Wodurch zeichnet sich eine kritisch-rationale Einstellung zur Welt aus? Die neue Broschüre des Hans-Albert-Instituts und der Giordano-Bruno-Stiftung mit dem Titel "Leidenschaft zur Vernunft – Kritischer Rationalismus als Lebenshaltung" geht dieser Frage nach und erklärt, wie wir "die hohe Kunst der Rationalität" trainieren können.
"Wir alle tragen Verantwortung für unsere Entscheidungen, der wir nur gerecht werden können, wenn wir uns dabei von Fakten und Logik leiten lassen, nicht von gefühlten Wahrheiten." So heißt es im Klappentext der 32-seitigen Publikation, die ab sofort auf der Website des Hans-Albert-Instituts heruntergeladen und ab Dezember kostenfrei als Printversion bestellt werden kann.
In der Broschüre wird allgemeinverständlich aufgezeigt, wieso wir die großen Herausforderungen der Gegenwart wie die Corona-Pandemie oder die Klimakrise nur dann meistern werden, wenn die kritisch-rationalen Prinzipien, die wir in Technologie und Wissenschaft ganz selbstverständlich akzeptieren, auch im weltanschaulich-politischen Bereich berücksichtigt werden. Gerade in einer Zeit, die von Unsicherheit geprägt ist und in der Verschwörungstheorien und "alternative Fakten" Anklang finden, braucht es daher eine kritisch-rationale Politik, die Entscheidungsprozesse als Problemlösungsversuche ansieht. Diese müssen sich stetig einer kritischen Prüfung unterziehen und sich an der Realität messen lassen.
Die Broschüre weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich beim Kritischen Rationalismus nicht um eine abstrakte, wissenschaftstheoretische Position handelt, die allein für den akademischen Elfenbeinturm bestimmt ist. Er kann vielmehr als praktische Lebensweise für jeden Einzelnen verstanden werden, die sich durch Kritikfähigkeit, Klarheit und Aufgeschlossenheit auszeichnet.
Damit verbunden ist die Forderung nach offenen Denk- und Debattenräumen, in denen Menschen mit anderen Ansichten nicht primär als Kontrahenten wahrgenommen werden, sondern als mögliche Komplizen in der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit. "Entscheidend ist nicht, ob eine Aussage aus dem linken oder aus dem rechten Lager stammt, sondern ob sie widerspruchsfrei, kritisierbar und problemlösend ist", heißt es dazu in der Broschüre.
Am Ende der Veröffentlichung finden sich einfache Ratschläge, wie man ein kritisch-rationales Denken im Alltag trainieren kann, sowie Literaturtipps für eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema.
5 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Kann man diese Broschüre erwerben und wenn ja, wo.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Ja, kann man: In der Einleitung ist die Webseite des HAI verlinkt und dort gibt es die Broschüre gedruckt. Die PDF-Version ist dem Artikel (unten) bereits angehängt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich teile die Meinung des Artikels und der Broschüre im Prinzip über weite Strecken (noch). Aber auf S.
Daniel Schoch am Permanenter Link
In der Broschüre wird das berühmte Xenophanes-Fragment noch nach Popper übersetzt, der sich einige Freiheiten herausnimmt. Herrmann Diels (Fragmente der Vorsokratiker) übersetzt δοκός=δόκησις mit "Wahn".
Ich versuche es einmal:
"Über die evidenten Wahrheiten, betreffend die Götter und die anderen Dinge, von denen ich rede, wird es keinen Mann geben, der sie wüsste. Wenn er nämlich auch durch den glücklichsten Zufall das Vollendetste sagte, weiss er es selbst nicht: Nur unbegründete Meinung ist allen beschieden."
Klingt eher skeptisch als kritisch-rationalistisch.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Interessant. Heißt "einige Freiheiten", dass Poppers Übersetzung des Fragments B34 unpassend ist?
Ich bin im Altgriechischen unbewandert und kann schon "δοκός=δόκησις" nicht beurteilen.
Aber deine Einschätzung "eher skeptisch" erscheint mir plausibel, auch weil Xenophanes als Vorsokratiker so wenig vom (modernen) Krit. Rationalismus wie von Sokrates beeinflusst war. Da wurde und wird m.E. vllt. etwas viel reininterpretiert.