Streitschrift zu "Zynischen Theorien"

Identitätspolitik aus der Postmoderne

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In ihrem Buch "Zynische Theorien" kritisieren Helen Pluckrose und James Lindsay die identititätspolitischen Entwicklungen von links, welche über das Engagement für Minderheiten zur Renaissance des Stammesdenkens führe. Anschaulich machen die Autoren dabei deutlich, dass die ideengeschichtlichen Hintergründe dafür im Postmodernismus zu sehen sind. Ein lesenswertes Buch zu einer aktuellen Kontroverse.

Auch in Deutschland ist die Identitätsdebatte mittlerweile angekommen und führt zu polarisierten Kontroversen, wobei es zu einer Ausweitung von Neokolonialismus-, Rassismus- oder Sexismusvorwürfen kommt. Diese Auseinandersetzung geht dann mit weiterführenden Deutungen einher, wofür etwa das "Kulturelle Aneignung"-Konzept steht.

Doch woher kommen all diese Aussagen, welche ideengeschichtlichen Grundlagen haben sie? Antworten auf diese Fragen wollen James Lindsay und Helen Pluckrose geben. Beide sind bekannte Publizisten im englischsprachigen Raum. In ihrem gemeinsamen Buch "Zynische Theorien. Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt" identifizieren sie im Postmodernismus die ideologische Wurzel. Aus einer dezidiert liberalen Denkrichtung, die hier für Evidenzbasiertheit, Individualismus, Menschenrechte und Universalismus und eben nicht nur für eine Wirtschaftsordnung steht, wollen sie diesen inneren Zusammenhang veranschaulichen.

Cover

Ihre Argumentation richtet sich dabei gegen eine "Social Justice"-Bewegung, was angesichts des deutschen Begriffsverständnisses von "sozialer Gerechtigkeit" etwas verwirrend klingt. Denn es geht den gemeinten Akteuren nicht um mehr soziale Gleichheit, sondern um angeblich oder tatsächlich benachteiligte Minderheitengruppen. Gleichzeitig wollen diese damit deren Gruppenidentitäten durch einen Opferstatus stärken und der Mehrheitsgesellschaft einen strukturellen Rassismus zuschreiben.

Die Autoren argumentieren in ihrem Buch indessen keineswegs gegen die gemeinten Minderheiten, fordern sie doch eben auch für sie Rechte, aber eben im liberalen Sinne ein. Gleichzeitig argumentieren Lindsay und Pluckrose dabei gegen die antiempirischen, antiliberalen und antirationalen Strömungen, die immer mehr Akzeptanz in der politischen Linken finden, welche sich von den Grundprägungen der Moderne in diesem Sinne verabschiedet habe. Als Ausgangspunkt für diese Entwicklung gilt die Postmoderne, welche die Möglichkeit zu objektivem Wissen negierte.

Bilanzierend beschreiben die Autoren das Gemeinte wie folgt: "Dieser Ansatz misstraut strengen wissenschaftlichen Abgrenzungen und sucht sie zu verwischen. Der Schwerpunkt liegt auf der Sprache, welche Ungleichgewichte der Macht hervorbringt und perpetuiert. Der Ansatz ist geprägt von einem weitreichenden kulturellen Relativismus und konzentriert sich auf marginalisierte Gruppen. Universelle Prinzipien oder individuelle Haltungen bleiben außen vor" (S. 212).

Welche Auswirkungen das Gemeinte bezogen auf die Positionierungen zu verschiedenen Themen hat, steht im Zentrum. Da geht es um die Critical Race-Theorie, die Gender Studies, den Post-Kolonialismus oder die Queer-Theorie. Am Ende ihrer Erläuterungen gehen Lindsay und Pluckrose noch einmal darauf ein, was an dem gemeinten "Social Justice"-Ansatz problematisch ist und welche praktischen Wirkungen er schon entfaltete. Eine inhaltliche Grenzziehung bildet dann das Schlusskapitel, wo die angesprochene Identitätspolitik aus liberaler Sicht verworfen wird.

Die Autoren bemerken in der Einleitung, es handele sich um eine Einführung auch für Laien. Gleichwohl sind viele Ausführungen, die sich auch und gerade auf Entwicklungen in den USA beziehen, keineswegs in einfacher Verständlichkeit vorgetragen. Die detaillierte Auseinandersetzung damit lohnt aber, um die angesprochene Entwicklung besser zu verstehen und zuzuordnen. Die Differenzen von Identitätspolitik und Liberalismus werden auch am Schluss systematisch zugespitzt. Manche Auswüchse hätte man aber durch Beispiele noch mehr verdeutlichen können. Dies gilt etwa für den Gesichtspunkt des "Kulturrelativismus", der dann auf einen Menschenrechtsrelativismus hinausläuft. Beachtenswert ist die ausgesprochene Feststellung, dass diese identitäre Linke objektiv so die identitäre Rechte ermutige und stütze. Bilanzierend hat man es also mit einem lesenswerten Buch zu tun, das nicht nur die ideologischen Hintergründe der Identitätspolitik thematisiert, sondern auch die Gegensätze zur kulturellen Moderne deutlich herausarbeitet.

Helen Pluckrose/James Lindsay, Zynische Theorien. Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt, München 2022, C. H. Beck-Verlag, 380 Seiten, 22 Euro

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