Infektionsbefehl von ganz oben

Covid in Florida

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Ronald Dion DeSantis
Ronald Dion DeSantis

Sie sind eine Schule, die die Ihnen anvertrauten Kinder vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen möchte und deshalb eine Maskenpflicht einführt? Oder eine Behörde, die eine Impfung für ihre Angestellten verpflichtend zu machen gedenkt? Das gibt einen bösen Brief vom Regierungschef und ein millionenschweres Bußgeld! Denn Ron DeSantis, Floridas republikanischer Gouverneur, hat Masken- und Impfpflichten per Dekret verboten. Klingt irre? Ist es auch. Ein Kommentar.

Die USA nehmen die Lage mittlerweile ernst. Die gesamten USA? Nein. In einem Bundesstaat im Südosten, überproportional bevölkert von scheinbar höchst virusresistenten Berenteten, steht ein Mann vor einer Kamera und markiert die letzte Bastion des Widerstands.

Fieberhaft versucht er, Stimmung gegen die Schulen und Behörden zu machen, die in den letzten Wochen Masken- oder Impfpflichten erlassen haben. Während die nächste Infektionswelle Florida zermahlt wie ein SUV einen trockenen Butterkeks, während sich die Kranken in Krankenhausfluren stapeln wie Mikadostäbchen, versucht sich Ron DeSantis erfolgreich an olympischem Inzidenzhochsprung.

Absolutes Vermummungsverbot

"Wenn eine staatliche Behörde in Florida eine Impfung zum Einstellungskriterium macht, verletzt das geltendes Recht und die Behörde muss mit einem Bußgeld in Höhe von 5.000 $ rechnen – pro Verstoß", sagte DeSantis letzte Woche in einem Facebook-Video. Will sagen: pro Person, der man eine Impfung verordnen wollte. Das kann teuer werden.

DeSantis Querschläger auf Impfpflichten für Staatsbedienstete ist dabei schon der zweite Streich. Der erste war ein Gouverneursdekret mit dem Untertitel "Wahlfreiheit der Eltern schützen".

Als Reaktion auf einzelne Schulen, die Maskenpflichten einführten, verbot DeSantis kurzerhand eigenmächtig solche Maßnahmen. Eine Überschreitung seiner Kompetenz und damit hinfällig, urteilte kürzlich ein Richter.

Doch die Stoßrichtung ist bedenklich eindeutig. Wenn Infektionsschutz und Impfung abgelehnt werden, bleibt nur noch die Durchseuchung. Die zieht bereits ihre Bahnen, doch halt, Rettung naht! Es gibt ein vom Regierungschef empfohlenes Medikament, monoclonale Antikörper! Leider ziemlich teuer, weil ziemlich rar, und leider haben fast drei Millionen Menschen in Florida keine Krankenversicherung. Wenn es doch nur eine vergleichsweise kostengünstige Möglichkeit gäbe, sich von vornherein vor einer schweren Infektion zu schützen, die man genauso enthusiastisch bewerben könnte ...

Krieg.

Zwar ebbt die Hospitalisierungsrate langsam wieder ab, ebenso wie die Zahl der Neuinfektionen, doch noch immer liegt Florida in beiden Kategorien weit vorne in der unrühmlichen Infektionsstatistik der USA.

Zum Vergleich: In Florida wurde erst vor kurzem das Allzeithoch der Hospitalisierungen erreicht, so das CDC – 10 Neuaufnahmen wegen Covid pro Tag pro 100.000 Einwohner. Staaten wie Kalifornien oder New York hatten im Januar ein Allzeithoch von sechs beziehungsweise fünf Hospitalisierungen pro Tag pro 100.000 Einwohner. Im August starben mehrere Hundert Menschen täglich. Floridas Gesundheitssystem steht am Rande des Zusammenbruchs.

Wenn ich "Gesundheitssystem" schreibe, dann meine ich das Gesundheitspersonal. Wir vergessen oft, dass es noch immer Menschen sind, die uns im Zweifelsfall das Leben retten. Menschen mit Gefühlen und Grenzen. Menschen, die dazu ausgebildet wurden, den Tod als Teil ihrer Arbeit zu akzeptieren – aber nicht dafür, ihn billigend in Kauf zu nehmen. Es macht etwas mit einem, anderen beim Sterben zusehen zu müssen.

"Ich fühle mich jeden Tag, als würde ich in den Krieg ziehen", beschreibt eine Krankenpflegerin das Geschehen in einem Kurzfilm von Schriftsteller Don Winslow mit dem treffenden Titel #florida is vietnam.

Wem das zu skandalisierend scheint, möge einen Blick auf den Arbeitsalltag von Jennifer Tellone werfen, Intensivpflegerin in einem Krankenhaus in Clearwater. Auch sie bezeichnet die Intensivstation mittlerweile als "Kriegsgebiet". "Wie sind wir nur hierhergekommen? Was stimmt nicht mit den Leuten, die immer noch nicht an die von Covid ausgehende Gefahr glauben?", fragt Tellone. Und meint diejenigen, deren letzter Satz "Der Virus ist ein Hoax!" war.

DeSantis 202X?

In diesem Gemenge kommt auch die republikanische Partei (GOP) notgedrungen unter die Räder. Vor kurzem starb Gregg Prentice, der erklärte Maskengegner und einzige Buchhalter der Hillsborough County GOP. Mit Prentice starb auch der Zugang zu dem von ihm entwickelten Programm, mit dem die Parteibücher geführt werden.

DeSantis Strategie verursacht nun mal Kollateralschäden, unter Parteikolleg*innen wie auch unter den Wähler*innen. Politisch ein riskanter Schachzug, doch außerhalb Floridas wenig zu spüren. Mittelfristig könnte sich DeSantis so der republikanisch gesinnten Öffentlichkeit der gesamten USA als "Widerstandskämpfer" verkaufen. In manchen Kreisen wird er bereits als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt.

Zwar hat DeSantis die Gerüchte um seine etwaige Kandidatur 2024 zurückgewiesen, angesichts der Hospitalisierungs- und Todeszahlen der vergangenen Wochen wäre jede andere Reaktion aber auch ein Leckerbissen für die Glossen der Washington Post und New York Times gewesen. Auch Donald Trump sagte mal, er wolle nicht Präsident werden.

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