Kommentar

Gehört Seehofer zu Deutschland?

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Horst Seehofer (2015)
Horst Seehofer (2015)

Gehört Nutella zu Deutschland? Gehört der 30-jährige Krieg zu Deutschland, Hitler, Einstein, Kohl? Gehört der ICE zu Deutschland, oder Fußpilz, oder ein merkwürdig verdruckstes Lachen, wie wenn man sich eigentlich des Lachens schämte? Gehört Seehofer zu Deutschland?

Je mehr dieser Fragen man sich stellt, desto sinnloser erscheinen sie, desto mehr wedelt man im Nebel. Denn was heißt das schon, "gehört zu"? Die Formulierung wird von Politikern gern genutzt, denn sie klingt markig und entschlossen, ohne dabei die mindeste Bindungskraft zu entfalten. "Der Islam gehört zu Deutschland", das hat vor Jahren Bundesklassensprecher Christian Wulff gesagt, und man konnte vage ahnen, was er meinte: Es gibt viele Muslime in Deutschland, und mit ihnen gehört ihre Religion selbstverständlich ebenfalls hierher. Mit demselben Recht könnte man sagen: Feinrippunterwäsche gehört zu Deutschland, Handball gehört zu Deutschland, Brieftaubenzucht gehört zu Deutschland, Spitzgiebel. Sie sind halt da, und gut. Die Inhaltslosigkeit einer solchen Ansage wurde nun klar, als Bundesminister Seehofer, zuletzt besser bekannt als Heimat-Horst, verlauten ließ: Nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland. Einmal mehr begriffen wir: In der Mediendemokratie ist aller Streit einer um Worte, nicht Taten.

Wer gehört zu wem, und was zu was? Gehört er zu mir – wie mein Name an der Tür? Und hat er dabei ein Wörtchen mitzureden gehabt? Zugehörigkeit ist ein Ding der Empfindung und muss deswegen betont werden. Sie kann auch vollkommen assoziativ entstehen: Seit ich in München in einen Kackehaufen trat, gehören diese beiden Dinge für mich untrennbar zusammen. Gehört der Christbaum zum Christstern, der feuchte Boden zur Erle, der Nachtisch zum Mahl?

Gehört das Christentum zu Deutschland? Und wenn ja, was bedeutete das? Ist damit eine inhaltliche Kongruenz von Staat und Religion gemeint, eine gemeinsame Geschichte? Deutschland sei, behauptet Seehofer, "christlich geprägt". Zugehörigkeit ist ihm also eine Art von Gewohnheitsrecht: So wie das alte Ehepaar zusammengehört, so wie der Sprung in der Lieblingsschüssel mittlerweile irgendwie dazugehört, so wie man sich sonntags vor den "Tatort" setzt, ganz egal, wie unterirdisch er sei: So gehören für Heimat-Horst Deutschland und das Christentum zusammen. 

Aber, hm, was meint eigentlich: Deutschland? Ist damit das Staatswesen der Bundesrepublik gemeint, oder die deutsche Nation durch verworrene Jahrhunderte hindurch? Sind reisepass-genau nur die Deutschen gemeint oder alle Menschen, die hier leben? Oder, wie bei Tucholsky, eher die schönen Landschaften? Deutschland ist nur ein Wort, nach Belieben zu deuten. Was gehört dazu? Arnold Zweig, Mario Barth, ein Regenwurm in einem Vorgarten in Baunatal, dieser Text hier... von "Islam" wollen wir gar nicht erst anfangen, zumal wenn er aus dem Hirn von Heimat-Horst kommt. Leicht zöge sich der Schlussstrich: Da wurde nur mal wieder ein Pudding an die Wand geworfen. 

Doch Heimat-Horst ist nicht dumm. Denn je weniger konkreten Inhalt eine Setzung hat, desto mehr wirkt ihre subkutane Botschaft: "Leitkultur". "Integration". "Flüchtlingskrise". Wer einen solchen Begriff durchsetzt, hat schon gewonnen. Jetzt also: "gehört zu". Das zu diskutieren, bedeutet, eine Unveränderbarkeit zu akzeptieren. Schicksalhafte Zusammenhänge. Eine starre Welt. Das ist die Essenz des Konservatismus, und das Gegenteil von Politik als einer Gestalterin. Gehört der Islam zu Deutschland? Wer zum Antworten auch nur ansetzt, ist in einer modernen, sich verändernden Welt keine Hilfe.