Recht auf Kindheit

Frauenrechtsorganisation fordert Kopftuchverbot für Mädchen

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Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hat auf ihrer Jahresversammlung mit großer Mehrheit den Beschluss gefasst, das Kopftuch für minderjährige Mädchen im öffentlichen Raum, vor allem in Betreuungs- und Ausbildungsinstitutionen, gesetzlich zu verbieten. Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und Linke stehen dem Vorschlag skeptisch gegenüber. Die Radikalisierung des Islam und ihr Niederschlag in Bildungseinrichtungen sehen Experten aber als gegeben.

Die Verschleierung von Mädchen manifestiert bereits bei Kindern und Jugendlichen eine Art von Geschlechter-Apartheit. Dies erklärte die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes am Montag in Berlin.  Das Kopftuch markiere Mädchen als "Sexualwesen" und "Verführerinnen, die ihre Reize vor den Männern zu verbergen haben". Dieses patriarchalische Rollenbild stehe ihrem Recht auf Kindheit entgegen, heißt es in einem Beschluss, den die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes bei ihrer Jahreshauptversammlung gefasst hat. Darin fordert die Organisation ein gesetzliches Kopftuchverbot bei Mädchen, denn das diskriminiere nicht nur kindliche und heranwachsende Mädchen, sondern stelle auch Jungs und heranwachsende Männer als triebgesteuert und unbeherrscht dar, heißt es in der Erklärung weiter.

Kindergärten, Schulen und andere Ausbildungsstätten müssten Orte sein, in denen sich jeder unabhängig von Geschlecht, kultureller Herkunft und Weltanschauung entwickeln können muss, um die Chancengleichheit zu wahren. "Alle müssen das Recht auf eine gleichgestellte Entwicklung erhalten", erklärte Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin der Organisation. Dazu gehöre auch das im Grundgesetz verankerte Recht auf Religionsfreiheit. Hierfür müsse allen Kindern ein gesetzlicher Schutzraum zur Verfügung gestellt werden, indem sie ein säkulares Gesellschaftsmodell erfahren können.

Stolle erklärte Medienberichten zufolge auch, dass man keine falsche Rücksicht auf Migrationshintergründe nehmen dürfe. "Unsere Aufgabe ist es, mit dem Finger auf Ungerechtigkeiten zu zeigen", wird die Ethnologin und Soziologin in der Welt zitiert. Wie in der Onlineausgabe der Tageszeitung berichtet wird, hatte die Organisation das am Wochenende in Berlin gleich mehrfach gemacht. In der Urania wurde über die Ausbreitung des radikalen Islam und dessen salafistische Stoßtruppen diskutiert. Die Schweizer Menschenrechtsaktivistin und Gründerin des Schweizer Forums für einen fortschrittlichen Islam Saïda Keller-Messahli forderte mehr Unterstützung für aufgeklärte Muslime: "Säkulare Muslime haben keine Lobby", klagte sie. Judith Sevinc Basad, Mitgründerin der Initiative "Liberaler Feminismus", kritisierte kürzlich im Berliner Tagesspiegel, dass vorwiegend linke Feministinnen Angst hätten, das Kopftuch zu kritisieren. 

Die türkeistämmige Autorin Necla Kelek, Mitglied im Vorstand der Organisation, kritisierte: "Wenn eine Sechsjährige schon mit Kopftuch zur Schule geht, ist sie aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen." Während es in Deutschland Lehrkräften weitgehend verboten ist, religiöse Symbole in Schulen und Kitas zu tragen, ist es minderjährigen Mädchen an deutschen Schulen erlaubt, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen.

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov führte daher vor einem Jahr eine repräsentative Umfrage zum Thema durch. Dabei wurden 2020 Bundesbürger mit folgender Frage konfrontiert: "An deutschen Schulen ist es erlaubt, dass minderjährige Mädchen jeden Alters aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen. Was ist Ihre Meinung: Sollte es minderjährigen Mädchen jeden Alters - also z. B. auch 12- oder 10-jährigen - weiterhin erlaubt sein, aus religiösen Gründen an der Schule ein Kopftuch zu tragen, oder sollte dies verboten sein?" 51 % der Befragten sprachen sich damals für ein Kopftuch-Verbot für Schülerinnen aus, jeder dritte Befragte plädierte dafür, das islamische Kopftuch weiterhin zu erlauben, und 11 % präferierten die Einführung einer Altersgrenze für das Kopftuch, zum Beispiel ab 16 Jahren.

Volker Beck, Sprecher für Migrationspolitik von Bündnis 90/Die Grünen sagte auf Anfrage des hpd:

"Die Freiheit ist immer die des anders Glaubenden, im Kopf und auch auf dem Kopf. Das Befolgen religiöser Bekleidungsvorschriften ist Teil der Glaubensfreiheit, sei es Kippa, Kopftuch oder Ordenshabit. Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen oder im öffentlichen Dienst ist daher antifreiheitlich. Wenn Schülerinnen aber vom Bildungserwerb durch ausgrenzende Verbote abgehalten werden, ist das auch noch integrationspolitisch kontraproduktiv."

Christine Buchholz, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Partei DIE LINKE und religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Partei kommentierte gegenüber dem hpd die Forderung wie folgt:

"Ich bezweifle, dass dieser Vorstoß den Betroffenen Mädchen hilft. Ich befürchtete, dass er im Kontext des allgemeinen Rassismus, Wasser auf die Mühlen von AfD u.a. ist."

Stattdessen fordert sie "eine bessere finanzielle Unterstützung" von Bildungs- und Beratungseinrichtungen. "Das würde helfen Mädchen stark zu machen, eigene Entscheidungen zu treffen." Buchholz verweist dabei auf den Entwurf des Wahlprogrammes, in dem es heißt:

"DIE LINKE spricht sich gegen Verbote von religiös motivierter Bekleidung aus (...) Für Menschen, die wegen ihrer Entscheidung gegen religiös motivierte Bekleidung, wegen eines Konfessionswechsels oder des Austritts aus einer Religionsgemeinschaft unter Druck gesetzt werden, wollen wir Einrichtungen zur Beratung und Unterstützung schaffen."

Die Integrationsexperten der anderen Bundestagsparteien sowie die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz kommentierten die Forderung von Terre des Femmes nicht.

Wie relevant das Phänomen des sogenannten Mädchenkopftuchs ist, ist schwer zu sagen. Zahlen, die den Anstieg von Mädchen, die in Kitas oder Schulen ein Kopftuch tragen, sind so gut wie gar nicht zu finden. Der ehemalige Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky wetterte vor Jahren, dass in seinem Bezirk inzwischen dreijährige Mädchen mit einem Kopftuch in die Kita kämen. Zudem würden Salafisten Mädchen vor Schulen des Bezirks auffordern, sich zu verschleiern. "Nicht die Integration schreitet voran, sondern eine Art Landnahme durch fundamentalistische Überreligiösität", erklärte Buschkowsky damals gegenüber Medien

Der Deutschlandfunk berichtete Anfang des Jahres, dass Vereine wie "beRATen e.V.", eine Anlaufstelle zur Beratung bei islamischem Extremismus, immer öfter mit den Kindern von Salafisten zu tun hätten und auch immer mehr Anfragen von Pädagogen bekommen, die nicht wissen, wie sie radikalen Eltern begegnen sollen. Salafismus werde auch im Kindergarten zum Problem, heißt es in dem Beitrag. 

Ob Kindergarten oder Schule, Sicherheitsexperten warnen vor diesen Tendenzen. Denn dschihadistische Gruppen würden auf eine ähnliche Art um junge Mitglieder werben, wie manche Sekten an neue potenzielle Mitglieder herantreten, heißt es in einem Beitrag zum "Dschihad im Kinderzimmer" in der Zeit. Der Salafismus locke junge Menschen mit einfachen Regeln, die die Welt in Gut und Böse einteilen.

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat auf diese Entwicklung reagiert und via Youtube die Aufklärungskampagne "Begriffswelten Islam" gestartet. Da "eindimensionale und stereotypisierende Darstellungen in den Medien […] zu verzerrten Wahrnehmungen muslimischer Lebenswelten in Deutschland und der gelebten religiösen Vielfalt innerhalb des Islams führen" können, sehe man auch auf YouTube Handlungsbedarf für die politische Bildungsarbeit zu diesen Themenfeldern.

Bildung statt Verbote – das klingt zumindest nach einem zutiefst humanistischen Ansatz. Inwiefern er Früchte trägt, bleibt abzuwarten.