Missbrauchsskandal in Frankreich

Freispruch für den Erzbischof

Jahrelang habe Kardinal Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon, von Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester seiner Diözese gewusst – und nichts unternommen. Ein Gericht verurteilte Barbarin im März 2019 wegen Vertuschung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung. Doch nun wurde er in zweiter Instanz freigesprochen.

Damit folgt das Berufungsgericht sowohl der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft. Barbarins Anwalt habe in seinem Plädoyer davor gewarnt, mit dem Urteil "ein Zeichen gegen die Institution der katholischen Kirche setzen zu wollen", zitiert ihn die NZZ. Im Verlauf des Prozesses räumte Barbarin "Fehler" ein, bekannte sich jedoch nicht schuldig im Sinne einer Straftat. Bereits nach dem ersten Urteil hatte der Kardinal beim Papst ein Rücktrittsgesuch eingereicht, das Franziskus mit Hinweis auf das damals noch ausstehende Berufungsverfahren ablehnte. Daraufhin zog sich Barbarin zurück und beauftragte den Generalvikar mit der Leitung der Diözese.

Die Missbrauchsfälle sorgten in Frankreich für enormes Aufsehen und wurden von Regisseur François Ozon im preisgekrönten Spielfilm "Gelobt sei Gott" verarbeitet.

Der beschuldigte Priester, Bernard Preynat, muss sich derzeit in einem eigenen Prozess verantworten. Der 74-Jährige soll 75 Jungen aus einer Pfadfindergruppe sexuell missbraucht haben. Verfolgt werden jedoch nur Fälle, die sich nach 1986 ereignet haben, da alle früheren Übergriffe verjährt sind. Preynat ist geständig und räumt bis zu fünf Taten wöchentlich ein. Sein "anomales Verhalten", wie er es laut Süddeutscher Zeitung nennt, sei der Kirche bekannt gewesen. "Hätte mich die Kirche früher aus dem Verkehr gezogen, hätte ich früher aufgehört", zitiert ihn die Zeitung. Der Staatsanwalt dagegen sieht nicht Preynats Vorgesetzte, sondern ihn selbst in der Pflicht. Wird er schuldig gesprochen, drohen ihm mindestens acht Jahre Haft für Preynat, das Urteil wird für den 16. März erwartet .

Gingen die Vorwürfe zunächst von den Eltern der Jungen aus, wandte sich 2014 auch erstmals ein mutmaßliches Opfer selbst, Alexandre Henez, an die Diözese. Doch erst im September 2019 zog Barbarin Konsequenzen und entließ den Priester – angeblich, weil er auf eine Antwort des Vatikans gewartet habe.

Das Verfahren gegen Preynat spielt in der Argumentation im Barbarin-Prozess eine entlastende Rolle. Die mutmaßlichen Opfer hätten die Übergriffe gar nicht an den Erzbischof melden brauchen, sondern konnten als Erwachsene einfach Anzeige erstatten, so – nein, nicht die Verteidigung, sondern die Staatsanwaltschaft.

Wie zu erwarten, äußerte sich auch Barbarins Anwalt André Soulier nach dem Urteil "mehr als zufrieden". Den Erzbischof bezeichnet er laut dpa als "heiligen Mann". Und: "Ich werde am Ende an Engel glauben."

Mehrere mutmaßliche Opfer traten im Barbarin-Prozess als Nebenkläger auf. Über ihren Anwalt kündigten sie an, den Fall in einer neuerlichen Berufung vor das Oberste Gericht zu bringen. "Tatsache ist, dass die Staatsanwaltschaft von Anfang an nicht sehr geneigt war, uns in unserem Ansatz zu unterstützen", zitiert die dpa François Devaux vom Opferverein "La parole liberee".

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