Rezension

Ideen, die die Welt veränderten

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Als Nachfolgetitel zu "Bücher, die die Welt veränderten" bietet der Haupt-Verlag mit der deutschsprachigen Ausgabe von "The Philosopher’s Library. Books that Shaped the World" eine weitere sehr aufwändig gestaltete Zeitreise durch die Ideengeschichte der Menschheit. Die Autoren Adam Ferner und Chris Meyns können auf ein bedeutendes Oeuvre wissenschaftsgeschichtlicher und philosophischer Veröffentlichungen verweisen, im vorliegenden Buch beleuchten sie ausführlich und tiefgründig, wie Denker, Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrtausenden die Welt mit ihren Ideen beeinflussten.

Anhand 150 herausragender Werke der Geistesgeschichte untersuchen und beschreiben Ferner und Meyns, wie einzelne Ideen Wissenschaft, Religion, Politik, Recht und das soziale Leben sowie auch ganz allgemein das Denken der Menschen veränderten. Verbunden damit gehen sie der Frage nach, was genau "Philosophie" eigentlich ist und was einen Text "wahrhaft philosophisch" macht. Auch werfen sie die Frage auf, warum bestimmte Texte zu bestimmten Zeiten in den Vordergrund beziehungsweise andere in den Hintergrund treten und wie sehr die Kanons der philosophischen Literatur auch Orte der Herrschaft und des Widerstandes sind.

Das Buch spannt einen weiten Bogen bahnbrechender Ideen – auf Papyrusrollen, in Folianten oder Büchern niedergelegt – von den hochentwickelten Zivilisationen im Altertum, von Konfuzius und Buddha zu den griechischen Philosophen und Renaissancegelehrten bis hin zu den Denkern der Aufklärung sowie Philosophen und Wissenschaftlern der Gegenwart. Sieben große Kapitel behandeln chronologisch angeordnet Konstellationen und Konzepte, die zur jeweiligen Zeit Bedeutung erlangten und dazu auch immer wieder in allen philosophischen Literaturen auftauchen; in einem großen Zusammenhang präsentieren sie zahlreiche, faszinierend miteinander verwobene Muster der Philosophiegeschichte:

  • Kapitel 1 ("Natürliche Teilungen", 2.500 bis 300 v.u.Z.) untersucht und erläutert grundlegende Fragen und Konzepte, wie sie bereits in den Texten der Veda und des Daodejing auftauchen: "Wenn die Normen aus der Natur stammen und die Natur unveränderlich ist, sind es auch die 'Normen'". "In der gesamten Geschichte haben Philosophen (und viele andere) die gesellschaftlichen Privilegien einiger – Männer im Gegensatz zu Frauen, Reiche im Gegensatz zu Armen – gerechtfertigt, indem sie sich einer unangreifbaren 'natürlichen Ordnung' fügten".
  • Kapitel 2 ("Grenzüberschreitungen", 300 v.u.Z. bis 200 u.Z.) beschäftigt sich mit den imperialistischen Vorhaben des persischen und mazedonischen Reiches sowie auch mit den revolutionären Erkenntnissen von Siddhartha Gautama und Mahavira im alten Indien.
  • Kapitel 3 ("Assimilierung", 200 bis 600) erörtert, wie radikal kritische Werke durch die Obrigkeit neutralisiert wurden, indem sie zum Beispiel in der römischen, aber auch vedischen und ruistischen Gesellschaft in die Mainstream-Kultur aufgenommen wurden.
  • Kapitel 4 ("Wahrheitsregimes", 600 bis 1000) wendet sich dem "Goldenen Zeitalter des Islam" mit den Wahrheitsinstanzen und Büchern, die es hervorbrachte, zu.
  • Kapitel 5 ("Gleichgewichtszustände", 1000 bis 1450) geht auf die Spannungen in den Texten christlicher, islamischer und jüdischer Gelehrter "zwischen dem Respekt vor den Gesetzen der Offenbarung und den Gesetzen der Vernunft" ein.
  • Kapitel 6 ("Offene Grenzen", 1450 bis 1850) untersucht, wie Narrative über Vernunft und Naturphilosophie allmählich die Methoden älterer Institutionen verdrängen, zur Gründung wissenschaftlicherer Einrichtungen führen und dabei auch die Gesetze und Grundlagen für koloniale Expansionen schaffen.
  • Kapitel 7 ("Große Narrative", bis 2000) zeigt, wie philosophische Themen sich mit Bezug auf Weltereignisse wie die beiden Weltkriege, den kalten Krieg, die Entkolonialisierung und Befreiung verschieben.

Cover

Es würde den Rahmen dieser Besprechung bei weitem sprengen, auch nur annäherungsweise auf die überbordende Anzahl behandelter Einzelfragen des Buches einzugehen; an einem Beispiel – der "Theodizee" – sei stark verkürzt gezeigt, wie weit die Autoren ausholen: Der Begriff – nach theos (Gott) und dike (Gerechtigkeit) – wurde im 17. Jahrhundert von Gottfried Wilhelm Leibniz als Titel seines letzten Buches eingeführt, das damit verbundene Thema kam aber bereits um 1.000 vor unserer Zeitrechnung in keilschriftlich-akkadischer Sprache im Königreich Babylon vor. Unter der Bezeichnung "Babylonischer Kohelet" diskutieren zwei Männer über Leid und Gerechtigkeit: Der Leidende beklagt die Ungerechtigkeit der Welt. Warum geht es schlechten Menschen gut? Warum leiden gute Menschen? Warum lassen die Götter solche Ungerechtigkeit zu? Den Sprecher kränken diese und viele andere Ungerechtigkeiten so sehr, dass er überlegt, kriminell zu werden. Der Freund gibt dem Gefährten die mittlerweile kanonisch gewordene Antwort: Ja, es scheint ungerecht zu sein, das komme aber nur daher, dass einfache Sterbliche nicht dafür ausgelegt seien, die Pläne der Götter zu verstehen. Adam Ferner und Chris Meyns erläutern in der Folge, wie häufig und wie sehr das "Kohelet" als mächtige politische Funktion der Verteidigung göttlicher Ordnung und der Aufrechterhaltung spezifischer Gesellschaftsstrukturen diente.

"Ideen, die die Welt veränderten" vermittelt neben einem umfassenden Überblick über die Geschichte bahnbrechender Ideen und Erkenntnisse, die unsere heutige Welt gestalten, auch Antworten auf Fragen, die Denker und Denkerinnen seit Jahrtausenden beschäftigen: "Was ist gut und was ist böse, was ist wahr und was ist falsch, welchen Platz nehmen wir Menschen auf dieser Erde ein?" Die Ausführungen der Autoren beschränken sich dabei nicht auf die Vorstellung der Ideen und Bücher mit ihren Inhalten und historischen Bezügen, sondern beleuchten und bewerten auch übergeordnete Zusammenhänge sowie im jeweiligen Kontext stehenden Erkenntnisse. Das Buch ist mit einer Vielzahl hochwertiger bibliophiler Bilder ausgestattet; es bietet sehr inhaltsreichen Lese- und Anschauungsstoff und ist gleichzeitig ein umfassendes Nachschlagewerk zur Geistesgeschichte. Als kleiner Wermutstropfen sei, wie schon beim Vorgängerbuch angemerkt, dass die kleine Schrift das Lesen erschwert.

Adam Ferner, Chris Meyns: Ideen, die die Welt veränderten – Die bedeutendsten Bücher der Geistesgeschichte, Haupt Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-258-08237-0, 271 Seiten, 44 CHF

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