Zehn Sachbücher für den Sommer

Vom guten und gerechten Leben

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Edition Körber Stiftung, 280 Seiten. 22,00 Euro

6. Christian Schüle: Wir haben die Zeit

Flexibel ist der moderne Mensch, immer und überall. Arbeit ist schon lange nicht mehr "nine to five" und die alte Gewerkschaftsforderung, dass am Samstag der Vati dem Kind gehöre, einer Wahrheit gewichen, die Mama auch am Samstag bis 24 Uhr an die Supermarktkasse zwingt. Wie aber erlangen wir Hoheit über unser eigenes Leben zurück, fragt Autor und Essayist Christian Schüle, der diese Rückeroberung durch die Flucht in die Selbstständigkeit selbst betrieben hat. Hier widmet er sich der Zwickmühle, in der wir alle stecken und fordert – nach dem Renaissance-Humanismus, dem Neuhumanismus und dem Dritten Humanismus – einen "Humanismus 4.0". Gemeint ist eine Emanzipation des Individuums "von der Fremdbestimmung eines Lebensarbeitszeitmodells im Versprechen auf Selbstbestimmung". Also raus aus der Mühle von Arbeit und Familie, rein in ein selbst gewähltes Dasein, in dem sich das Individuum selbst organisiert. Klingt gut, aber sprengt das nicht den Solidarpakt? Geraten damit nicht Werte wie Verantwortung und Verbindlichkeit unter die Räder? Nein, meint Schüle, denn das wertvollste Gut, dass der Mensch hat, ist die Zeit. Wer über sie selbst bestimmen kann, geht verantwortlich mit der Gesellschaft, die ihm das ermöglicht um. Eine Utopie? Ja, irgendwie schon. Aber eine, die zu verfolgen sich lohnt.

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Verlag C.H.Beck. 428 Seiten. 26,95 Euro.

7. Volker Spierling: Ungeheuer ist der Mensch

Der Philosoph und Publizist Volker Spierling hat sich auf die Grundfragen der Menschheit gestürzt und geht ihnen in seiner umfangreichen "Geschichte der Ethik" nach. Dreh- und Angelpunkt sind dabei stets das Wesen des Menschen und die unterschiedlichen Perspektiven, die Philosophen und Denker im Laufe der Geschichte auf dieses Wesen geworfen haben. Und während er den Sichtweisen von Sokrates, Platon, Aristoteles, Seneca, Augustinus, Hume, Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche und Adorno nachgeht, lässt er vor dem inneren Auge der Lesenden nicht nur die Geschichte der Philosophie vorbeiziehen. Spierling geht auch dem Ungeheuer Mensch sowie der in den jeweiligen Zeiten ungeheuren Dreistigkeit des Denkens und Überwerfens bestehender Vorstellungen auf den Grund. Ausgangspunkt ist dabei stets Leben und Werk der elf vorgestellten Philosophen, vor dem Hintergrund der zeitlichen Umstände erklärt der Autor dann die zentralen Argumente ihrer Philosophie. Ist der Mensch ein brutales und grausames Wesen oder eine empathische und lernende Figur? Das ist die zentrale Frage, der Spierling 400 Seiten lang nachgeht. Für Freunde der Philosophie und Ethik ein Muss, für alle anderen eine lehrreiche Einführung in die Betrachtung des Menschen und seiner Moralia.

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Suhrkamp Verlag, 364 Seiten. 28,00 Euro.

8. Peter Sloterdijk: Nach Gott

70 Jahre alt ist Deutschlands bekanntester Philosoph gerade geworden und ein Thema, dass sich durch sein Werk zieht, ist das der Vernunft und des Glaubens. Mit seiner kritischen Analyse der Aufklärung, die in seinen Augen zu einer "zynischen Vernunft" verkommen sei, lieferte er die Steilvorlage für den erbosten Widerstand, der dem Karlsruhe Emeritus von Linken und Kirchenfernen entgegenschlägt. Wo die einen ethische Grundsatzdebatten führen, wittert Sloterdijk ideologischen Moralismus, entsprechend herausfordernd ist die Lektüre seiner Schriften. Nun widmet er sich der "theologischen Aufklärung über die Theologie", indem er in lose verbundenen Aufsätzen aus den Jahren 1993 bis 2017 das Hin und Her zwischen Götterwelten und Götterdämmerung rekapituliert. Flüssig lesen lässt sich das kaum, man muss sich durch diese Geschichte des Gottesglaubens immer wieder durchbeißen. Am Ende aber wird es interessant, wenn er die Moderne in den Blick nimmt, in der die Kirche zu einem "Unternehmen zur Selbstverwaltung der Melancholie über die Unmöglichkeit der Kirche" geschrumpft und die "Rückkehr des Religiösen" lediglich das Anzeichen einer Verschnaufpause der Aufklärung sei, die sie sich leisten kann, weil die Religionen die Deutungshoheit an das säkulare Denken und das innerweltliche Wissen weitgehend abgetreten hätten. Entscheidend für die Zukunft sei längst nicht mehr die Frage nach der Religion, sondern nach "der Verbindlichkeit dessen, was wir außerhalb der Religionen gelernt haben."

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Edition Körber Stiftung. 248 Seiten. 17,00 Euro.

9. Thomas Straubhaar: Radikal gerecht

In Finnland wurde es im vergangenen Jahr testweise eingeführt, in der Schweiz sprachen sich zwei Drittel gegen die Einführung aus – das bedingungslose Grundeinkommen spaltet die Gesellschaften, auch die deutsche. Linke sehen darin den Fortschritt für ein faireres Miteinander, liberale Politiker eine Wirtschaftsbremse. Thomas Straubhaar ist ein bekennender Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens, in einem aktuellen Buch erklärt er, warum. Dafür erklärt er zunächst, vor welchen Herausforderungen der Sozialstaat im 21. Jahrhundert steht. Alterung, Digitalisierung, Individualisierung sowie der gesellschaftliche Wandel weg vom protestantischen Arbeitsethos hin zu einer Einstellung, in der Leben mehr als Arbeit bedeutet, erfordern eine Modernisierung des Sozialstaatsprinzips für das 21. Jahrhundert. Eine entscheidende Lösung ist für Straubhaar das bedingungslose Grundeinkommen, weil es die soziale Marktwirtschaft weiterentwickle und den Menschen die Freiheit gebe, die Berufung zu finden, die ihnen entspricht. "Nur wer seine Existenz materiell abgesichert hat, ist wirklich frei, eigenständig zu handeln." Seine Forderung sie nicht risikolos, räumt Straubhaar ein, aber radikal gerecht, um aus der Utopie "Wohlstand für alle" eine Chance zu geben.

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Piper Verlag, 272 Seiten, 22,00 Euro.

10. Wilfried Hinsch: Die Moral des Krieges

Kaum eine Frage ist so alt wie die nach dem gerechten Krieg. Der Moralphilosoph Wilfried Hinsch stellt sie in seinem aktuellen Buch noch einmal neu. Der Grund sind die ethisch-moralischen Dilemmata, in die Pazifisten angesichts der neuen Kriege und religiös motivierten Grausamkeiten geraten. Das gilt auch für Staaten wie Deutschland, ein Sonderweg im Sinne einer besonderen Verantwortung schließt sich aus, weil Ethik und Moral universalistische Prinzipien sind, deren Ausklammern ins Abseits führen. Wann und wofür sollen deutsche Soldaten also kämpfen? Müssen sie vielleicht sogar? Und wenn ja, welche Mittel sind dabei erlaubt? Nimmt man beispielsweise den Tod Unschuldiger hin, um andere zu retten oder den finalen Schlag auszuführen? Und welche Kriterien gelten bei terroristischen Anschlägen? Fragen wie diese stellt der Kölner Professor für politische Philosophie in seinem Buch, um für einen "aufgeklärten Pazifismus" zu plädieren. Denn ein radikaler oder abgeschwächter Pazifismus sei keine Grundlage für eine "argumentativ tragfähige Moral des Krieges". Denn er nimmt im Extremfall aus ideologischen Gründen wissentlich den Tod Dritter hin. Unverzichtbar ist deshalb, militärische Gewaltanwendung durch ethische Kriterien nachvollziehbar zu begründen – oder eben auch abzulehnen.