Mein Weg in die Spiritualität, Teil 2: Ich lade das Geld in mein Leben ein. Knappe 30 Euro trennen mich von meinem Erzengel-Michael-Raumspray, ein Raumspray, das mein Leben verändern könnte. Doch halt! Irgendeine weise uralte Stimme sagt mir, dass ich den Erzengel Michael ohne Geld in mein Leben einladen können müsste. Oder mindestens ohne zu arbeiten für das Geld. Arbeit ist mit meinem neuen spirituellen Lebensstil nicht vereinbar, ich gebe also bei Google ein: "spirituell" und "Geld", und wie von Zauberhand erscheint ein drittes Wort im Suchfenster: "anziehen".
Yes! Anziehen will ich das Geld, nicht mich in Knechtschaft begeben, nicht mich ketten lassen von den Erfordernissen einer materialistischen Welt. Ich lasse die Seite mit den Suchergebnissen auf mich wirken, lausche meiner gnädigen inneren Stimme, ich klicke auf eine Seite, die mir "Finanzyoga" verspricht, da tue ich auch gleich noch was für den Körper – und zack, regnet es Geldscheine auf dem Bildschirm, wie von Zauberhand erscheint ein Fenster:
"Sie haben die milliardste Suche getätigt. (...) Sie dürfen sich einen von drei unten stehenden verdeckten Preisen aussuchen. Zusätzlich werden Sie in die Hall of Fame eingetragen und erhalten eine zertifizierte Siegerurkunde. (...) Wählen Sie bitte jetzt einen Preis und folgen Sie anschließend den Anweisungen auf Ihrem Bildschirm."
Und ich denke so: Hm! Muss ich denn gar nichts tun für meinen neuen Plasmabildschirm, nichts summen, mich nicht verbiegen und versenken? Der Reichtum kommt einfach so per Knopfdruck? Das scheint mir nicht angemessen, ich will doch meine Energie in eine Schwingung mit dem Geld setzen, will doch eine Beteiligung spüren von Körper, Seele und Körperseele. Oder wie das heißt.
Also klicke ich mich da wieder raus. Also klicke ich mich da wieder raus. Also klicke ich mich da wieder raus. Verdammich! Einfach ist das nicht. Ständig lande ich in Fenstern, die mir meinen neuen Reichtum hinterherwerfen wollen, es ist gar nicht so leicht, diese Verlockungen abzuschütteln, meine Kraft als Geldmagnet scheint unaufhaltsam zu wachsen. Doch durch intensive Konzentration finde ich zurück zu meiner Google-Suche. Und gehe dann doch noch mal einen anderen Weg. Meinen Weg. Ich will nicht nur klicken. Ich will haben UND sein, ganzheitlich, sinnlich, vollumfänglich. Ich klicke auf ein Video, das Video wird mich reich machen, und zwar wie?
Ich lasse es auf mich wirken. Das Video spielt so eine Entspannungsmusik, wie ich sie zuletzt erleben durfte, als mich der große Menschenfreund Braco im Internet heilend ansah.
Nur gibt es dieses Mal, statt Braco: subliminale Botschaften. Das kann man auch wieder googeln, es ist so eine Art Schnittmenge aus Wahrnehmungspsychologie, Werbung und Zauberei, und die Idee ist wohl diese: dass irgendjemand mir, unhörbar, während die Dudelmusik läuft, ständig zuflüstert, dass ich jetzt reich werde. Wie nett von denen!
Ob der Sache zu trauen ist? Noch merke ich nichts. Nirgends taucht Geld auf, keine Omi vorm Fenster lässt ihre Handtasche auf der Straße fallen, auch passiert mir nicht, was User/in Nomadagain in den YouTube-Kommentaren berichtet:
"Ich mache es gut schon eine Woche und muss sagen, krass! Das ganze kombiniert mit der Gesetz der Anziehung bewirkt schon gefühlte Wunder manchmal. Ich will meine Armbanduhr seit langer Zeit verkaufen. Als ich die Treppe hochgelaufen bin, fiel ein Zettel von der Post meines Bruders runter direkt vor meine Füsse. Dort stand: 'Kaufen Armbanduhren ab'."
Tja, bei mir tut sich nix. Bislang. Kein Geld, kein Verhökern – ich HABE noch nicht mal eine Armbanduhr! Wie es scheint, werde ich nachbessern müssen. Zum Glück kann man diese schöne Musik, "Subliminal" genannt, auch gleich im Bundle kaufen, für nur knapp 30 Euro! Hm. Aber wo ich so drüber nachdenke, den schnöden Mammon und alles: Will ich nicht lieber knallblaue Augen kriegen?
Auch dafür werden Subliminals angeboten, und nun stehe ich also vor der Wahl. Reich sein oder noch schöner als ohnehin schon? Der Weg in die Spiritualität ist eine aufregende Reise, die einen täglich wieder vor existenzielle Fragen stellt.
1 Kommentar
Kommentare
Assia Harwazinski am Permanenter Link
Für knallblaue Augen (oder solche in anderen Farben) gibt es Kontaktlinsen in allen Farben zu kaufen; damit kann man die Menschen irritieren, sollte einem diese ständige Fummelei an den eigenen Sehorganen nicht zuviel
Wir sollten mal einen Flohmarkt organisieren, ich habe noch einige alte Kaffeetassen. Die können wir eigenhändig verzieren, mit erfundenen Autogrammen usw. von Künstlern für Sammelwütige: Aufpeppen, aufwerten und teurer verhökern. Dazu esoterische Dudelmusik im Hintergrund laufen lassen, damit die Leute stehenbleiben und sich im Gucken versenken lassen, anfangen zu träumen und der Geldbeutel sich wie von selbst öffnet... vielleicht noch ein paar selbstgemachte echte "Yogi-Kraftbällchen, Marke Annapurna" im Angebot zum Naschen, mit Kokosflocken drumherum und mit Kurkuma gefärbt... oder so. "K2" klingt zu nüchtern...