Der Deutsche Ethikrat hat in seiner jüngsten Empfehlung zur Suizidhilferegelung dem Bundestag nahegelegt, gegen das einschlägige Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichtes vorzugehen. Dieses hatte schwerstkranken Sterbewilligen in einer "extremen Notlage" das Recht zugesprochen, zur Selbsttötung Natrium-Pentobarbital beziehen zu dürfen. Dem Ethikratsvorsitzenden und Theologieprofessor Prof. Peter Dabrock, geht demgegenüber "das Herz auf" im Bekenntnis an "Jesu Christi, der die Liebe des geglaubten Gottes verkörpert".
In der am 1. Juni veröffentlichten Empfehlung schloss sich eine Minderheit von 9 der 25 Ethikratsmitglieder einer Bewertung ihres Kollegen Prof. Reinhard Merkel an und bezeichnen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als ethisch wohl gewogen. Es stehe im Einklang mit der Moralpflicht, dass ein "generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden" dürfe. Eine "staatliche Unterstützung" zur Umsetzung von Suiziden erkennt die Ratsminderheit in dem Urteil nicht. Lediglich werde es dem Staat in Notstandsfällen nicht mehr gestattet, "die Verfügbarkeit eines Medikaments aktiv zu blockieren".
Die Ethikratsmehrheit (16 von 25) hingegen, darunter der Vorsitzende Prof. Peter Dabrock, kritisiert das Urteil scharf. Vor den Folgen des Leipziger Richterspruchs hatten zuvor bereits die Bundesärztekammer, die Kirchen und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gewarnt, während humanistische Verbände ihn begrüßt hatte. Dabrock hat in Erlangen den Lehrstuhl für systematische Theologie (Ethik) inne und beschreibt auf seiner Internetseite dort seinen Ansatz wie folgt: "Konkrete Ethik in evangelisch-fundamentaltheologischer Perspektive, Bioethik als theologische Sozialethik".
Dabrocks Spagat zwischen Glaubensbekenntnis und Neutralitätspflicht
Die Ethikratsmehrheit beklagt, durch dieses Urteil werde die "ethisch fundierte Grundentscheidung" des Gesetzgebers "unterlaufen". Denn der Bundestag hatte Ende 2015 die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ausdrücklich unter Strafe gestellt. Mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes werde nun das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum "Verpflichtungsadressaten der Selbsttötungsassistenz" gemacht. Das klingt, als wären in Gestalt verantwortungsloser Richter finstere Mächte am Werke, um eine Verteilstelle für Tötungsmittel einzurichten. Das zentrale Argument der Ethikratsmehrheit ist jedoch ein scheinbar säkulares: Das Urteil zwinge eine Behörde – das BfArM – die "ethische Leitidee der staatlichen Neutralität gegenüber Lebenswertvorstellungen aufzugeben".
Doch die Überzeugungskraft der Verpflichtung zur Neutralität gerät ins Wanken, wenn man sich das christliche Glaubensbekenntnis des (damals noch stellvertretenden) Ethikratsvorsitzenden Prof. Dabrock zum Leben und Sterben vor Augen führt. Dies war am 1. Mai 2015 in der Süddeutschen Zeitung unter "Glaubensbekenntnis-Peter-Dabrock" wie folgt veröffentlicht:
"Glaube ist für mich vor allem eines: Getragensein. Dabei war mir die etwas pathetische Formulierung aus dem Heidelberger Katechismus stets ein wichtiger Begleiter: 'Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.' Bei dem Satz geht mir das Herz auf. … Das verbinde ich mit dem Namen Jesu Christi, der die Liebe des geglaubten Gottes verkörpert. Der Glaube an diese Liebe lässt mich auch im Hier und Jetzt hoffen - hoffen, dass dieser Grund unendlich trägt. ...
Mein Glaubensleben binde ich nicht deswegen so gerne an die Bibel, weil sie eine Telefonleitung aus dem Himmel wäre. Vielmehr gibt sie in faszinierender Weise Zeugnis davon, wie Generationen von Menschen - in Zagen und Zittern, mit Jubel und Mut - versucht haben zu leben und zu verstehen, was für sie der Grund und Ziel ihres Lebens ist, reizend, tröstend, lockend, ermutigend, fordernd: Gott. Ich liebe diese Erfahrungsbibliothek, weil sie den Menschen so schonungslos nüchtern beschreibt, und damit den Gott, der diesem Menschen in erbarmungsvoller Treue zugeneigt bleibt, noch umso wunderbarer auszumalen erlaubt. ... (Peter Dabrock)
Was hat einen Heilsverkünder in hohe Ethikratsposition gebracht?
Hier seien auch Leserbriefkommentare zitiert, die damals an die Süddeutsche Zeitung geschickt wurden. Der Leser Dr. Gunter Bleibohm des dort veröffentlichten Glaubensbekenntnisses hatte sich direkt an den Verfasser gewendet:
"Sehr geehrter Herr Prof. Dabrock,
nachdem ich Ihr 'Glaubensbekenntnis' in der Süddeutschen Zeitung intensiv durchgelesen habe, bleiben für mich Fragen und offene Punkte, für die ich keine Hinweise und Erklärungen in Ihrem Text gefunden habe. … Zuerst taucht die Behauptung auf, dass Gott die Liebe verkörpert. Diese Behauptung weist allerdings den Mangel oder präziser, die wissenschaftliche Todsünde auf, dass der Beweis für die Existenz Gottes bis heute fehlt …. Diesen Punkt hat Sam Harris in seinem 'Brief an ein christliches Land' wunderbar formuliert: 'Es ist an der Zeit, dass wir uns zu einem ganz grundlegenden Wesensmerkmal des menschlichen Diskurses bekennen … Während ein unbeugsamer und von keinerlei Evidenz gestützter Glaube in jedem anderen Bereich des Lebens als ein Merkmal von Irrsinn oder Dummheit gälte, genießt der Glaube an Gott in unserer Gesellschaft noch immer höchstes Ansehen. … Bezeichnenderweise erstreckt sich diese Aura des Edelmuts jedoch nur auf die Glaubensweisen, denen sich gegenwärtig viele Menschen verschrieben haben. Jeder Mensch, der dabei ertappt würde, wie er Poseidon verehrt - und sei es, er täte es auf hoher See -, würde für verrückt erklärt.' …"
Und ein anderer Leser, Prof. Klaus Hamper, schrieb an die Redaktion der Süddeutschen Zeitung:
"Wie solch ein … milde lächelnder professoraler Geistesknecht irrationaler Gottesphantasien es bis zum stellvertretenden Vorsitzenden des 'Deutschen Ethikrats' gebracht haben mag, bleibt ein Rätsel. Es lässt aber zumindest einen Schluss sicher zu: Es ist nicht gut um den Geist der Aufklärung in unserem Volk der ehemaligen Dichter und Denker bestellt, wenn solche Figuren in solche Positionen gelangen können und eine … Zeitung wie die 'Süddeutsche' auch noch ernsthaften Raum für die Propagierung solch gleichzeitig unsäglich banaler, schwülstiger und unüberprüfbarer inhaltsleerer Floskel-Ergüsse zur Verfügung stellt. Nur gut, dass es wenigstens hin und wieder noch klare Geister wie Dr. Bleibohm gibt, die das Grundprinzip der 'intellektuellen Redlichkeit' in Erinnerung rufen, einer Charaktereigenschaft, an der es diesen selbstzufriedenen Verkündern nicht hinterfragbarer Heilsversprechen seit jeher mangelt."
Hier steht die Kultur des politischen Diskurses in unserem Lande auf dem Prüfstand. Es stellt sich die drängende Frage nach nebulös bleibender Geschwätzigkeit, der personellen Aufstellung eines Gremiums wie dem Deutschen Ethikrat und nach der intellektuellen Redlichkeit.
35 Kommentare
Kommentare
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Der Ethikrat ist unter solchen Bedingungen völlig wertlos. Was an dem Mehrheitsstandpunkt "ethisch" sein soll, wissen die religiös Verblendeten allein.
Es ist wohl auch überhaupt nicht verstanden worden, dass das Urteil des BVerwG keine "Erlaubnis" fordert, sondern nur eine minimales Zurücktreten einer längst vorhandenen staatlichen "Blockade", einer Verbotsregelung, in Fällen, wo dies die Menschenwürde verlangt. Statt dessen wird so getan, als ob das Urteil vom Staat eine aktive Förderung des Suizids verlange.
Und wie bitte stellen sich die Experten des Ethikrates ein "Angehen" des Bundestages gegen das Urteil des BVerwG vor? Das ist zwar juristisch laienhaft, aber zeugt gleichwohl von einem Staatsverständnis im Hinblick auf die Gewaltenteilung, das einem "Ethikrat" nun auch nicht gerade wohl ansteht.
Und die angeblichen Implikationen des Urteils im Hinblick auf den § 217? Es ist ja wohl geradezu lachhaft, zu konstruieren, vom BfArM werde damit ein Verstoß gegen das Verbot der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung verlangt. Wenn man schon eine Auswirkung auf den § 217 annehmen will, dann höchstens den, dass dessen Regelung mindestens den gleichen Schranken -denen der Menschenwürde- unterworfen sein müsste wie die Regeln des Betäubungsmittelgesetzes.
Die Mehrheit des Ethikrates trägt nicht nur eine Brille der Voreingenommenheit, sie ist offenbar auch noch mit maximaler Tönung versehen.
Martin Weidner am Permanenter Link
Wenn ich Sie richtig verstehe, gehen Sie davon aus, dass die Theologen die Mehrheit bilden im Ethikrat. Es sind aber nur 4 von 26.
Dieter Bauer am Permanenter Link
"Verstehen können" setzt "verstehen wollen" voraus. Plappern ist überflüssig und sollte unterbleiben.
Martin Weidner am Permanenter Link
Plappern ist es, wenn der Mehrheit des Ethikrates unterstellt wird, religiös verblendet zu sein.
Thomas Friedrich am Permanenter Link
Was kann man erwarten? Der Ethikrat wird von der Politik besetzt und die großen Parteien sind in ethischen Fragen kirchenhörig und reaktionär.
Hätte es diesen Rat schon in den 50ern gegeben, dann hätte er sich höchstwahrscheinlich gegen die Legalisierung von Homosexualität und gegen die Straffreiheit von Abtreibung ausgesprochen.
Matheist am Permanenter Link
Soooo sieht also die Trennung von Kirche und Staat in D aus! Pfui!
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Theologen an der Ethikratsspitze. Dessen Zusammensetzung ohnehin willkürlich (Wissenschafts-/Wirtschaftsnah).
Karin resnikschek
Matheist am Permanenter Link
Vielleicht sollten wir den Politikern, die die Ethikräte auswählen, deutlich klarmachen, dass Ethik ein Teilgebiet der Philosophie ist, und eben keines der Theologie.
Martin Weidner am Permanenter Link
Vielleicht sollten sie zur Kenntnis nehmen, dass Ethik auch ein Teilgebiet der Theologie ist.
Götz am Permanenter Link
Herr Dabrock ist nicht nur im Ethikrat fehl am Platz, er gehört auch nicht als Professor an eine staatliche Universität. Theologie ist keine Wissenschaft, sie hat daher auch nichts an einer Universität zu suchen.
Bernd Müller am Permanenter Link
Wäre Jesus nicht auferstanden, würde er sich im Grab umdrehen, wenn er mitbekäme, was diese scheinheiligen Pfaffen in seinem Namen anrichten.
K.Vino am Permanenter Link
Wer der Ansicht ist, dass Peter Dabrock nicht über inhaltsleere Floskeln hinaus kommt und nicht versteht, warum er im Ethik-Rat auch philosophisch etwas zu sagen hat, dem empfehle ich die Lektüre seiner Dissertation:
Martin Weidner am Permanenter Link
Was besagt es, dass hier keiner drauf eingeht?
Petra Pausch am Permanenter Link
Das besagt, dass sich mit diesen Hirngespinsten niemand wirklich befassen mag.
Martin Weidner am Permanenter Link
Danke für die ehrliche Antwort: Kritisieren, aber verweigern, sich damit auseinander zu setzen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Man muss philosophische Ansätze nicht verstehen, vor allem nicht dann, wenn sie die Existenz unsichtbarer und unbeweisbarer Geister voraussetzen, damit diese Ansätze zumindest den Anschein der Nachvollziehbarkeit erha
Rainer B. am Permanenter Link
Mal abgesehen von dem ideologisch geprägten Einfluss eines Herrn Dabrock im Ethikrat, offenbart der letzte Absatz seines "Glaubensbekenntnisses" in der SZ sehr anschaulich die Mentalität heutiger Christen:
"Der Glaube stiftet vor allem auch Gemeinschaftsleben: [...] Selbst wenn sich das, was wir Christen von der Ewigkeit und vom Jenseits erhoffen, am Ende nicht bewahrheiten sollte, dann würde ich trotzdem für das Hier und Jetzt sagen: Mein Glaube ist eine so erfüllende und großartige Sicht auf das Leben in dieser Welt, dass ich ihn auf keinen Fall missen möchte."
D.h. selbst wenn sich die christliche Ideologie für ihn als Irrtum heraustellen sollte, würde er dieser weiter anhängen. Gewisssermaßen ein Festhalten am Placeboeffekt gepaart mit Autosuggestion. M.E. läuft die gängige Religionskritik am Metaphysischen gegenüber Christen mittlerweile vollkommen ins Leere, weil Metaphysisches für viele von ihnen nicht mehr das Ausschlaggebende darstellt, sondern "vor allem [das] Gemeinschaftsleben", mit moralischer Orientierung und emotionaler Verankerung. Um sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen, werfen nicht nur Christen ihre intellektuelle Ehrlichkeit über Bord.
Der im Zitat eingeräumte Fundamentalzweifel an den 'letzten Dingen' wie Ewigkeit und Jenseits wird mit erfüllter Lebensgestaltung gekontert!! M.E. muss man hier schon von einer säkularen Argumentation, einem säkularen Christen sprechen.
Deshalb ist Kritik am Metaphysischen, wie 'Gottes Existenz wurde noch nie bewiesen', bei Religiösen unverfänglich, sondern taugt höchstens bei der Aufklärung Jugendlicher. Man kann auch nicht das Bedürfnis nach Gemeinschaft in Familie und Gemeinde verneinen, wofür die christl. Ideologie heute nicht mehr als der Kristallisationskern zu sein scheint. Es bleibt m.E. eben nur eine ethische Diskussion, bei der von Religiösen Logik und die Freiheit zur Selbstbestimmung eingefordert werden muss.
enes am Permanenter Link
Alles schön und gut.
Aber das Argument "Existenz Gottes wurde nie bewiesen" war, ist u. bleibt schwach. Im Umkehrschluß ist der Beweis zu erbringen, dass Gott nicht existiert. Und das ist bisher (auch) nicht gelungen.
Abgesehen davon: Auch Theisten können einen "säkularen" oder auch "laizistischen" Staat begrüßen und wollen.
Suizid als Freitod oder als selbstbestimmtes Ende des eigenen Lebens bejahe ich durchaus. Die Frage ist wohl vielmehr, wie dabei die Rolle von "Staat", "Bürokratie", "Ärzteschaft", .... zu definieren ist. Auch im Hinblick auf die spezifisch dt. Erfahrung der nationalsozialistischen Euthanasie.
Zudem ist die "Empirie" aus den Niederlanden oder Belgien eher .... gruselig ....
Petra Pausch am Permanenter Link
"Im Umkehrschluß ist der Beweis zu erbringen, dass Gott nicht existiert. Und das ist bisher (auch) nicht gelungen."
Bitte beweisen Sie, dass in meinem Schlafzimmer kein unsichtbares Einhorn steht. Anschließend beweise ich, dass Gott nicht existiert.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wann geht es Geistgläubigen endlich auf, dass die Umkehrschlüsse a la: "Wenn ich die Existenz eines nichtexitierenden Geistes schon nicht beweisen kann, dann beweist ihr doch wenigstens die Nichtexistenz des nich
Nur das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört daran zu glauben, nennt man Realität!
Martin Weidner am Permanenter Link
Sie setzen die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod mit der Religion gleich. Im Alten Testament gab es aber ca. ein Jahrtausend, in dem es diese Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod gar nicht gab.
Rainer B. am Permanenter Link
Die Kernaussage von Herrn Dabrocks Religion ist die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Ohne diese Hoffnung wäre es kein Christentum.
Und die Theologie der biblischen Figur eines Paulus ist immer, auch in Ihrem angeführten Bsp. untrennbar mit der Perspektive des Jenseits verknüpft. Die genannte Quintessenz in 1. Kor,15 ist abhängig vom vorangehenden Satz: "Gott aber sei Dank, der uns den Sieg [über den Tod] geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn. Daher[!], geliebte Brüder, seid standhaft und unerschütterlich, nehmt immer eifriger am Werk des Herrn teil..."
Wenn mittlerweile über 20% der Christen in DE atheistische Positionen vertreten, dann lösen die Christen selbst das bisher allein maßgebliche Metaphysische in Mitmenschlichkeit, also soziale Aspekte auf. Herr Dabrock hält noch am Göttlichen fest, aber selbst er sichert Zweifel daran durch eine säkulare Ersatzlösung, Sinngebung ab.
Viele Christen meiden es, außerhalb ihres Milieus von den metaphysischen Inhalten ihrer Religion zu reden. Der Graben zu den Erkenntnissen der Wissenschaften der letzten Jahrzehnte wird immer größer und peinlicher. Deshalb geht es bspw. zu Pfingsten immer seltener um den angebl. herabgefahrenen "heiligen Geist", sondern meist nur noch schlicht um den Geburtstag der Kirche...
Martin Weidner am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr B.,
In diesem Sinne hatte ich Paulus zitiert, bei dem die Auferstehung darauf hinaus läuft, dass es das Tun in dieser Welt beflügelt. Das gründet im Neuen Testament immer in der Wirklichkeit Gottes.
Das Alte Testament gehört mit zur christlichen Bibel und hat sehr wohl etwas zu sagen. Die Auferstehung ist insofern für den christlichen Glauben konstitutiv, weil es sonst keinen Glauben an Jesus gegen könnte. Rein historisch ist es unmöglich, dass fromme Juden an einen gescheiterten Messias geglaubt haben; ohne den Glauben an die Auferstehung Jesu wäre die Entstehung des Christentums historisch gar nicht denkbar.
Ansonsten pflichte ich Ihnen bei, dass das Auflösen des Glaubens in Gemeinschaftsgefühl mir auch nicht gefällt. Das ist der Zeitgeist der 80er und 90er Jahre, der in die Kirche geschwappt ist und immer noch lebendig ist. Das geschieht aber genauso innerhalb des Milieus, es ist aber nur ein Teil der Kirche so, nach meiner Wahrnehmung der kleinere Teil. In kirchlichen Akademien wird nicht so verfahren. Da gibt es einen breiten Dialog mit Wissenschaften verschiedener Gebiete, der in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen ist, im Trend dieses Dialogs liegen da Wissenschaften im Bereich der Physik und der Biologie (abgesehen von ethischen Fragen, wo noch andere Bereiche Trend sind).
Es ist gut, dass Sie das so deutlich sagen, denn es gibt in der Kirche auch Stimmen, die sagen: Das mit den Glaubensaussagen ist schön und gut, aber das interessiert keinen, die Menschen sind nur an Ethik und Gemeinschaft interessiert. In dem Kampf dagegen sehe ich Sie als Verbündeten. Aber in dieser Ecke der Metaphysikmüden sehe ich Herrn Dabrock nicht. (Wobei das Wort „Metaphysik“, das schon mit seiner Entstehung ein Treppenwitz ist, durch seine schwergewichtige Geschichte missverständlich sein kann.)
Rainer B. am Permanenter Link
Herr Weidner, ich muss Sie enttäuschen, wenn Sie schreiben: "...es gibt in der Kirche auch Stimmen, die sagen: Das mit den Glaubensaussagen ist schön und gut, aber das interessiert keinen, die Menschen sind nur a
Diese Stimmen in den Kirchen, sind ja gerade das, was auch ich als 'christlichen Zeitgeist' in DE beschrieben habe. Als Atheist kämpfe ich nicht dagegen an. Einmal, weil mir die Motivationslage der Christen eigentlich egal ist, und ich zweitens deren 'bekennende' Säkularisierung dieser Motivation allem metaphysischen Geschwätz vorziehe.
Auch in Ihrer Auffassung zur literarischen Figur eines Paulus muss ich widersprechen: "In diesem Sinne hatte ich Paulus zitiert, bei dem die Auferstehung darauf hinaus läuft, dass es das Tun in dieser Welt beflügelt." Das ist eine Interpretation, die im Gegensatz zum zeitlichen Kontext der Paulusbriefe steht. Der oder die Verfasser der "Briefe" gehen fest von einer eschatologischen Naherwartung aus, also Endzeitstimmung! Der Schlusssatz "nehmt immer eifriger am Werk des Herrn teil..." ist daher eben in diese Endzeitstimmung einzuordnen und bedeutet daher nicht mehr, als macht euch auf das nahende Gottesgericht gefasst. Das nun als aktiven Auftrag zur Gestaltung irdischen Lebens aufzufassen, ist eine der vielen späteren (wie auch der Ihren) Umformungen, die Christen sich so ausdenken, um spätantike Religion als aktuell relevant erscheinen zu lassen. Denn es heißt eben nicht, schafft ein menschenwürdiges Dasein, sondern "nehmt am Werk des Herrn Teil", was verschiedene Dinge sind.
Martin Weidner am Permanenter Link
Dass Sie den „Verbündeten“ ablehnen, kann ich gut verstehen. Hier kann man keine Emoticons posten, es war mit einem Augenzwinkern gemeint.
Zu Paulus:
Das Zitat in 1 Korinther 15 geht weiter: „denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“
Arbeit ist aber nicht ein Warten auf das Gottesgereicht, sondern hier geht es um das aktive Tun in dieser Welt. Das ist keine späte Umformung, sondern von Paulus selbst so gemeint.
alfons Pfender am Permanenter Link
Man muß einfach kapieren daß die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Religionsfreiheit auch die Freiheit von der Religion enthält bzw. vorsieht.
Christian Schle... am Permanenter Link
Es gibt in Deutschland sicher noch Hunderttausende Christen, die getreu ihrem Glauben Abtreibung für eine Todsünde halten. Aber denen schenkt unsere Gesellschaft seltsamerweise keine Aufmerksamkeit mehr.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Nun, das Thema Schwangerschaftsabbruch ist für die Gesellschaft durch, die Sterbehilfe noch nicht.
Außerdem scheint es für Gläubige unfassbar zu sein, dass die Mehrheit der Menschen überhaupt nicht sündigen kann, weil sie den Sündenhumbug einfach nicht akzeptiert.
Martin Weidner am Permanenter Link
Der Artikel läuft doch darauf hinaus, dass jemand, der Christ ist, im Ethikrat nichts zu suchen hat, schon gar nicht als Vorsitzender. Ist diese Einstellung mit dem Grundgesetz vereinbar?
Petra Pausch am Permanenter Link
Herr Weidner, Sie sind ja bekannt dafür, nur das zu verstehen, was Sie verstehen wollen. Und dann Ihre kruden Ansichten hier mit missionarischem Eifer loswerden zu wollen.
Aber ich kann Sie beruhigen, es geht keinesfalls darum, jedem Christen die Arbeit im Ethikrat verbieten zu wollen (keine Ahnung, wo sie das herauslesen)... es geht darum, dass die religiöse Überzeugungen bei ethischen Bewertungen keine Rolle zu spielen haben. Zumal sie eben ein Drittel der Gesellschaft komplett ausblenden.
Martin Weidner am Permanenter Link
Der Artikel kritisiert, dass sich Herr Dabrock öffentlich zu seinem Glauben äußert und dass sein ethischer Ansatz mit seinem Glauben verbunden ist. Beides gehört zum Christsein dazu.
Gita Neumann am Permanenter Link
Hier wurde bemängelt, dass man sich mit Dabrocks tiefgründigem Werk gar nicht beschäftigt habe. Danke für den Hinweis. Ich bin – wohl zu sehr Banausin – daran allerdings grandios gescheitert.
http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/5237316
in meinen eher schlichteren Verständnishorizont zu überführen:
„Der Fundamentaltheologie kommt die bedeutsame Aufgabe zu, die Rationalität der Glaubensverantwortung außerhalb von Theologie und Kirche zu plausibilisieren. Aufgrund geschichtlicher Umstände hat die evangelische Theologie ein schwieriges Verhältnis zu dieser theologischen Teilaufgabe entwickelt. Die vorliegende Arbeit rehabilitiert deren Fragestellung für die evangelische Theologie und leistet somit einen wichtigen Beitrag zu einem interkonfessionellen und interdisziplinären Diskurs. Dabei stellt sie das hohe Problembewußtsein, aber auch das grundsätzliche Defizit der gegenwärtigen Entwürfe dar. Da diese nicht hinreichend die Konflikte der Glaubensverantwortung im Fadenkreuz der beiden Grundfifferenzen "Gott-Mensch" und "Kirche-Welt" bedenken, wendet sie sich zur Förderung dieser Differenzsensibilität dem Konzept responsiver, d.h. antwortender Rationalität des Sozialphänomenologen Bernhard Waldenfels zu. … Schließlich kann eine evangelische Fundamentaltheologie die rationale Glaubensverantwortung mit Hilfe des bei Waldenfels gewonnenen analytischen Instrumentariums vertiefen. Dieser Erkenntnisgewinn zeigt sich auch darin, daß die fundamentaltheologische Applikabilität ... "
Gita Neumann
Götz am Permanenter Link
Bei dem zitierten Text stellt sich doch nur eine Frage: Gewollter oder ungewollter Hoax (Unsinn).
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Ist das nicht wunderschön?
Rainer B. am Permanenter Link
http://www.ethik.theologie.uni-erlangen.de/de/lehrstuhl/forschung/ansatz.html, Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie Prof. Dr. Peter Dabrock, Forschungsansatz:
"Das Forschungsprofil des Lehrstuhls wird im Wesentlichen durch eine fundamentaltheologische und konkrete Ethik geprägt. Das Attribut „fundamentaltheologisch“ verweist dabei auf die Notwendigkeit, die theologische Ethik im Sinne von 1. Petr 3,15 („Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“) in einer weltanschaulich pluralen und funktional ausdifferenzierten Gesellschaft kommunikativ anschlussfähig zu halten und so die Gehalte der christlich-theologischen Tradition in aktuelle ethische Diskurse einzuspeisen."
Herr Dabrock nimmt die "Notwendigkeit" ernst, die Ideologie seiner Religion einzuspeisen - allg.-öffentl. steuerfinanziert natürlich.
Fundamentaltheologie soll den Glauben angesichts der Vernunft rational begründen. Bei Herrn Dabrock liest sich das vereinfacht so: "Mein Glaube ist eine so erfüllende und großartige Sicht auf das Leben in dieser Welt, dass ich ihn auf keinen Fall missen möchte." (SZ) Dies ist ein persönlicher Erfahrungsbericht, aber keine Abwägung nach Verhältnismäßigkeit i.S.v. Rationalität/ Vernunft. Es ist eben nur "antwortender Glaube". Mit Blick auf die verstetigten Kirchenaustritte scheint dies nicht mehr sonderlich "anschlussfähig" zu sein.