FDP geht mit säkularer Position bei einer Jamaika-Koalition voran

ifw fordert Aufhebung des "Sterbehilfeverhinderungsgesetzes"

Mit Blick auf die aktuellen Koalitionssondierungen haben die Rechtsexperten des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) die Positionen der im Bundestag vertretenen sechs Parteien zum § 217 StGB ausgewertet. In einer möglichen Jamaika-Koalition (CDU/CSU, FDP, Grüne) spricht sich die FDP für eine Rückgängigmachung der Verschärfung der Rechtslage zur Sterbehilfe aus. Die Argumente der anderen Parteien für eine indifferente oder entschiedene Beibehaltung des Paragrafen sind juristisch brüchig. Der liberale Vorschlag will bundeseinheitlich regeln, unter welchen Umständen die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung sanktionsfrei ist. Damit würde die neue Bundesregierung und der Bundestag vermeiden, dass die Strafnorm in Karlsruhe voraussichtlich als verfassungswidrig beurteilt wird.

§ 217 eine der schwerwiegendsten Fehlleistungen des Gesetzgebers der letzten Jahre

Laut ifw ist der 2015 im Bundestag von der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion und Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken in das Strafgesetzbuch eingefügte § 217 eine der schwerwiegendsten Fehlleistungen des Gesetzgebers der letzten Jahre. Die Sterbehilfe-Strafnorm verletzt mindestens Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, Artikel 3, 8 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und das Gebot der ethischen Neutralität des Staates. (Die ifw-Kommentare zu den Standpunkten der Parteien befinden sich am Ende dieses Beitrags.)

'Kein Unrecht' zweimal und dreimal zu begehen, ergibt...?

Seit dem 1. Dezember 2015 gilt im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) ein neuer § 217. Er lautet:

Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Der Paragraf verbietet vordergründig die Förderung der Selbsttötung, wenn dies wiederholt (‚geschäftsmäßig‘) beabsichtigt, vermittelt oder vollzogen wird. Die Geschäftsmäßigkeit macht das Handeln überhaupt erst zur Straftat. Das wäre nur dann akzeptabel, wenn die Tat auch so schon, das heißt ohne Wiederholungsabsicht, wenigstens ethisch zu missbilligen ist. Denn Handlungen, die das nicht sind, zum Beispiel einverständliche Geschlechtsakte zwischen Erwachsenen, darf man straffrei immer auch für die Zukunft vorhaben und begehen. Die Hilfe zum Suizid ist aber – auch nach der Bewertung des Gesetzgebers – im Einzelfall kein Unrecht. Wenn man die Absicht hat, kein Unrecht zweimal und dreimal zu begehen, ergibt das im Sinne des § 217 jedoch plötzlich Unrecht. Wenn eine Sterbehilfe für sich genommen ethisch nicht zu missbilligen ist, dann vermag daran die Wiederholungsabsicht nicht das Mindeste zu ändern, und ist es juristisch inkonsistent, sie für diesen Fall mit Strafe zu bedrohen.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017

Nach Einschätzung des ifw lässt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 (BVerwG 3 C 19.15) zur Sterbehilfe in "extremen Ausnahmesituationen" vermuten, dass die anhängigen Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit führen. Denn in den Fällen, in denen der Betroffene großes Leid ertragen muss und zur Umsetzung seiner ernstlich und freiverantwortlich getroffenen Suizidentscheidung zwingend auf professionelle ärztliche Hilfe angewiesen ist, läuft die Versagung der ärztlich assistierten Suizidbeihilfe durch § 217 StGB de facto auf ein verfassungswidriges und menschenrechtswidriges Totalverbot der Selbsttötung als solcher und eine Rechtspflicht zum Leben hinaus. Damit verletzt § 217 StGB mindestens Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, Artikel 3, 8 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und das Gebot der ethischen Neutralität des Staates. Deswegen ist die Aufhebung des § 217 StGB aus verfassungs- und konventionsrechtlicher Perspektive zwingend erforderlich.

Sterbeverlängerungskartell

Der neue Bundestag hat Veranlassung, die gesetzgeberische Fehlleistung von 2015 auch ohne Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu korrigieren: denn an jedem Tag der Gültigkeit bedeutet die Strafnorm für zahlreiche Betroffene Erschwernis in existentieller Notlage. Der Paragraf führt zu unnötigen Qualen Schwerstleidender, Brutal-Suiziden, Kriminalisierung von Ärzten und der laienhaften Beihilfe von Angehörigen. Davon sind insbesondere sozial schwache Menschen betroffen, die zu wenig Geldmittel haben oder nicht über die entsprechenden gesellschaftlichen Kontakte verfügen, um sicherzustellen, dass sie als schwerkranke Menschen im Fall der Fälle rechtzeitig zwecks Sterbehilfe in ein liberaleres Nachbarland reisen können, oder ihr Tod in Würde in Deutschland auch dann abgesichert ist, wenn sie handlungsunfähig in einer Einrichtung des 'Sterbeverlängerungskartells' (siehe unten) ihrem Willen am Lebensende wegen § 217 StGB keine Geltung verschaffen können.


Für den Kommentar zeichnet das ifw-Direktorium verantwortlich. Die Koordination erfolgte durch Dr. Jacqueline Neumann. Inhalte basieren auf ihrer Stellungnahme (Februar 2017) zu den Verfassungsbeschwerden gemäß § 27a BVerfGG zu den Verfahren 2 BvR 1494/16 (Beschwerdeführer Thöns/Matenaer), 2 BvR 1593/16 (Beschwerdeführer de Ridder), 2 BvR 1624/16 (Beschwerdeführer Weiß), 2 BvR 1807/16 (Beschwerdeführer Spittler) und 2 BvR 2354/16 (Beschwerdeführer Beck/Vogel/Schwarz/Vogel), und der Stellungnahme (September 2016) von Dr. Michael Schmidt-Salomon beim Bundesverfassungsgericht. Weitere Aspekte wurden auch aus dem Strafrechtskapitel zum Suizid und zur Neutralität des Weltanschauungsrechtslexikons von Dr. Gerhard Czermak, von Dr. Thorsten Barnickel und Dr. Winfried Rath, Fachanwalt für Strafrecht, eingebracht.

Aus dem ifw-Beirat flossen Erkenntnisse und Argumente von folgenden Personen ein:

  • Prof. em. Dr. Rolf Dietrich Herzberg, Professor em. für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie an der Ruhr-Universität Bochum
  • Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Botschafter der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)
  • Prof. em. Dr. Reinhard Merkel, Professor em. für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg; Mitglied im Deutschen Ethikrat
  • Ingrid Matthäus-Maier, Verwaltungsrichterin a.D., Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mitglied des WDR-Rundfunkrates, Botschafterin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)
  • RA lic. jur. Ludwig A. Minelli, Rechtsanwalt, Gründer des Vereins DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben, Gründer der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO)
  • Rolf Schwanitz, Diplom-Jurist, Staatsminister a.D. im Bundeskanzleramt und Parlamentarischer Staatssekretär a.D. im Bundesministerium für Gesundheit
  • Prof. Dr. Jörg Scheinfeld, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Medizinstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und an der EBS Law School Wiesbaden
  • Prof. Dr. Holm Putzke, Professor für Strafrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Passau, Strafverteidiger sowie Inhaber einer außerplanmäßigen Professur für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden

Ferner sind Zitate von an anderer Stelle veröffentlichten Kommentaren aufgenommen von:

  • Prof. Dr. jur. utr. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D.; Mitherausgeber "Medizinstrafrecht"; Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS)
  • Prof. Dr. Stefan Huster, Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum
  • Prof. Dr. Henning Rosenau, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Zentrums Medizin-Ethik-Recht (IWZ MER)
  • RA Prof. Robert Roßbruch, Honorarprofessur für Gesundheits- und Pflegerecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes; Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. (DGHS) 
  • Prof. Dr. Torsten Verrel, Professor an der Universität Bonn und Direktor des Kriminologischen Seminars, Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation sowie der Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer, Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn

Der Kommentar lenkt die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers erneut auch auf die "Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe" von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf und Prof. Dr. Henning Rosenau, die von rund 150 deutschen Strafrechtslehrern gezeichnet wurde.


Standpunkte der Parteien im Deutschen Bundestag zur Abschaffung von § 217 StGB mit ifw-Kommentar

CDU/CSU:

"Im Zusammenhang mit dem § 217 StGB ist festzuhalten, dass das ThemaSterbehilfe rechtlich und vor allem ethisch besonders schwierig und sensibel ist … Das Rechtsgut Leben unterliegt insoweit nicht allein und vollständig der Disposition des Inhabers … In dieser Legislaturperiode ist der § 217 StGB (Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung) mit einer Mehrheit von 360 von 602 abgegebenen Stimmen eingeführt worden … Jeder Abgeordnete ist bei der Abstimmung dem eigenen Gewissen gefolgt. Ziel des Gesetzes ist es, den geschäftsmäßigen Umgang mit Suizidbeihilfe zu stoppen und dabei eine Kriminalisierung von Ärzten auszuschließen. Es geht bei dem Gesetz um die Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen in schwacher Lage und damit auch um die Eindämmung von geschäftsmäßigen Angeboten zur Suizidbeihilfe, weil sie für Menschen in schweren Situationen eine große, ja tödliche Gefahr bergen. Es darf kein Geschäft mit dem Sterben geben. Dies würde den Wert und den Schutz des Lebens relativieren. Die Hilfe für ein würdiges Weiterleben körperlich schwerstkranker Menschen soll vorrangig sein. Für ältere, kranke oder vereinsamte Menschen in Deutschland soll vielmehr die Hilfe beim Sterben statt Hilfe zum Sterben angeboten werden … Die Tatbestände der Straffreiheit von Suizid und der Beihilfe und auch die ärztliche Verantwortung im Verhältnis zu schwersterkrankten Patienten blieb bewusst unangetastet. Führende Institutionen wie die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, der Deutsche Hospiz- und Palliativverband, die Deutsche Palliativstiftung oder auch die Bundesärztekammer haben das Gesetz ausdrücklich unterstützt. Vor diesem Hintergrund kommt eine Abschaffung nicht in Betracht. CDU und CSU fühlen sich auf der Basis des christlichen Menschenbildes in besonderer Weise der Unantastbarkeit der Menschenwürde verpflichtet. Dies beinhaltet die Verpflichtung zu konsequenten und umfangreichen Schutzbemühungen für das gesamte menschliche Leben, und zwar von seinem Anfang bis zu seinem Ende."

ifw-Kommentar:  
In der Antwort klingen Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Gebot der weltanschaulichen Begründungsneutralität von Rechtsnormen an. Allerdings stimmen wir dem Eingangs- und Schlusssatz zu. Es handelt sich bei der Frage des Freitods und der Sterbehilfe vor allem um ethische Fragen, und das menschliche Leben ist von seinem Anfang bis zu seinem Ende zu schützen. Die Sterbehilfe steht dazu nicht im Widerspruch. Es ist das Menschenrecht eines jeden Einzelnen, ernstlich und freiverantwortlich über das Ende seines Lebens zu bestimmen.

Ist jedoch der Hinweis, dass das "Rechtsgut Leben … nicht allein und vollständig der Disposition des Inhabers" unterliege, dahingehend zu verstehen, dass es eine übernatürliche Autorität gibt, die die letztliche Disposition über das Lebensrecht des Einzelnen hat? Dem ist in einem weltanschaulich neutralen Rechtsstaat zu widersprechen: 'Religiös, aber auch philosophisch begründete Tabuisierungen des Suizids und der Beteiligung daran bilden in einem säkularen Staat keine Legitimationsgrundlage für mit Kriminalstrafe bewehrte Verbote. Diese Ansätze verkennen zudem, dass sich aus der Verfassung zwar eine Schutzpflicht des Staates für das Leben seiner Bürger, aber keine Verpflichtung der Bürger zum Leben ergibt.' (Torsten Verrel). Mit dem Erlass einer moralisierenden, auf die Durchsetzung einer religiös-weltanschaulich bestimmten Sittlichkeit bezogenen Strafnorm, überschreitet der Staat seine Kompetenzen (vgl. allgemein hierzu Stefan Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. XXXIII f.).

Wenn die Begründung einer Rechtspflicht zum Leben und damit einhergehend einer Rechtspflicht zum Erleiden von Qualen mit dem zitierten christlichen Menschenbild und den damit zusammenhängenden religiösen Sittlichkeitsvorstellungen vereinbar ist, so folgt daraus nicht, dass diese Norm mit dem Grundgesetz und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar ist. Denn in den Fällen, in denen der Betroffene großes Leid ertragen muss und zur Umsetzung seiner ernstlich und freiverantwortlich getroffenen Suizidentscheidung zwingend auf professionelle ärztliche Hilfe angewiesen ist, läuft die Versagung der ärztlich assistierten Suizidbeihilfe durch § 217 StGB de facto auf ein verfassungswidriges und menschenrechtswidriges Totalverbot der Selbsttötung als solcher und eine Rechtspflicht zum Leben hinaus. Damit verletzt § 217 StGB mindestens Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 3, 8 und 9 EMRK.

Um seiner Schutzpflicht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK Rechnung zu tragen, muss der Staat einen Regelungsrahmen bereitstellen, welcher es Individuen ermöglicht, ihre Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen und durchzusetzen, damit das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Tod nicht nur eine theoretische Option darstellt.

Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass fehlgeschlagene Suizidversuche häufig schwerwiegende Folgen für die Opfer und ihre Angehörigen haben und dass die Konventionsstaaten verpflichtet sein können, Maßnahmen zur Erleichterung eines Suizids zu treffen, um dem Betroffenen zu ermöglichen, sein Leben in Würde zu beenden. Wenn ein Staat überdies Regelungen zur Suizidbeihilfe aufstellt, hat er darauf zu achten, dass diese eindeutig und klar formuliert sind, da sie ansonsten eine abschreckende Wirkung ("chilling effect") auf Ärzte haben könnten.

Eine Gesamtschau der Rechtsprechung zeigt überdies, dass zumindest in Notfällen, in denen die Leiden der Patienten nicht palliativmedizinisch behandelt werden können und die Betroffenen zur Umsetzung ihrer ernstlich und freiverantwortlich getroffenen Suizidentscheidung zwingend auf professionelle ärztliche Hilfe angewiesen sind, der Staat positiv verpflichtet ist, diesen den letzten Ausweg durch einen selbstbestimmten ärztlich assistierten Suizid nicht zu versagen.

Am 2. März 2017 übernahm das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) diese Argumentation in einem  Grundsatzurteil . Daraus ist abzuleiten: Das BVerwG hat im Zusammenhang mit den Artikeln 1 und 2 des deutschen Grundgesetzes erstmals erklärt, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen auch in Bezug auf einen beabsichtigten Suizid in der Weise zu schützen ist, dass ihm ein Zugang zum (Sterbe-)Medikament Natrium-Pentobarbital (NaP) eröffnet werden muss, wenn zumutbare Alternativen fehlen. Nicht zuletzt deswegen stehen die Zeichen in Karlsruhe in Richtung Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB.

Zu den weiteren Argumenten:

Das in der Antwort angegebene Ziel des Gesetzes, eine "Kriminalisierung der Ärzte auszuschließen", wurde verfehlt. Neben zahlreichen Hausärzten fürchten gerade auch Palliativmediziner sich seit 2015 strafbar zu machen, wenn sie beispielsweise unheilbar kranke Patienten, die Essen und Trinken verweigern ("Sterbefasten"), ergebnisoffen beraten oder wenn sie Kranken im Endstadium zur Schmerzlinderung über das Wochenende Morphium-Dosen verschreiben, die zu einer Selbsttötung geeignet wären. Die Zielverfehlung des Gesetzes ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass neben Privatpersonen und Sterbe- und Lebenshilfeorganisationen auch Hausärzte, Palliativmediziner, Sterbebegleiter und Pflegepersonen Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB beim Bundesverfassungsgericht eingereicht haben.

Das Ziel, den "geschäftsmäßigen Umgang" von Lebens- und Sterbehilfeorganisationen "stoppen" zu müssen, weil sonst Menschen in "tödliche Gefahr" kämen und ein gesellschaftlicher Dammbruch einsetze, ist eine Chimäre. Diese Argumente sind seit Jahren mit Blick auf die Lebens- und Sterbehilfeorganisationen in der liberaleren Schweiz entkräftet. Außerdem: 'Wirksame prozedurale Regelungen für eine aktive Sterbehilfe durch Ärzte müssen und können eine Nutzung von Sterbehilfeangeboten durch an Depression Erkrankte verhindern und die große Zahl von unwürdigen und auch für Dritte hoch belastenden Suiziden verringern.' (Thomas Fischer)

Der zentrale Aspekt ist nicht die Geschäftsmäßigkeit, sondern was es mit dem Sterbewillen auf sich hat. Vor allem ob er ernstlich war. Denn je weniger Gewicht der Sterbewille hat, je schwächer, flüchtiger, überwindbarer das Motiv, desto größer die Verantwortung dessen, der den Suizid auslöst und die Umsetzung unterstützt. Dabei ist es abwegig zu unterstellen, dass bei einem geschulten Mehrfachhelfer das Risiko steige, dass der Suizidwunsch gar nicht ernstlich und freiverantwortlich gefasst werde: Wenn der 85-jährige Ehemann seiner todkranken Ehefrau zum Suizid hilft, ist das völlig straflos. Wenn das der Arzt macht und das dokumentiert und damit zeigt, dass er es gegebenenfalls unter ähnlichen Bedingungen wiederholen würde, dann soll er nach § 217 StGB plötzlich weniger als der 85-jährige Ehemann in der Lage sein, die Freiverantwortlichkeit des Suizids zu beurteilen? Das ist offensichtlich unrichtig.

Wir bezweifeln, dass 2015 "jeder Abgeordnete bei der Abstimmung seinem Gewissen gefolgt" ist. Bei dieser Entscheidung im Bundestag wirkte offenbar auf viele Abgeordnete ein enormer religiöser und kirchlicher Druck. Auf die Verquickung von bestimmten Sittlichkeitsvorstellungen mit den nachweislichen geschäftlichen Interessen von Teilen der Pflege- und Pharmabranche, Sterbehilfezu verhindern und sich "Kunden" (Patienten) ungeachtet deren persönlichen Leidens zu erhalten, gehen wir in dem untenstehenden Kommentar zur Antwort der Grünen ein. Gleiches gilt für die zitierten Verbandspositionen, die in den eigenen Verbänden wie auch der Bundesärztekammer hochumstritten sind.

Rechtsphilosophisch ist es selbstverständlich unbedenklich, wenn sich Politiker für ihren Glauben engagieren und ihre persönliche Lebensführung an den Vorgaben ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft ausrichten. Dagegen ist es aber sehr wohl verwerflich, wenn Politiker in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber, ihre persönlichen Glaubensüberzeugungen anderen Bürgerinnen und Bürgern aufzwingen, wenn sie ihre objektive Verantwortung gegenüber den Interessen der Wählerinnen und Wähler mit ihrer subjektiv empfundenen Verantwortung gegenüber ‚Gott‘ verwechseln und die Einrichtungen des weltanschaulich neutralen Staates missbrauchen, um weltanschaulich geprägte Überzeugungen – noch dazu gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung – zur verbindlichen Strafnorm zu erheben.

Wie die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) zu einer repräsentativen Befragung des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach berichtet: 76 Prozent der Bundesbürger sind für die Sterbehilfe. Entgegen den Vorgaben ihrer jeweiligen Kirchenleitungen sind sowohl bei evangelischen wie auch katholischen Kirchenmitgliedern Mehrheiten für die Sterbehilfe.

§ 217 StGB privilegiert die Sittlichkeitsvorstellungen einer weltanschaulichen Minderheit und diskriminiert die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die diese Vorstellungen nicht teilen.

Religiöse wie auch nichtreligiöse Abgeordnete haben 2015 offenbar nicht erkannt, dass ihr generelles Votum für ein bedingungsloses Verbot der wiederholten Suizidhilfe hochgradig unmoralisch werden kann. Tatsächlich gibt es keine bessere Maßnahme zur Verhinderung von Verzweiflungssuiziden und Verzweiflungssuizidversuchen als die Etablierung eines vernünftigen, am Selbstbestimmungsrecht des Patienten orientierten Systems der Letzten Hilfe. Angesichts von bis zu 200.000 Suizidversuchen jährlich und annähernd drei Schienensuiziden am Tag in Deutschland ist dies ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite. Es ist nicht zu lösen, indem man es verdrängt oder die professionelle Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. Auch für die Gruppe der Nicht-Verzweiflungssuizide ist § 217 StGB fatal. Sie weisen den Betroffenen, die noch selber handeln können, oftmals den Weg in den Brutal-Suizid.

Bei jenen schwerkranken Menschen, die ihren Willen am Lebensende nicht mehr selbst vollziehen können, können vermeidbare Schrecken und Grausamkeiten für die nächsten Angehörigen einhergehen wie hier zum Beispiel im Oktober 2017 allem Augenschein nach in Plauen: ein Rentner erdrosselte zunächst seine schwerkranke Frau, scheiterte dann zunächst bei seinem eigenen Selbstmordversuch durch Erhängen und stürzte dann aus dem mehrgeschossigen Wohngebäude in den Tod. Qualvoll, verzweifelt und tragisch für das Ehepaar, und ein traumatisches Ereignis für die Nachbarn, Helfer und die Öffentlichkeit.

Ein Arzt bewirkt Gutes, wenn er eine Selbsttötung fördert, die der einzige Weg zur Beendigung qualvollen Leidens ist. Es ist menschenwürdig, möglichst in der gewohnten Umgebung unter bestmöglicher professioneller Begleitung die ernstlich und freiverantwortlich getroffene Suizidentscheidung umzusetzen. Hierzu trägt eine professionelle ärztliche Begleitung bei. Weder ethisch, rechtspolitisch noch berufsständisch ist es nachvollziehbar, dass der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, sagt: "Lassen Sie es die Sterbehilfe doch den Klempner oder den Apotheker oder den Tierarzt machen, aber eben nicht den Arzt." Diese standesbewusste Haltung ist de facto der Geist des § 217 StGB.

SPD:

"Mit Blick auf die gesetzliche Regelung des assistierten Suizids und der Palliativmedizin ist für uns klar: "Menschen bedürfen am Lebensende der besonderen Solidarität. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein Sterben in Würde" – so steht es im gültigen Hamburger Parteiprogramm. Von diesem Grundsatz geleitet haben sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für ein Gesetz eingesetzt, das 2015 im Bundestag verabschiedet wurde. Das Gesetz stellt lediglich die geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid unter Strafe und lässt weiter Raum für Gewissensentscheidungen. Auch die Assistenz bei einer selbstverantworteten Selbsttötung wird demnach nicht strafrechtlich verfolgt. Eine Suizidhilfe, die auf Profit angelegt ist und die Selbsttötungen als Dienstleistungen behandelt, ist verboten. An diesem Gesetz halten wir fest."

ifw-Kommentar:
Die SPD erkennt an, dass jeder Mensch einen "Anspruch auf ein Sterben in Würde" hat. Die Entscheidung darüber, wie ein solcher würdevoller Tod bzw. Sterbeprozess im Einzelnen aussehen soll, versagt sie sodann jedoch dem Bürger. Das ist paternalistisch. Es geht über die verfassungsrechtliche Kompetenz des Staates hinaus, ein Strafgesetz zu erlassen, welches dem Bürger ethische Vorgaben hinsichtlich eines als richtig und gut erachteten Todes macht.

Die Antwort wirft mehr juristische Fragen auf, als durch sie beantwortet werden. Die SPD hat bei dem Gesetz offenbar die juristische Kategorie der Geschäftsmäßigkeit mit der Gewinnabsicht ("Profit") der Gewerbsmäßigkeit verwechselt. Das Wort "geschäftsmäßig" erfasst auch ärztliches wie zum Beispiel palliativmedizinisches Handeln. Ärztliches Handeln ist immer geschäftsmäßig. Die SPD will die "Suizidhilfe, die auf Profit angelegt ist und die Selbsttötungen als Dienstleistungen behandelt" strafrechtlich belangt wissen. Folgt aus dem "Profit"-Hinweis, dass die SPD bei ärztlichen Mehrfachhelfern ohne Gewinnabsicht und Non-Profit-Organisationen wie eingetragenen Vereinen (e.V.) nicht gegen die Sterbehilfe ist? Dann wäre dieses Gesetz nachzubessern, um es in Einklang mit der Position der Partei zu bringen.

Die SPD will jedoch an diesem Gesetz festhalten. Was bedeutet es für Betroffene? Welcher Raum für Gewissensentscheidungen und deren Umsetzung bleibt einem Bürger wie beispielsweise Dr. S.? Dr. S. war im Alter von 61 Jahren an der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkrankt. Symptome der Krankheit sind zunächst Muskelkoordinationsstörungen und Gangunsicherheiten. Später kommt es zu völliger Steife, Muskelschwund, Sprachverlust, Schluckunfähigkeit und totaler Pflegeabhängigkeit bei voll erhaltenen geistigen Fähigkeiten. Die Krankheit nahm einen schnellen Verlauf. Eineinhalb Jahre nach der Diagnose konnte Dr. S. weder schlucken noch halbwegs verständlich sprechen. Bei Sprechversuchen flossen große Mengen Schleim aus seinem Mund. Er war völlig abgemagert und saß festgeschnallt auf einem Spezialpflegestuhl. Auch sein Kopf war fixiert, da er sonst zur Seite gekippt wäre, denn die Muskeln des gesamten Körpers hatten sich weitgehend zurückgebildet. Er wurde künstlich ernährt über einen Schlauch, der direkt durch die Bauchwand in den Magen führte (sogenannte "PEG-Sonde"). Dr. S wurde ambulant palliativmedizinisch versorgt. Die Gesichtsmasken, die ihm seine Atmung erleichtern sollten, hielt er jedoch nur 60 bis 70 Minuten lang aus. Danach war der Mund zu trocken, im Rachen alles verklebt, außen zu viel Speichel, und die Maske wurde zu eng. In seinem Mund, im Rachenraum und in der Lunge bildeten sich unablässig Sekrete, welche alle 45 Minuten abgesaugt werden mussten. Nachts lag er jede Stunde wach und hatte Schmerzen. Zu diesem Zeitpunkt konnte kein Arzt mit Sicherheit sagen, wie lange er unter optimaler Versorgung noch hätte weiterleben können. Dr. S. entschied sich jedoch für einen assistierten und schmerzfreien schnellen Suizid. Die Alternative, einen Abbruch des Behandlungsverfahrens durch Einstellung der künstlichen Ernährung und damit verbunden ein eher langsames tödliches Austrocknen infolge fehlender Flüssigkeitsaufnahme, lehnte er ab. Ihm wurde deshalb eine Infusion vorbereitet und zur Verfügung gestellt, welche er eigenhändig über den Schieber des Infusionsschlauches zu sich nehmen konnte. Sollen Patienten wie Dr. S sich nur noch an medizinisch unerfahrene Angehörige wenden können, obwohl diese ihnen fast ausnahmslos nicht weiterhelfen können? Oder schließt sich die SPD dem oben zitierten Vorschlag des Präsidenten der Bundesärztekammer an, hier anstelle des kompetenten Arztes, den Klempner ans Sterbebett zu holen?

Praktizierende Ärzte und Sterbehelfer sind seit Inkrafttreten des § 217 StGB gut beraten, eine Unterstützung abzulehnen, da sie per se geschäftsmäßig handeln, wenn sie sterbewillige Patienten beraten oder betreuen und dafür strafrechtlich belangt werden können.

§ 217 StGB trifft zudem Menschen, die sozial schwach sind, zu wenig Geldmittel haben oder nicht über die entsprechenden gesellschaftlichen Kontakte verfügen, um sicherzustellen, dass sie als schwerkranke Menschen im Fall der Fälle rechtszeitig zwecks Sterbehilfe in ein liberaleres Nachbarland reisen können, oder ihr Tod in Würde in Deutschland auch dann abgesichert ist, wenn sie nicht mehr handlungsfähig sind.

Die Aussage, dass "Assistenz bei einer selbstverantworteten Selbsttötung … demnach nicht strafrechtlich verfolgt" wird, ist nicht haltbar. Die Staatsanwaltschaft muss bei der aktuellen Rechtslage aufgrund des Legalitätsprinzips einen Fall der Assistenz bei einer Selbsttötung strafrechtlich verfolgen. Die Frage, ob die Selbsttötung nämlich vom Sterbewilligen selbstverantwortet oder aber vom Suizidhelfer fremdverantwortet worden ist oder nicht, ist eine Tatsachenfrage, welche erst nach umfangreicher und schwieriger Beweisaufnahme in einer gerichtlichen Verhandlung verbindlich geklärt werden kann. Dies insbesondere auch deshalb, weil eindeutige Kriterien, wie die Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Suizidwilligen festgestellt werden kann, bislang in der Rechtsprechung nicht entwickelt worden sind. Ohne Rücksicht auf den späteren Verfahrensausgang kann aber schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu einem Verlust an beruflicher Reputation bis hin zu einem Approbationsentzug führen (§ 6 I Nr. 1 BÄO). Bevor in einem solchen Verfahren eine Entscheidung fällt, können zudem gut und gerne zwischen fünf und zehn Jahre vergehen und für die Angeklagten Kosten im Wert eines Einfamilienhauses entstehen, wie der Fall des Patienten Dr. Kurt A. zeigt. 

AfD: Der KORSO – Koordinierungsrat säkularer Organisationen erhielt keine Antwort auf den Wahlprüfstein. Auch im Wahlprogramm gibt es hierzu keine Aussage.

ifw-Kommentar: 
Entfällt bis auf weiteres.

FDP: 

Wir Freie Demokraten haben eine klare Meinung zum § 217 StBG. Wir fordern Rechtssicherheit für Ärzte in der Sterbebegleitung. Über sein eigenes Leben entscheidet immer der einzelne Mensch in Selbstbestimmung. Freiheit und Selbstbestimmung ist der Kern der Menschenwürde. Artikel 1 des Grundgesetzes schreibt fest, dass dieMenschenwürde ausnahmslos immer gilt, so auch im Angesicht des Todes. Der Entschluss, sein Leben zu beenden, ist deswegen nicht strafbar. Deshalb darf auch die Beihilfe zum Suizid nicht kriminalisiert werden. Die erfolgte Verschärfung der Rechtslage wollen wir rückgängig machen. Das ärztliche Standesrecht unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland teilweise stark. Daher fordern wir eine bundeseinheitliche Regelung unter welchen Umständen die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung sanktionsfrei ist. Dies eröffnet Ärzten die benötigte Sicherheit und betroffenen Patienten qualifizierte Begleitung in ihren letzten Stunden."

ifw-Kommentar: 
Genau. Das ist säkulare Rechtspolitik.

DIE LINKE: 

"Die LINKE verteidigt das Recht auf den Freitod. Bei der Frage der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Unterstützung dafür hat die LINKE keine für alle Mitglieder und Mandatsträger verbindliche Position, weil hier von Fall zu Fall abgewogen werden muss."

ifw-Kommentar: 
Wie soll nach Verabschiedung des Gesetzes noch eine Abwägung seitens der Mitglieder und Mandatsträger über die Frage der Strafbarkeit der Freitodhilfe von Fall zu Fall stattfinden? Geschweige denn seitens der Bürgerinnen und Bürger bei der Selbstbestimmung an ihrem Lebensende? Die Suizidbeihilfe ist 2015 nach rund 140 Jahren Straffreiheit kriminalisiert worden. Eine Abwägung treffen jetzt die Staatsanwaltschaften und die Richter mit dem Strafgesetzbuch in der Hand.

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: 

"Tötung auf Verlangen ist ebenso strafbar … wie die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde ist unser Ausgangspunkt. Ethische Fragen wie "Sterbehilfe" sind Gewissens- und nicht Parteientscheidungen. Um den Menschen die Angst vor einem qualvollen Tod zu nehmen, wollen wir die Hospiz- und Palliativversorgung verbessern."

ifw-Kommentar:
Wenn ethische Fragen wie die der "Sterbehilfe" vorrangig Entscheidungen des Gewissens sind, warum haben dann Abgeordnete der Grünen bei der Einführung des Sterbehilfeverhinderungsparagrafen dem Einzelnen das bisherige Recht verwehrt, eine Gewissensentscheidung zur Frage des Suizids zu treffen und diese unter Zuhilfenahme professioneller Unterstützung auch umzusetzen? Warum erlauben BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN den Betroffenen nicht mehr die Gewissenentscheidung?

'Die ganze Terminologie ist durchsetzt von Tabus, diplomatischen "Sprachregelungen" und Verschleierungen. Das gilt im Übrigen auch für die künstliche Gegenüberstellung von Palliativmedizin und Sterbehilfe.' (Thomas Fischer)

Es gibt Fälle unheilbarer und irreversibel zum Tode führender Krankheiten, in denen Schmerztherapien nicht weiterhelfen und die Patienten enormes Leid und seelische Qualen ertragen müssen. Auf der Grundlage der geltenden fachlichen Richtlinien kann ein schmerzfreies Leben durch eine palliativmedizinische Versorgung nicht in jedem Einzelfall garantiert werden. Überdies schlagen palliativmedizinische Maßnahmen bei ca. fünf bis zwanzig Prozent der Patienten nicht an und führen nicht zur angestrebten Schmerzlinderung. In anderen Fällen, wie der Miserere (Erbrechen von Kot), bietet auch eine palliativmedizinische Behandlung für die Betroffenen keine Lösungen. Die Grenzen zwischen Palliativmedizin und Suizidassistenz sind bei bestimmten Krankheitsbildern und Behandlungsmethoden fließend und Palliativmedizin und Suizidassistenz schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. In Fällen, in denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt, ermöglicht allein die Suizidhilfe den Betroffenen einen würdevollen und schmerzfreien Tod.

Zentraler Punkt ist das 'Selbstbestimmungsrecht am Lebensende, also in einer Lebensphase, in der der Mensch wegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit und hohen Alters besonders vor nicht erwünschten paternalistisch-fürsorglichen Handlungen seitens der Ärzte, Pflegekräfte, aber auch Angehöriger zu bewahren und dessen Willen am Lebensende Geltung zu verschaffen ist.' (Robert Roßbruch)

Das Vorhaben, die Hospiz- und Palliativversorgung zu verbessern, ist grundsätzlich zu befürworten. Dabei darf jedoch das 'Sterbeverlängerungskartell' (Matthias Thöns) nicht unterschätzt werden. Schon lange ist bekannt, dass die Pharmaindustrie ein Viertel ihres Gesamtumsatzes mit Medikamenten erwirtschaftet, die die Patienten in ihrer allerletzten Lebensphase erhalten. Eine investigative Untersuchung hat ergeben, dass 90 Prozent der Pflegeeinrichtungen für Komapatienten bereit sind, den in der Patientenverfügung dokumentierten Patientenwillen zu missachten, um das Leben zu verlängern. Finanzielle Interessen dürften dabei eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Immerhin erhalten ambulante Beatmungs-WGs für jeden ihrer Patienten zwischen 20.000 und 25.000 Euro im Monat, also zwischen 240.000 und 300.000 Euro im Jahr – ein lukratives Geschäft, das entfallen würde. Schließlich ist jeder Patient, der seinen ernstlichen und freiverantwortlichen Sterbewunsch realisieren kann, ein vorzeitig verlorener Kunde.

Davon abgesehen ist die Antwort der Grünen unterkomplex, sie blendet aus, was in den Blick zu nehmen ist: Die Palliativversorgung, die verbessert werden soll, ist gerade wegen der Geltung des § 217 StGB im Einzelfall bedroht; denn viele Palliativmediziner fürchten zu Recht, dass ihr schmerzlinderndes Helfen als "geschäftsmäßig" und strafbar bewertet wird.

§ 217 StGB hat die Rechte der Patienten in entscheidender Weise geschwächt und stattdessen die Fraktion derer gestärkt, die aus religiösen Gründen oder ökonomischen Interessen alles daransetzen, die Selbstbestimmungsrechte der Patienten außer Kraft zu setzen.


Anmerkung:

Die Parteien sind in der Reihenfolge ihrer Fraktionsgröße im Deutschen Bundestag aufgeführt. Die vorgenannten Standpunkte stammen aus den Antworten der Parteien auf die Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2017, die vom KORSO – Koordinierungsrat säkularer Organisationen eingeholt wurden: http://www.korso-deutschland.de/1553/der-korso-hat-gefragt-und-die-parte...

Das ifw hat die relevanten Zitate aus den Antworten der Parteien ausgewählt. Die Kriterien für die Auswahl der Zitate bestanden darin, zum einen die Kernaussage zur Parteiposition in Bezug auf die Abschaffung des § 217 StGB und zum anderen die rechtswissenschaftliche Begründung zu erfassen.

Hilfsangebot:

Wenn Sie Informationen zur Selbstbestimmung am Lebensende suchen, empfehlen wir Ihnen "Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben" und "Am Ende des Weges" sowie den Kontakt unter anderem mit:

Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. Tel.: 030 21 22 23 37-0

Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes Deutschland (HVD)Tel.: 030 61 39 04-11