Rechtsaußen liebäugelt mit China, Russland und dem Politischen Islam

Hauptsache antiliberal

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AfD-Wahlkampf in Köln
AfD-Wahlkampf

Weder Islamismus noch Marxismus bedrohen Rechtsidentitären zufolge die nationale und kulturelle Existenz Deutschlands. Es sei der Liberalismus, der das Überleben "unseres Volkes" gefährde. Enthüllungen zeigen, dass die ethnokulturelle Rechte, von der Alternative für Deutschland (AfD) bis zur Identitären Bewegung (IB), unheilvolle Allianzen mit China, Russland und dem radikalen Islam eingeht. Eine kritische Netzwerk- und Ideologiebetrachtung.

Die AfD-Europaspitze Maximilian Krah1 soll einen Spion für China beschäftigt haben und Brüssels AfD-Listenplatz 2, Petr Bystron, steht unter gewichtigem Verdacht, Schmiergelder aus Russland zu empfangen. Unlängst wurde bekannt, dass eine AfD-Clique exzellente Beziehungen zur Islamischen Republik Iran pflegt. Martin Sellner, Chefideologe der Neuen Rechten, positioniert sich explizit gegen einen Pro-Zionismus von rechts, denn er will auch dann keine Migranten, wenn sie "große Israelfans wären". Gegensätzlich der landläufigen Vorstellung distanziert sich die Identitäre Bewegung ausdrücklich von sämtlicher Islamkritik. Solange es dem Westen Schaden zufügt, ist den Rechtsromantikern jedes informelle und strategische Bündnis recht.

Erfüllungsgehilfe Chinas

Ende April 2024 wurde Jian G., ein Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah, wegen Spionageverdacht für einen nicht näher genannten chinesischen Geheimdienst in Dresden von der Polizei verhaftet. Der Tatverdächtige soll wiederholt Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europaparlament nach China übermittelt haben. Als Assistent Krahs gelangte der mutmaßliche Agent womöglich an Innenansichten aus den Ausschüssen für internationalen Handel, den Unterausschüssen für Menschenrechte, für Sicherheit und für Verteidigung sowie aus der Delegationsgruppe für Beziehungen zu den USA, in denen Krah Mitglied ist.

Jian G.'s Büro liegt Tür an Tür mit dem Brüsseler Topkandidaten der AfD. Seit 2019 arbeitete Jian G. als helfende Hand Krahs im Europaparlament. Vorher war er als Geschäftsführer einer Dresdner Firma tätig.

Publik wurde außerdem der Fall des damaligen AfD-nahen Stadtrates Tim Lochner aus Pirna. Das Mitglied suchte Verbindungen zu chinesischen Repräsentanten, um einen Industriepark in seinem sächsischen Regierungsbereich dem chinesischen Prestigeprojekt der "Neue Seidenstraße" anzuschließen. Bei einer Reise Lochners nach China 2019 waren auch Maximilian Krah und sein Helfershelfer Jian G. anwesend. G.s Rolle lag in der Vernetzung der Stadt Pirna mit Vertretern Chinas.

Nach jüngsten Recherchen des WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung gehen momentan Ermittlungsbehörden der Frage nach, ob Jian G. über einen längeren Zeitraum hinweg Krah, seiner Kanzlei und seinem Abgeordnetenbüro hohe fünfstellige Summen zugeschustert hat. Es besteht ebenfalls der Verdacht, dass dieses Geld möglicherweise vom Geheimdienst aus Peking stammt. Auch in den Bestechungsgeld-Skandal um den AfD-Mann Petr Bystron soll Krah verwickelt sein.

Flankiert werden die personellen und finanziellen AfD-Partnerschaften mit der chinesischen Volksrepublik von einer ideologischen Übereinkunft. Bereits vor der Festnahme seines Gehilfen galt Krah als ordinärer Antiamerikanist und China-Apologet. In seinem Manifest "Politik von rechts", erschienen im neurechten Antaios-Verlag, diagnostiziert er ein Scheitern des Westens auf internationaler Bühne. Drittländer hätten ihre "nationale Identität und Kultur" dem Vormachtstreben westlicher Akteure, allen voran der USA, opfern müssen. Demagogisch vorgetragen, sei es an der Zeit, dass sich souveräne Staaten gegen diese "Übergriffe des Globalismus verteidigen".

Zur Revitalisierung des Nationalen jenseits amerikanischer Interventionen begreift Krah die sogenannte "multipolare Weltordnung" als Chance. In diesem Kontext begrüßt der AfDler das weltpolitische Auftrumpfen der kommunistischen Partei Chinas: "Ansätze dazu sehen wir im Aufstieg Chinas. China gilt als Großmacht mit eigener Einflusssphäre, in der es sich gegen westliche Eingriffe zur Wehr setzt." Und weiter: "Nicht Russland, nicht China, nicht Indien, nicht Afrika, nicht die islamische Welt bedrohen unsere Existenz (…). Sie agieren letztlich defensiv gegen den universalen Machtanspruch des woken Westens." Krah lobt die von China provozierte Auflösung der Pax Americana und begrüßt einen neuen Großraum rund um den chinesischen Pol. China solle Europa als Vorbild dienen, um einen "eigenen", "naturwüchsig" homogenen Kulturraum zu bilden. Auch Pekings Zensur der Äußerungsfreiheit glorifiziert Krah als "große chinesische Firewall" gegen vermeintlich degenerierende Inhalte des "woken" Westens.

In Pekings Wirkungsbereich fallen laut Krah ganz Ost- und Südostasien, während Länder der ehemaligen Sowjetunion ihm gemäß zur "russischen Welt" gehören. Der Ukraine- und Taiwan-Konflikt existiere ausschließlich, weil "Vasallen der USA" die selbstverständlichen Einflusssphären Russlands und Chinas nicht anerkennen würden.

Verlängerter Arm Putins

Folgerichtig soll sich Krah ebenfalls als Handlanger der russischen Despotie angedient haben. Schon Mitte April sorgte ein Vorermittlungsverfahren für Aufsehen, bei dem es um die Verbindungen Krahs zu dem in Tschechien ansässigen, prorussischen Propagandasender Voice of Europe ging. Jene Plattform verbreite aktiv Desinformationen im Sinne des Kremls und nicht nur Krah, sondern auch sein Europa-Listenplatz-Kollege Petr Bystron werden verdächtigt, dem Kanal russlandfreundliche Interviews zu geben, um im Gegenzug Gelder aus Russland zu erhalten. Auch gegen Bystron wurde eine behördliche Untersuchung eingeleitet. Im Fall Bystron stellt die Generalstaatsanwaltschaft München Nachforschungen über den Anfangsverdacht der Bestechlichkeit und der Geldwäsche an. Vergangene Woche wurde Petr Bystrons Immunität durch den Bundestag aufgehoben.

Beide Skandale scheinen nur die Spitze des Eisberges an AfD-Verquickungen mit Putins System zu sein. Eine Reportage von ARD "Monitor" brachte etliche wechselseitige Zweckbeziehungen zwischen Moskau und der AfD ans Licht. Nachdem sich der ultranationalistische Kreml-Berater Alexander Dugin ein Jahr zuvor mit dem gegenwärtigen AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland in Russland getroffen hatte, bezeichnete Dugin 2016 die AfD als einen relevanten Verbündeten, auf den die intellektuelle Ikone der völkischen Internationalen große Stücke hält: "In Deutschland wird die AfD an die Macht kommen, sie ist die künftige Regierungspartei, deshalb ist sie interessant für mich und andere praktische Denker."

Den Worten sollten Taten folgen. So reisten mehrfach AfD-Politiker auf die seit 2014 von Russland besetzte Krim, um dort eine Reinwaschung des russischen Imperialismus zu unterstützen. Der seinerzeit AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme besuchte 2018 in der Funktion eines inoffiziellen Wahlbeobachters die annektierte Krim und bejubelte die völkerrechtswidrige Einnahme später in Sozialen Medien. Kein Einzelfall, auch der AfD-Politiker Roger Beckamp (später mehr zu ihm) behauptete 2018 in einem Interview, dass die Krim kein besetztes Gebiet, sondern ein wieder längst zurückersehnter "Teil von Russland" sei.

Das Umlügen russischer Verbrechen zu lupenrein demokratischen Vorgängen hat in dem AfD/Russland-Schulterschluss ungebrochene Tradition. 2018 wurde die Präsidentschaftswahl in Russland vom AfD-Abgeordneten Stefan Keuter als "beeindruckend" und außerordentlich "professionell" vor Kritik immunisiert; 2020 – kurz nach der Vergiftung des Regimekritikers Alexej Nawalny – empfing der russische Außenminister Sergei Lawrow den AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla in Moskau. 2024 besuchten mehrere AfD-Funktionäre die russische Föderation, um Putins Scheinwahl auf dem russischen Agitationssender RT Deutsch als "frei, offen und demokratisch" zu legitimieren.

Wenn AfD-Akteure zu Kremls Gnaden eingespannt werden sollen, zeigen sich auch Putins Vertraute reisefreudig. Viktor Medvedchuk und Oleg Voloshin, zwei hochrangige Architekten des russischen Überfalls auf die Ukraine, wurden im Januar 2020 auf Einladung der AfD-Fraktion herzlich von Maximilian Krah und Petr Bystron im Bundestag empfangen. 2021 teilte sich dann Krah mit Sergej Karaganow, einem weiteren Vordenker der russischen Ukraine-Invasion, ein Podium beim eurasischen Wirtschaftsforum in Verona. Später bezeichnete Krah Karaganow als neu dazugewonnenen Freund. Derweil bagatellisierte Karaganow den russischen Angriffskrieg als "Militäroperation" und begrüßte ihn als Zäsur, mit der nach langer Zeit westliche Hegemonie Zurückweisung erfahren habe. Das erfreut selbstredend den völkischen AfD-Flügel und unterstreicht die Anschlussfähigkeit der russischen Expansionsbestrebungen an das Konzept der "multipolaren Weltordnung".

Nationaler Revanchismus, autoritärer Herrschaftskult und erzreaktionäre Geschlechterrollen markieren eine grundsätzliche Seelenverwandtschaft von Putinismus und völkischem Rechtsextremismus à la Björn Höcke. Wenn der russische Rechtsintellektuelle Alexander Dugin den Westen als "Untergang Europas" identifiziert und seine Verachtung gegenüber "dem liberale[n], bourgeoise[n] Europa, diese[m] entartete[n], politikkorrekte[n] Pseudo-Europa" ausdrückt, dann stimmt Höcke, indem er sagt, dass er den "traditionellen Osten" gegenüber "dem Regenbogen-Imperium" des "'neuen', (…) globalistischen Westen" bevorzugen würde, mit ein.

Das Narrativ über Russland als Speerspitze gegen den "perversen" Westen und über den Ukraine-Krieg als Präventionsfeldzug gegen eine globale Feminisierung findet in der Vokabel "Gayropa" seine Entsprechung. Mit "Gayropa" soll der Gegensatz zwischen einer europäisch-westlichen Zivilisation, die ihrem Wesen nach zwangsläufig zur "Verschwulung" neige und dem russischen Imperium, das als letzte Bastion für die traditionelle Familie eintrete, prononciert werden. Hier reichen sich die Rechtsidentitären der AfD und die Kremlisten Moskaus weltanschaulich die Hände.

Steigbügelhalter der Islamischen Republik Iran

Als dritter Machtfaktor der antiliberalen Liga fungiert der Politische Islam. Aktuell eskaliert ein islamisch-postsozialistisches Trio aus China, Russland und Iran in den Frontstaaten Ukraine und Israel, um dort einen epochalen geostrategischen Umbruch jenseits westlicher Dominanz herbeizuführen. Sobald eine Autorität den Westen ernsthaft herausfordert und bestenfalls rigide Werte mitliefert, lässt die AfD nicht lange als "nützlicher Idiot" auf sich warten.

Während im November 2022 nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini die islamischen Revolutionsgarden des Iran damit beschäftigt waren, den säkularen Aufstand für "Jin, Jihan, Azadi" zu zerschlagen, arbeitete eine interne AfD-Initiative laut Welt-Nachforschungen an einer aufgeschlosseneren Haltung der Fraktion zur Islamischen Republik Iran.

Eine Schlüsselfigur der Ayatollah-freundlichen Parteibemühungen ist der AfD-Abgeordnete Roger Beckamp. Beckamp bekleidet den Vorsitz der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe, ein fraktionsübergreifender Zusammenschluss von Abgeordneten, der Verbindungen zum iranischen Parlament unterhalten soll. Der Rechtspopulist fand sich 2022 auf Einladung des iranischen Botschafters mit einer Gruppe AfDlern, darunter auch der vom Militärischen Abschirmdienst als Rechtsextremist eingestufte Zeitsoldat Hannes Gnauck und zwei nicht näher Benannte aus FDP und SPD, in der Mullah-Residenz ein. Als Vorsitzender moderierte Beckamp die Audienz: Es ging um das Atomabkommen, den deutsch-iranischen Handel und mögliche Gaslieferungen. In diesem Sinne lobbyierte Beckamp dann auch innerhalb der AfD.

Trotz innerparteilichem Unbehagen, zum Beispiel von der Vize-Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch ("Der islamische Terrorstaat Iran steht für alles, was wir bekämpfen"), warb Beckamp um Verbündete für eine pro-iranische Haltung innerhalb seiner Partei. So verbreitete Beckamp 2022 unverblümte Regime-Propaganda in Form eines weitergeleiteten Interviews mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi (verstorben am 19. Mai 2024) per Rundmail. Neben Gnauks Solidarität fand er diese auch bei den AfD-Funktionären Alexander Gauland und Eugen Schmidt, dem Iran-Berichterstatter innerhalb der AfD. Beide sprechen sich gegen westliche Einmischungen im Iran aus. Schmidt fordert Gasimporte aus der Mullah-Republik und Gauland unterzeichnete eine Anfrage zur "Sicherstellung des deutsch-iranischen Handels".

Was an dieser Stelle irritieren mag, sind die als Kontrast empfundenen, rabiat vorgetragenen islamfeindlichen Töne der AfD. Bei genauerer Betrachtung desillusionieren sie sich als Farce oder als schlichte Chiffre für Ausländerhass. Spricht man Gnauck auf die brutalen Menschenrechtsverletzungen der Islamischen Republik an, sagt er: "Wir sollten nicht Partei ergreifen und uns auf eine Seite schlagen." Und Gaulands Antwort lautet: "Islam und Islamismus sind kein Teil von Deutschland, aber natürlich Teil vieler anderer Staaten." Maximilian Krah plädiert ohnehin für eine "dezentrale Interpretation der Menschenrechte". Es ist jener als Ethnopluralismus getarnte Kulturrelativismus, der den Islamismus hierzulande als "raumfremd" empfindet, allerdings andernorts als authentischen Ausdruck der kulturellen Identität huldigt.

Strenggenommen besteht zwischen der AfD und dem Politischen Islam allerdings auch eine Interessensgemeinschaft. Der de facto islamische Staat Iran setzt mit seiner regionalen Radikalisierung des schiitischen Halbmondes US-offene arabische Staaten unter Druck und operiert gemeinsam mit den multipolaren Achsenmächten China und Russland an einer neuen Weltordnung. Diesen Machtverlust des Westens befürwortet die AfD. Beckamp gibt zu Protokoll, dass er Waffen "eher an den Iran" als an Saudi-Arabien liefern würde. 2018 twitterte der Potsdamer AfD-Politiker René Springer: "Lieber ein stabiles Mullah-Regime als ein zweites Syrien mit hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen".

Auch im Inland lässt sich ein besonderes Verhältnis der AfD zum Islam wahrnehmen, das der falschen Vorstellung von der AfD als "islamkritische" Partei trotzt. Anfang 2023 rief das Clanmitglied Ali Bumaye anlässlich der Berliner Wahl zur Stimme für die AfD auf. Am Rande einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im August 2023 in Frankfurt am Main traf eine FAZ-Reportage gar auf migrantische AfD-Unterstützer "mit Systemfrust". Mitte Juni 2023 gründete sich der AfD-nahe Verein Mit Migrationshintergrund für Deutschland. Und Anfang September 2023 führte der irantreue, schiitische YouTuber Huseyin Özoguz einen Webtalk zur Suche nach ideologischen Schnittmengen mit dem Islamwissenschaftler und AfD-Politiker Dr. Hans-Thomas Tillschneider. Zusammen fanden sie diese im Maskulinismus sowie in einer Aversion gegen sexuelle Minderheiten und einem ausgeprägten Antiamerikanismus.

Die Liaison geht noch weiter: Auf der Webseite der AfD-nahen Identitären Bewegung heißt es in einem Beitrag zur "Kritik der Islamkritik": "Der Islam ist nicht der wahre Feind. Wir selbst sind es selbst, als Subjekte des Liberalismus, der uns total durchdrungen hat." In Richtung bürgerlicher, liberaler, konservativer und linker Islamkritiker teilt die IB aus und verdeutlicht zugleich, dass ein repressiver Islam mehr mit den völkischen Akteuren gemein hat, als es dem Common Sense vielleicht bewusst ist: "Alles soll so 'toll' bleiben wie es ist. Party statt Scharia. Playboy statt Kopftuch. Barbecue statt Ramadan. Weltmarkt statt Umma. Sollte das der ideologische Unterbau der Islamkritiker sein, der sich hinter Phrasen wie 'Erhalt der freiheitlichen Grundordnung', oder 'Verteidigung der Trennung von Staat und Religion' verbirgt? (…) Es geht um die Wiedergewinnung unserer historischen, ethnischen und kulturellen Identität. Es geht um unseren eigentlichen Platz in unserer Geschichte, zu deren Zentrum wir selbst werden wollen."

Islamneid: Fixpunkt stabile Identität

Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die identitäre Rechte den Politischen Islam gewissermaßen beneidet. Die muslimischen Gegengesellschaften seien es, wo "echte Werte" noch feste Verwurzelungen finden, Assimilationsversuche abprallen und Menschen ihre "Eigentlichkeit" bewahren. Dreh- und Angelpunkt dieser Auffassung bildet das Stichwort "Identität". Bei den Muslimen finde man noch ein "unberührtes", kollektiv vermitteltes Selbstbild und das Gefühl gemeinschaftlicher Wir-Wärme, so das Credo. Die intellektuelle Rechte des völkischen Blocks ist in ihrer Theoriebildung über den deutschen Philosophen Martin Heidegger gegangen. Maximilian Krah schreibt in seinem Manifest, dass eine rechte Politik, als "Fundament" den "Bezug zur Natur" besitzt. Sie verfolgt "kein abstraktes Ideal", sondern möchte ein "natürlich gewachsenes Eigenes erreichen". Im ethnonationalistischen Weltbild besitze jedes Volk eine kulturelle Eigenart, die als naturgegeben essentialisiert und mit einem angestammten "Lebensraum" verknüpft wird. Gerade erst war es Björn Höcke, der dem bei einem Hubschrauberabsturz verunglückten iranischen Staatspräsidenten Raisi hinterhertrauert und statt eines Unfalls Kriegszusammenhänge wittert. In seinem X-Beitrag spielt sich Höcke als letzter Politiker auf, der noch wahrhaftiges Verständnis "für das Andere, kulturell Fremde" aufbringe.

Mit Heidegger gesprochen, entspräche einzig der Islam dem "So-Sein" der Menschen des Orients. Für Deutsche treffe eben anderes zu: Romantik, Germanentum und Naturverbundenheit zum Beispiel. Weil im konservativ-orthodoxen Alltagsislam patriarchale Strukturen und traditionelle Tugenden noch "intakt" erscheinen und Muslime über eine stolze, unverbrüchliche, kollektive Identität verfügen, verhalten sich Neurechte ihnen gegenüber gewissermaßen neidisch. Zur Faszination mischt sich aus Eifersucht der Hass. Momentan konkurrieren radikale Muslime und völkische Rechte um die Vorreiterposition im Wetteifern reaktionärer Krisenlösungen. Die Übereinstimmungen von Islamismus und Rechtsaußen exemplifizieren sich auch im täuschend ähnlichen Jargon: Muslim Interaktiv warnt in Hamburg vor der "Wertediktatur", Maximilian Krah weist in seinem Pamphlet auf die Gefahr des "übergriffigen Wertewestens" hin.

Missbrauch Israels

Was hervorsticht, ist das instrumentelle Verhältnis der ethnokulturellen Rechten zu Israel. Der klassische Antisemitismus ist unter der populären Rechten weitestgehend out geworden. Im letzten Jahrzehnt wurde sich maßgeblich auf das Thema Einwanderung konzentriert. Hier geraten Juden verklausuliert als "Strippenzieher" hinter der sogenannten "Ersatzmigration" ins Visier. Während klassische Neonazis, zum Beispiel von der Partei "Die Rechte", mit Parolen wie "Israel ist unser Unglück" auffallen, kennzeichnet die Neue Rechte eine missbräuchliche Indienstnahme des Judenstaates. Unter Verkennung der multikulturellen Realität wird Israel oft zum protektionistischen Bollwerk gegen den Islam stilisiert. Mit der Beobachtung "Nicht an der Seite, an der Stelle Israels wollen sie sein" dechiffriert der Autor Nikolai Schreiter pointiert den Israel-Bezug der Neurechten. Die Rechtsreaktionären haben keinen Sinneswandel zum Wohle von Juden vollzogen, sondern projizieren in Israel einzig ihre eigenen Wünsche nach einer wehrhaften Nation. Wie fassadenhaft diese Pseudo-Israelsympathie ist, förderte eine Welt-Umfrage zutage, nach der maßgeblich AfD-Wähler Deutschlands regierungsamtliche Israelunterstützung in den ersten Wochen nach dem 7. Oktober ablehnten.

Ins gleiche Horn blies auch der rechtsidentitäre Posterboy Martin Sellner. Nach dem Hamas-Massaker in Israel registrierte er Bestrebungen unter Konservativen bis Nationalen, hierzulande härter gegen judenfeindliche Migranten durchzugreifen und sie aus Deutschland zu verweisen. In einer Selbstverständigungsschrift warnte Sellner daraufhin die Neue Rechte davor, sich nicht zur "Schützenhilfe" vor den Karren Israels spannen zu lassen. Allerdings müsse "jeder metapolitische Tabubruch (…) amplifiziert" werden, um rechte Kräfte für das "Hauptziel der Rettung unserer Identität" zusammenzurotten. Kurz: Israelische Selbstverteidigung und jüdische Sicherheit werden als Themen höchstens ausgenutzt, um dem höheren Ziel einer deutsch-nationalen Monokultur näherzukommen.

Rechts-linke Querfront und westliche Eintrittspforten

Entgegen der Behauptung, Neurechte seien stumpf antimuslimisch und ewiggestrig, darf der Islam-zugeneigte, Russland-nahe und China gegenüber verständnisvolle Charakter des völkischen Rechtspopulismus nicht unterschätzt werden. Im Grunde genommen schwimmt der Höcke-Flügel voll auf der Welle der Identitätspolitik mit. Gar dem globalen Süden biedert sich die Heidegger-Rechte an. Sowohl die postkoloniale Linke als auch die geopolitisch-plurale Rechte bedauert den Zerfall von autochthonen Kulturen, sobald sie mit dem Westen in Berührung geraten. Hinsichtlich des Antiamerikanismus, der kollektivistischen Geringschätzung des Individuums und der Solidarität mit Verbrecherregimen (China, Russland und Iran) besteht eine Analogie zwischen regressiv abgebogenen Linken und Rechtsradikalen.

Identitäre Rechte möchten eine völkische Antwort auf den erodierenden Westen geben und sich dabei als selbsternannte Avantgarde vom herkömmlichen Konservatismus, der liberalen Moderne und dem Bürgertum abgrenzen. Tatsächlich befindet sich die "Freie Welt" gerade an einem Tiefpunkt ihrer globalen Attraktivität. Ökonomische Krisen, Integrationsprobleme, Fragen der inneren sowie äußeren Sicherheit und genderpolitische Zerwürfnisse lassen am zukunftsweisenden Narrativ der freien Entfaltung des Einzelnen zweifeln. Rechtidentitäre handeln hier nach dem Motto: "Was fällt, das soll man auch noch stoßen" (Friedrich Nietzsche). Die Aufgabe emanzipatorischer Kritik wäre es jedoch, den unerfüllten Freiheitsanspruch des Liberalismus auch in schweren Zeiten einzufordern und sich keinem apokalyptischen Defaitismus hinzugeben.

Am wirksamsten ließen sich AfD und Identitäre Bewegung bekämpfen, wenn man ihnen die Deutungsmacht über polarisierende Konflikte nimmt und anfängt, vor der eigenen Haustür zu kehren. Nur konsequent wäre es, wenn die Strafverfahren gegen die genannten AfD-Politiker nicht bloß vor dem Hintergrund des befürchteten Rechtsrucks bei der Europawahl passieren, sondern die Bundesregierung und das EU-Parlament sich selbst einer schonungslosen Untersuchung stellen, die herausfindet, welch mächtiges Appeasement staatsoffizielle Institutionen seit Jahrzehnten gegenüber den Gewaltherrschaften Putins, Xi Jinpings oder Khameneis betreiben und daraus ein Richtungswechsel abgeleitet wird.

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1 Nachdem Krah in einem Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica den Nationalsozialismus relativiert hatte, darf er ab jetzt nicht mehr im EU-Wahlkampf auftreten und er verlässt den AfD-Bundesvorstand. Die extrem rechte französische Partei Rassemblement National (RN) beendete bereits am Dienstag auf Europa-Ebene die Zusammenarbeit mit der AfD. Nun zog die gesamte Rechtsaußen-Europafraktion "Identität und Demokratie" (ID) nach und schloss alle AfD-Europaabgeordneten aus der Fraktion aus. Krahs Kandidatur für die Europawahl bleibt unberührt. ↩︎