition, die für US-amerikanische Verhältnisse erstaunlich homogen ist, führt bisweilen zu eigenartigen Auswüchsen religiöser Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Das jüngste Beispiel ist "HB374", ein Gesetz, das Eltern ermöglicht, ihrer Meinung nach pornographische Bücher per Prüfungsantrag aus Schulen zu verbannen.

"Eines der sexverpestetsten Bücher überhaupt"

Um zu verstehen, was es mit diesem Gesetz auf sich hat, muss man sich das Verhältnis zwischen Eltern und Bildungssystem, das in christlich geprägten Teilen der USA herrscht, klarmachen. Eltern und Elternvereine besitzen in diesen Gegenden einen Hebel, der ihnen in US-Bundesstaaten mit säkularerem Bildungssystem fehlt: moralische Empörung. So ist HB374 das Ergebnis einer jahrelangen, landesweiten Lobbyanstrengung christlich-konservativer Gruppen, die in Utah auf fruchtbareren, weil religiöseren, Boden fiel als anderswo. 2016 erklärte Utahs Parlament Pornos zu einer öffentlichen Gesundheitskrise und definierte "pornographisch" als alles, was laut einem durchschnittlichen Menschen "an lüsterne Interessen appelliert". Da stellen sich zwei Fragen: Wer ist dieser "durchschnittliche Mensch" und wann beginnt "Lüsternheit"?

Fragt man Utah Parents United, einen Elternverein, der Beschwerde gegen hunderte Bücher in dutzenden Bezirken eingelegt hat, ist der "durchschnittliche Mensch" weiß und christlich-konservativ und empfindet bereits den flüchtigen Gedanken an nicht der Fortpflanzung dienenden Sex als "lüstern". Doch wie so oft zeigt sich auch hier, dass Gesetze, die einen explizit religiösen Charakter aufweisen, unerwünschte Nebenwirkungen haben. Ein Elternteil reichte nämlich jüngst Beschwerde gegen die Bibel ein. Die Bibel sei "eines der sexverpestetsten Bücher überhaupt", heißt es in dem Antrag. Und da ist was dran.

Moralische Panik

Da Utah zufolge eine einzige pornographische Szene ausreichend ist, um ein Buch vollständig zu verbieten, dürften der Bibel bei einem fairen Prozess keine guten Chancen beschieden sein. Man denke nur an Hesekiel 16:17: "Du nahmst auch dein schönes Gerät, das ich dir von meinem Gold und Silber gegeben hatte, und machtest dir Mannsbilder daraus und triebst deine Hurerei mit ihnen."

Noch pikanter ist die Geschiche Lots, die in der Genesis zu finden ist. Nach der Zerstörung Sodoms und Gomorras lebte Lot mit seinen zwei Töchtern in einer Höhle. Besagte Töchter kamen eines Tages auf eine Idee, die man durchaus als "lüstern" bezeichnen könnte: "Des Morgens sprach die ältere zu der jüngeren: Siehe, ich habe gestern bei meinem Vater gelegen. Laß uns ihm diese Nacht auch Wein zu trinken geben, daß du hineingehst und legst dich zu ihm, daß wir Samen von unserm Vater erhalten. (…) Also wurden beide Töchter Lots schwanger von ihrem Vater." Dildos, Inzest und – ebenfalls in der Geschichte Lots zu finden – Sexsklaverei. Es sind in Utah schon Bücher für weniger verboten worden.

Diese absonderliche Entwicklung ist Teil einer neuen moralischen Panik, die die USA gerade zunehmend erfasst. Eine moralische Panik ist ein Zustand kollektiver Agitation, ausgelöst durch reale oder empfundene gesellschaftliche Veränderungen, der sich in einem irrationalen Kontrollbedürfnis ausdrückt. Der Prozess mündet bisweilen in Gesetzen, die sich empirisch als unwirksam oder gar schädlich erweisen, aufgrund ihres Symbolcharakters aber dennoch von Teilen der Bevölkerung als eindeutig positiv wahrgenommen werden (siehe Amelie Pedneau: Child Abuse and Neglect: Forensic Issues in Evidence, Impact and Management, 2019, S. 419–433).

Utahs Schulbüchereien sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Es werden durch HB374 nicht weniger Bücher über die Erfahrungen von geschlechtlich und sexuell diversen Menschen oder über die Erfahrungen von Persons of Color geschrieben. Sie sind lediglich weniger sichtbar und schwieriger zu finden. Doch nirgendwo zeigt sich deutlicher, dass Teile der USA einer moralischen Panik verfallen, als in Tallahasse, Florida.

David hat keine Hose an

Die Tallahasse Classical School ist eine christliche Charterschule, die, wie der Name bereits verrät, besonderen Fokus auf eine "klassische" Ausbildung legt. Das heißt, es wird Latein gelehrt und ein historischer Fokus auf das antike Griechenland und Rom gelegt. Man darf sich also getrost wundern, wenn die Direktorin dieser Schule ihren Hut nehmen muss, weil Sechstklässler*innen im Unterricht eine unzensierte Darstellung von Michelangelos David besprechen.

Florida hat, wie auch Utah und zahlreiche andere, republikanisch regierte Bundesstaaten, Gesetze verabschiedet, die Eltern eine enorme Autorität über das Bildungssystem verleihen. "Die Eltern sind diejenigen, die das Bildungssystem in Florida formen. Das hat unser Gouverneur (Ron DeSantis, Anm. d. A.) gesagt und wir unterstützen das", formulierte es Barney Bishop III., der Vorsitzende des Schulausschusses der Tallahasse Classical school, in einem Interview. "Das Recht der Eltern sticht das Recht der Kinder. Lehrende sind die Expert*innen? (…) Ich kenne eine Menge (...), die sehr gut sind, aber zu behaupten, sie hätten die Autorität (über den Lehrplan, Anm. d. A.), da sind Sie auf besseren Drogen als ich", so Bischop weiter. Es geht Bischop zufolge nicht darum, dass Michelangelos David gezeigt wurde. Es geht darum, dass die Eltern nicht im Voraus darüber informiert wurden – und damit um Kontrolle.

Das Konzept der "elterlichen Rechte", stets ein Feigenblatt für reaktionäre, meist latent religiöse Politik, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der erfolgreichsten Schlagworte der republikanischen Partei entwickelt. Schulbüchereien, Lehrpläne und Hygienekonzepte gleichermaßen geraten ins Kreuzfeuer, weil eine kleine, aber notorisch laute Minderheit der Meinung ist, sie habe das gottgebene Recht, über jeden Aspekt des Lebens nicht nur ihrer Kinder, sondern aller Kinder zu entscheiden. Der Kolumnist Jamelle Bouie schreibt dazu für die New York Times: "Sie werden bemerkt haben, dass 'Elternrechte' nie Eltern zu betreffen scheinen, die sich wünschen, dass Schulen offener und entgegenkommender gegenüber nicht-genderkonformen Schülern*innen sind. Es wird nie für Eltern geltend gemacht, die wollen, dass ihre Schüler*innen mehr über Ethnie, Identität und die dunkleren Seiten der amerikanischen Geschichte lernen. (…) Die Realität der 'Elternrechte'-Bewegung besteht darin, dass sie dazu gedacht ist, einer konservativen und reaktionären Minderheit von Eltern die Möglichkeit zu geben, dem Rest der Gesellschaft Bildung und Lehrpläne zu diktieren. (…) 'Elternrechte' bedeutet mit anderen Worten, dass einige Eltern das Recht haben, alle anderen zu dominieren."

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