Alles begann mit Protesten gegen die soziale Ungerechtigkeit im Land. Inzwischen geht es allerdings um mehr: Von den oppositionellen Demonstranten im Iran wird die Abschaffung des Mullah-Regimes gefordert. Allzuviel Hoffnungen sollte sich jedoch nicht gemacht werden; das Regime hat noch immer viele Anhänger.
Die "Islamische Republik Iran" ist in der Region ein wichtiger Player und für Westeuropa – trotz aller Sanktionen – ein wichtiger Handelspartner. Nicht nur deshalb berichten internationale Medien mehr oder weniger ausführlich über die Proteste im Iran. Allerdings scheinen viele Kommentatoren die Situation falsch oder nur oberflächlich einzuschätzen.
Denn weder ist hier eine neue Revolution, eine iranische Entsprechung des "Arabischen Frühlings", im Entstehen, noch ist das Regime stark genug, die Proteste gänzlich unterbinden zu können. Ein wenig erinnert die Situation an die Zeit nach der Wahl 2009, als die Proteste gegen die vermutete Wahlfälschung (die Ahmadinedschad zur Wiederwahl verhalfen) zu blutigen Auseinandersetzungen führten. Allerdings gibt es – soweit Medienberichte zulassen, das zu erkennen – einen Unterschied zur damaligen Situation: Dieses Mal hat der Protest in der Mitte der (verarmten) Gesellschaft begonnen und nicht allein bei den Studenten, die sich allerdings den Protesten anschlossen. Neu ist zudem, dass es zu einem bewaffnetem Angriff auf Polizisten gekommen sein soll; eine Eskalation, die ist es 2009 nicht gab.
Der Anlass der Proteste, die sich inzwischen auf alle größeren Städte des Landes ausgebreitet hat, war anfangs die desaströse Wirtschaftspolitik der Regierung. Doch mittlerweile rufen Demonstranten "Tod dem religiösen Führer". Nach Medienangaben gab es bereits Tote und Verletzte, rund 500 Menschen wurden bereits verhaftet.
Die vom Mullah-Regime brutal niedergeschlagene "Grüne Bewegung" im Jahr 2009 hat für den Namen der aktuellen Protestwelle Pate gestanden: In den sozialen Netzwerken ist von der "Roten Bewegung" die Rede.
Das Iranjournal schreibt:
Am Donnerstag hatten staatlich organisierte Demonstrationen anlässlich des Jahrestages der Niederschlagung der "Grünen Bewegung" in manchen Städten spontane Gegendemonstrationen provoziert. Letztere wurden von der Polizei gewaltsam beendet. Gleichzeitig gab es in der Stadt Mashhad Proteste gegen die hohe Arbeitslosigkeit und die Steigerung der Lebensmittel- und Energiepreise. Auch diese Proteste wurden vom Staat nicht toleriert und von der Polizei aufgelöst. Daraufhin begann eine Protestwelle, die bis Sonntag mehrere Städte erreichte. Anfangs wurden überall ähnliche Parolen gerufen wie in Mashhad.
…die Parolen änderten sich, viele Demonstranten verlangten nun nach mehr Gerechtigkeit, Freiheit und demokratischen Rechten. Andere wünschten sich sogar lauthals den Tod von Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei und "das Ende der islamischen Diktatur".
Allerdings ist die Nachrichtenlage sehr dürftig und westliche Kommentatoren können sich auf sehr wenige verläßliche Quellen stützen. Es scheint weder angemessen, von Trumps Aussage über eine "Unterstützung" der Proteste zu viel zu erwarten (zumal sich die USA in der iranischen Geschichte als nicht gerade sehr demokratiefreundlich erwiesen hat), noch zu hoffen, dass das Regime jetzt in sich zusammen fällt.
Westliche Staaten riefen in den vergangenen Tagen die Führung in Teheran zur Wahrung der Demonstrationsfreiheit und zum Dialog auf.
Der deutsche Außenminister Gabriel sagte:
Ich bin sehr besorgt angesichts der jüngsten Entwicklungen in Iran und der Meldungen über weitere getötete Demonstranten und zahlreiche Verhaftungen. Wir appellieren an die iranische Regierung, die Rechte der Demonstranten zu respektieren, sich zu versammeln und frei und friedlich ihre Stimme zu erheben.
Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini forderte ebenfalls, dass der Iran das Recht auf friedliche Demonstrationen und die Meinungsfreiheit garantieren müsse. Der britische Außenminister Boris Johnson nannte die Anliegen der Demonstranten "legitim und wichtig" und sprach sich für einen Dialog zwischen Regierung und Demonstranten aus.
Die nächsten Tagen werden zeigen, ob das Einlenken von Staatspräsident Hassan Rohani, der den Demonstranten das Recht auf Protest zuerkennte, die Situation entschärft oder ob die Proteste weiter eskalieren. Es wird zu beobachten sein, ob sich die wirtschaftliche Situation des Großteils der Bevölkerung in den kommenden Monaten verbessern wird. Denn, wie Gerrit Wustmann bei Telepolis richtig schreibt:
Im Land brodelt es gewaltig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12,4 Prozent, die Inflation verteuert die Lebenshaltungskosten massiv, Preise für Lebensmittel sind in den letzten Monaten um teils 50 Prozent gestiegen. Zugleich stagnieren die Löhne, die Ungleichheit nimmt zu und Sozialleistungen wurden gekürzt.
Fast die Hälfte der iranischen Bevölkerung lebt unter oder nur knapp über der Armutsgrenze. Die Menschenrechtslage ist katastrophal. Kaum ein Land verhängt so viele Todesurteile wie Iran. Regierungskritiker sind massiven Repressionen ausgesetzt. In den Gefängnissen wird systematisch gefoltert.
Wenn sich an dieser Situation nicht über kurz oder lang etwas ändert, wird die iranische Bevölkerung weiterhin auf die Straße gehen. Der Sturz des Mullah-Regimes wird dabei als Kollateralschaden in Kauf genommen.