Wir leben in bewegten Zeiten. Während Demokratien bröckeln, wird das Christentum von rechtsnationalen Bewegungen wiederentdeckt – nicht als spirituelle Quelle, sondern als politisches Instrument. In mehreren europäischen Staaten sowie den USA formieren sich rechtspopulistische Bewegungen, die das Christentum als Identitätsmarke nutzen. Von Orlando bis Budapest, von London bis Berlin: Das Kreuz wird zur Flagge gegen "das Andere".
Donald Trump hat vorgemacht, wie man Religion politisch instrumentalisiert. Der Mann, der vorher kaum kirchliche Überzeugungen erkennen ließ, posierte während der Proteste in Washington mit einer Bibel in der Hand – während die Polizei Tränengas gegen Demonstrierende einsetzte. Der "nicht-konfessionelle Christ" Trump sucht die Nähe zu den Evangelikalen, die ihn als Werkzeug Gottes verehren. Als er ein Attentat knapp überlebte, war für seine Anhänger Gottes Hand im Spiel. Der Ungläubige wird zum Gesalbten, der Zyniker zum Heilsbringer.
Trumps politische Bewegung ist längst zu einer religiösen geworden. Evangelikale Pastoren predigen seinen Sieg als göttlichen Auftrag, konservative Medien verklären den politischen Kampf zum spirituellen Krieg. Selbst der Tod des rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk wurde in der MAGA-Szene zur Märtyrererzählung erhoben – ein Lehrstück dafür, wie Politik und Religion im Populismus verschmelzen: Die Nation als Kirche, der Wahlkampf als Gottesdienst.
Die sakrale Rüstung des Populismus
In Europa zeigt sich das gleiche Muster – nur in anderer Sprache. Viktor Orbán inszeniert Ungarn als Bollwerk eines "christlichen Europa". Die Krone des heiligen Stephan, einst Symbol des Glaubens, dient nun als politisches Requisit gegen Migranten und die liberale Demokratie. In Italien beschwört Giorgia Meloni "Gott, Familie, Vaterland" – eine Trinität gegen Feminismus, Gleichstellung und Vielfalt. Bei Marine Le Pen und Éric Zemmour in Frankreich dient das "jüdisch-christliche Erbe" als Mittel, Muslime als "fremd" zu brandmarken, nicht als Teil der nationalen Gemeinschaft. Und in England ruft Nigel Farage die Verteidigung der "judeo-christian culture" aus – verbunden mit der Forderung nach mehr Kindern, weniger Migration und der Rückkehr zu "traditionellen Werten". Der Glaube als Bollwerk gegen die Moderne.
Auch in Deutschland ist diese Entwicklung spürbar. Für den überzeugten Katholiken Jens Spahn ist das Christentum das kulturelle Fundament unserer Gesellschaft. "Christ zu sein bedeutet für mich, Demokrat zu sein", sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende und verleiht damit religiöser Identität politische Deutungshoheit.
Ähnlich sind auch die Positionen der AfD, für die das Christentum im Zentrum der "deutschen Identität" steht und als Abgrenzung zum Islam dient. Die Protestantin Beatrix von Storch ist mit dem Zeitgeist ihrer Kirche unzufrieden und fordert: "Sie sollte das Evangelium verkünden. Anerkennen, dass eine Ehe einen Mann und eine Frau umfasst, dass es zwei Geschlechter gibt, dass Abtreibung die Tötung eines Menschen bedeutet und dass Nächstenliebe nicht heißt, die halbe Welt nach Deutschland zu holen."
Der stille Schulterschluss der Kirchen
Mindestens ebenso problematisch ist das Verhalten der Kirchen selbst. Statt die religiöse Vereinnahmung klar zu verurteilen, schweigen viele oder suchen gar die Nähe zu den neuen "Verteidigern des Glaubens". Als ultrakonservative Kreise in Verbindung mit dem rechtspopulistischen Nius-Magazin die Berufung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin zu verhindern suchten, assistierte der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl und warnte vor einem "innenpolitischen Skandal", weil die Juristin "das Lebensrecht ungeborener Menschen bestreite" (ruderte dann aber – im Gegensatz zur Union – zurück).
Es sind solche Momente, in denen sich zeigt, wie gut die alte Symbiose aus Thron und Altar noch funktioniert. Zu lange haben Bischöfe und kirchliche Verbände in Europa von der Nähe zur Macht profitiert – zu lange von der Illusion gelebt, moralische Autorität sei mit politischer Deutungshoheit gleichzusetzen. Wenn die Kirchen heute erschrocken auf den Aufstieg des Rechtspopulismus blicken, übersehen sie, dass dessen Ideologie auf kirchlich beackertem Boden gedeiht: auf der Vorstellung eines exklusiven Wahrheitsanspruchs, einer patriarchalen Ordnung und einer feindlichen Haltung gegenüber allem, was von der "Norm" abweicht.
Trump, Orbán, Meloni, Le Pen, von Storch – sie alle beschwören "christliche Werte". Doch gemeint sind keine Evangelien, sondern allein der Abgrenzungsfaktor. Der Populismus hat verstanden, dass Religion das letzte große Identitätsreservoir des Westens ist – und plündert es mit Hingabe. Der Glaube dient seit Jahrtausenden der Stabilisierung bestehender Hierarchien. Das Christentum wird nicht mehr als moralische Herausforderung verstanden, sondern als Garant alter Ordnungen. Keine Erneuerung, stattdessen das bekannte Programm der Bewahrung: Familie, Nation, Gehorsam – das sind auch die Sakramente der Rechtspopulisten.
Der Schulterschluss von Kreuz und Nationalismus ist kein Zufall, sondern eine logische Konsequenz. Beide Systeme leben von Autorität, Unterordnung und der Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten. Die Kirchen, die sich mit der Moderne so schwer tun, sehen in den Rechtspopulisten nicht die Gefahr, die von ihnen ausgeht, sondern eine Rückversicherung: Sie verteidigen anscheinend gemeinsam die alte Ordnung – Familie, Hierarchie, Geschlechterrollen.
So wird Religion zum Werkzeug der Macht, nicht ihrer Kontrolle. Der Glaube dient nicht mehr der Befreiung des Menschen, sondern seiner Disziplinierung. Wo sich Kirche und Populismus begegnen, entsteht kein geistiger Aufbruch, sondern ein ideologisches Bündnis gegen Veränderung. Es geht nicht um Gott, sondern um den Erhalt der eigenen Deutungshoheit – und um die Angst, sie zu verlieren.







