Alice Schwarzer im hpd-Interview

"Es drohen neue Gefahren und Rückschritte"

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Alice Schwarzer in der EMMA-Redaktion
Alice Schwarzer in der EMMA-Redaktion

Im Januar vor 40 Jahren erschien sie zum ersten Mal, die Frauenzeitschrift EMMA. Anlässlich des Jubiläums führte die stellvertretende hpd-Chefredakteurin Daniela Wakonigg ein Interview mit EMMA-Gründerin und -Chefredakteurin Alice Schwarzer – über religiösen Fanatismus, Rassismus und Frauenrechte im Zeitalter von Donald Trump.

hpd: Frau Schwarzer, die EMMA hat bekanntlich Freunde und Feinde. Aber selbst ihre Feinde dürften der EMMA attestieren, dass sie in Deutschland eine wichtige Stimme im Kampf um die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau war und ist. Was hat sich in den letzten 40 Jahren diesbezüglich in Deutschland getan?

Schwarzer: Es ist zum einen mit Siebenmeilenstiefeln vorangegangen – Frauen in Deutschland können nicht nur Kanzlerin werden, sondern sogar Astronautin. Gleichzeitig drohen neue Gefahren und Rückschritte. Das Recht auf Abtreibung ist wieder in Gefahr, nicht nur in Trumps Amerika. Die gute alte Arbeitsteilung Welt/Haus funktioniert weiter: Jede zweite Berufstätige macht Teilzeitarbeit – und wird bei Trennung in eine dramatische Altersarmut schlittern. Die Gewalt in Beziehungen ist weiterhin ein Problem. Der Jugend- und Schönheitswahn hat vor allem die Frauen im Griff. Nicht nur im Internet feiert der Frauenhass Hochzeiten. Und der politisierte Islam versucht, seine völlige Entrechtung von Frauen jetzt auch nach Europa zu exportieren.

Besonders interessant finde ich, dass Sie in der EMMA einige Themen gesetzt haben, die vorher in Deutschland überhaupt nicht diskutiert wurden. Wie zum Beispiel die weibliche Genitalverstümmelung. Unter anderem hatten Sie auch schon sehr früh ein Thema auf der Agenda, das heute sehr aktuell ist: Frauenrechte und islamischer Fundamentalismus bzw. das Frauenbild im Islam. Wann und wie kam es dazu, dass Sie dieses Thema aufgegriffen haben?

Ich war im April 1979, wenige Wochen nach Machtergreifung von Khomeini, im Iran. Zusammen mit einigen französischen Intellektuellen sind wir den Hilferufen von Iranerinnen gefolgt. Sie hatten zuvor den Schah mit der Kalaschnikow verjagt. Nun aber wurden sie, ausgerechnet am 8. März, dem Weltfrauentag, aus den Universitäten und Büros vertrieben mit dem Argument: Zieht euch erstmal anständig an! Will sagen: Verschleiert euch. In diesen Tagen in Teheran hat das Regime versucht, uns in der Umarmung zu ersticken. Wir haben mit vielen wichtigen aktuellen und zukünftigen Machthabern gesprochen. Von Ayatollah Taleghani bis Ministerpräsident Bazargan. Einige von uns sind auch zu Khomeini gefahren. Das habe ich verweigert, weil wir uns da verschleiern mussten. Diese Tage in Teheran haben mir die Augen geöffnet. Ich bin zurückgekommen und habe geschrieben, was ich gesehen und gehört hatte. Mein Schlusssatz war: "Die Iranerinnen waren gut genug, für die Revolution ihr Leben zu riskieren – sie werden nicht gut genug sein, in Freiheit zu leben." Dafür bin ich viel kritisiert worden, vor allem von Linken, die mich als "Schahfreundin" titulierten. Seither hat EMMA die blutige Spur des Islamismus durch die Welt verfolgt: Afghanistan, Tschetschenien (wo 1993 die Scharia eingeführt wurde!), Algerien (wo in den 1990er Jahren über 200.000 Menschen Opfer des von Islamisten angezettelten Bürgerkrieges wurden), bis in die Vorstädte der europäischen Metropolen. Über 30 Jahre lang war EMMA im deutschsprachigen Raum die einzige Zeitung, die über die Landnahme und Agitation der Islamisten informiert und vor ihnen gewarnt hat. Ich habe seither drei Bücher zum Thema herausgegeben: 2002 "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz", 2010 "Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus", 2016 "Der Schock – die Silvesternacht von Köln".

Dass Sie sich kritisch mit dem Thema "Frauenbild im Islam" auseinander gesetzt haben und es noch immer tun, hat Ihnen von einigen Linken Prügel eingebracht. Ihnen wurde vorgeworfen, dass Ihre Kritik rassistisch motiviert sei. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Das ist ein dreister Zynismus. "Rassismus" und "Schahfreundlichkeit" wurde mir ja schon 1979 vorgeworfen. Mit solchen Argumenten versuchen die Islamisten seit fast 40 Jahren, ihre Kritiker zu erschlagen. Und es klappt. Denn die Islamisten haben in Europa längst die Universitäten unterwandert und ihre SympathisantInnen sind gut präsent in den Medien. Nur: Die ersten, die wir verraten, wenn wir uns von diesen Fundamentalisten einschüchtern lassen, ist die Mehrheit der modernen und gemäßigten MuslimInnen. Sie sind die ersten Opfer der Islamisten – und zwar von Teheran bis Paris, Köln und Berlin. Ihnen schulden wir Solidarität! Sie dürfen wir nicht länger alleinlassen. Aber die nicht-islamistischen MuslimInnen selbst müssen natürlich endlich auch wagen, ihre Stimme zu erheben.

Nicht nur vom Islam, sondern eigentlich von allen großen Weltreligionen werden Frauen ja in die zweite Reihe verwiesen oder gelten sogar offen als minderwertige Wesen. Stehen – global betrachtet - Religionen dem Kampf um ein gleichberechtigtes Leben von Männern und Frauen im Weg?

Ja. Zumindest die fundamentalistischen Strömungen im Monotheismus. In deren Zentrum steht die Ungleichheit der Geschlechter und die Entrechtung der Frauen. Das gilt für die fundamentalistischen Muslime ebenso wie für die fundamentalistischen Christen und Juden. Alle drei sind eine Plage! Das einzig Beruhigende bei den radikalorthodoxen Juden ist, dass sie nicht missionieren, und nur ihre eigenen Leute quälen. Der fundamentalistische Islam hingegen ist seit bald vierzig Jahren auf einem sehr erfolgreichen Kreuzzug. Und die fundamentalistischen Christen sind ebenfalls im Vormarsch. So verdankt Trump seinen Wahlsieg nicht zuletzt den Evangelikalen. Er steht in ihrer Schuld, wie wir an seinen ersten politischen Schritten sehen. So ist die Entscheidung, NGOs, die Abtreibung offen gegenüberstehen, alle Gelder zu entziehen, ein erstes kleines Dankeschön an die Evangelikalen. Und sie wird dramatische Auswirkungen für Millionen Frauen haben, vor allem in Afrika.

Etwas, das mich immer wieder wundert ist, dass, obwohl Frauen in den Religionen auf den billigen Plätzen sitzen müssen, es kaum Frauen zu geben scheint, die sich dagegen zur Wehr setzen - mitunter sind sie sich ihrer eigenen Unterdrückung durch die Religion nicht mal bewusst. Im Gegenteil: Religionen werden sehr stark von Frauen getragen und vor allem an die nächste Generation weitergegeben. Sie stützen damit aktiv ein System, das sie selbst unterdrückt. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?

Lange waren die Religionen der einzige emotionale Zufluchtsort für Frauen. Aber immerhin gibt es in allen Religionen heute starke immanente Emanzipationsbewegungen. Die Frauen drängen auf mehr Mitbestimmung und Rechte. Ja, mehr noch: Sie treten in Dialog mit Gott bzw. der Göttin – ein Privileg, das über Jahrtausende den Männern vorbehalten war. Mal sehen, ob Gott antwortet.