Ob Hungersnot, ob Harvey: Wie christliche Fundamentalisten für alles dieselbe Erklärung haben

Störsender im Hirn

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Zisch! Hat der Herr wieder schlechte Laune?

Nach dem Wirbelsturm Katrina gaben die christlichen Fundamentalisten in den USA den vielen Homosexuellen in New Orleans die Schuld. Jetzt hat Harvey ihren eigenen Lebensraum getroffen, Texas. Da mussten sie kurz nachdenken. Wer ist nun Schuld? Wieder die Schwulen! Wie die Vorstellung "Gott" jeden klaren Gedanken verzerrt - und warum Jesus das ganz anders sah...

Beeindruckende Naturphänomene haben den Menschen schon immer eine Idee von Göttlichkeit nahegelegt: Der weniger rationale Teil in uns spricht massiv an auf heftige Gewitter, die Morgenröte oder schöne Schweizer Bergpanoramen: Je weiter man zurückgeht in der Religionsgeschichte, desto stärker sind viele Gottheiten mit Naturerscheinungen konnektiert oder werden sogar gleichgesetzt mit ihnen. Thor hämmert auf seinem Donneramboss rum, Neptun lässt das Meer schwappen, und so weiter. Der menschlichen Seele verschafft diese Idee eine Beruhigung, sie macht aus der gleichgültigen Natur ein Zuhause: Alles hat einen Grund, und der Regen pladdert jetzt nicht nur einfach so auf uns nieder. Sondern die zuständige Gottheit ist gerade sauer auf uns oder hat sonstwie schlechte Laune.

Mit der Einführung des Monotheismus wurden auch alle Naturvorgänge monopolisiert. Wo man früher aus dem Wogen der Naturphänomene einen Familienkrach bei Zeus und den Seinen ablesen konnte, poltert jetzt eben der monomane Jahwe in all seiner dreifaltigen Einsamkeit herum. Und ärgert sich wohl also über uns. Denn dass er einfach nur so herumgrummelt wie ein versackter Quartalstrinker, mag man sich ja nicht vorstellen. Wirbelstürme, Erdbeben und dergleichen sind offensichtlich seine Art, mit uns zu kommunizieren. Er wirft keine Flugblätter ab, er lässt keine verständlichen Botschaften in hübschem Rosa, in allen Sprachen der Erde, am Himmel erscheinen, er twittert nicht, was genau unter seinen zehn Geboten zu verstehen sei. Sondern er poltert halt herum.
 
Immer wieder verblüffend ist es dabei, was für klar umrissene Botschaften sich aus Naturkatastrophen herauslesen lassen. In den letzten Jahren haben es sich etwa ultrakonservative Christen in den USA zur lieben Gewohnheit gemacht, größere, unliebsame Naturereignisse, die ganze Regionen in den Strudel reißen, auf Geschlechtsakte einer Minderheit zurückzuführen. Als der Hurrikan Katrina New Orleans traf, waren sich die Erzchristen schnell einig: Gott mochte die dortige LGBTI-Szene nicht! Also hat er in seiner erstaunlich cholerischen Art die ganze Gegend zernichtet, Amen. Als nun der Sturm Harvey Texas rammte, war es zunächst verdächtig ruhig bei den christlichen Homophobikern, vermutlich waren sie vollauf damit beschäftigt, ihre Häuser auszupumpen. Mittlerweile hat man sich aber berappelt und doch Gründe finden können, warum Gott sein Zerstörungswerk ausgerechnet in Houston durchgezogen hat: Wer suchet, der findet, und hier sind sie nun auf Houstons offen lesbische Ex-Bürgermeisterin Annise Parker gestoßen – die seit Januar 2016 nicht mehr im Amt ist. Gott braucht wohl etwas länger, um einen richtig fiesen Wirbelsturm in die Wege zu leiten.

So funktioniert Gott beim gläubigen Menschen wie ein permanenter Störsender. Wo rationales Denken (jetzt neu: mit Erkenntnisgewinn!) zumindest theoretisch möglich wäre, wird es durch das Konzept "Gott" immer wieder verzerrt: Dass es den gibt, muss irgendwie in jeden Gedankengang integriert werden, und wie unmöglich das ist, wenn man sich einigermaßen im Rahmen des gesunden Menschenverstands halten will, dürfte bekannt sein. Warum gibt es so viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit auf der Welt, wenn die von einem liebenden und allmächtigen Gott geschaffen wurde? Die ungelöste Grundfrage seit eh und je, die Abzweigung, an der sich jeder entscheiden muss: Verzichte ich auf das theistische Störfeuer in meinem Gehirn – um die Welt in all ihrer Schönheit zu sehen und ansatzweise zu verstehen? Oder knipse ich den Verstand aus, um das wohlige Gefühl zu erlangen, eine väterliche Gottheit throne und wache über mir.

Die Prediger jedenfalls, sie empfehlen zu beten. Aber warum eigentlich? Viel sicherer wäre es ja wohl, einfach in ein Gebiet zu ziehen, in dem keine Naturkatastrophen vorkommen. Gott scheint es ja nicht hinzubekommen, etwa Wirbelstürme über den Schwulenszenen von Köln oder Berlin auszuschütten, irgendwie toben seine Hurrikans immer nur dort, wo man sie aus meteorologsichen Gründen erwarten dürfte. Darüber denken die Gläubigen dann lieber nicht so viel nach. Vor allem lesen sie aber auch nicht ihre Bibel. Eine der Hauptfiguren dort ist nämlich oft ganz anderer Ansicht als die Fundamentalisten der US-Südstaaten, ein Herr namens Jesus. Im Lukasevangelium äußert er sich auch über die Opfer von Katastrophen: Werden die zielgerichtet ausgewählt, als Strafe für ihren Lebensstil?

In Jerusalem ist wohl mal ein Turm eingestürzt, achtzehn Menschen kamen zu Tode. Jesus darauf: "Meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage Euch: Nein." Vielleicht sollten die texanischen Hassprediger diese Stelle mal ausdeuten. Aber nach allem, was sie so von sich geben, glaubt man eh kaum, dass sie sich mit den Ideen des biblischen Wanderpredigers je groß beschäftigt haben.