Eine ganze Reihe prominenter evangelischer Theologen des 20. Jahrhunderts aber zog die noch viel radikalere Konsequenz: sie verkündeten die in sich total widersprüchliche, absurde Konzeption eines theologischen Atheismus bzw. einer atheistischen Theologie. US-Amerikanische Spitzentheologen wie Thomas J. J. Altizer, William Hamilton, Paul M. van Buren, Harvey Cox und einige führende Theologen in anderen Ländern (in Deutschland besonders Dorothee Sölle) versuchten in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, den gordischen Knoten protestantischer Gottesproblematik gewaltsam zu lösen, indem sie in den verschiedensten Variationen Gott als nicht oder nicht mehr existent proklamierten. Der Grund für diese Proklamierung ist einfach: Wenn Gott gar nicht existiert, braucht man sich mit den Widersprüchlichkeiten und Negativitäten seines Wesens nicht mehr herumzuschlagen, und dann fällt auch das leidige Theodizeeproblem weg, das sich im Raum der Kirchen so schwertut mit der Frage, wie Übel, Leid, Böses in eine Welt kommt, die Gott geschaffen hat und beherrscht. Wie ein Offenbarungsereignis, das vollkommen neue Lösungsmöglichkeiten eröffnet, wird in der protestantischen Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten von Amerika deshalb das 1961 erschienene Buch "The Death of God" von G. Vahanian begrüßt. Auch der berühmte deutsche Bibelexeget Rudolf Bultmann erklärte, es sei das "erregendste theologische Buch (…) das ich in den letzten Jahren gelesen habe", und es stelle "eine gewisse Parallele zu Karl Barths 'Römerbrief'" dar. (21)
Auf den von Vahanian gestarteten "Gott-ist-tot"-Zug sprang gleich eine Reihe bekannter protestantischer Theologen auf. Sie alle waren plötzlich begeisterte Verkünder der "originellen" theologischen Idee des Todes Gottes. Weite Teile der "aufgeklärten" modernen Presse sahen das natürlich auch so. Dabei ist es hier wie bei allen anderen neu aufkommenden Ideen: die Kirchentheologie ist nie originell, sie übernimmt - oft sogar erst nach sehr langer Zeit - die originellen Gedanken, die anderswo ausgebrütet worden sind. Den "Tod Gottes" verkündeten lange vor den Theologen Philosophen und philosophische Richtungen wie Hegel und die Hegelsche Linke, Marx und der Marxismus, Feuerbach, Nietzsche, Sartre, Camus und andere. Diese Philosophen sind auch klarer und eindeutiger in ihren Aussagen zur Nichtexistenz Gottes. (22) Die Theologen wären keine Theologen, wenn sie ganz eindeutig wären, ein klares Ja oder Nein sprächen, wenn sie sich kein Hintertürchen für die "Dennoch-Bejahung" von Gottes Existenz ließen. Einige Kritiker bezeichneten denn auch die "Tod-Gottes-"Theologie als ein "theologisches Happening, das keinen anderen Sinn hat, als Aufsehen zu erregen, zu schockieren, ja zu düpieren". Sie beanstandeten den mangelnden Ernst dieser Theologie, den Umstand, "dass das Wort vom 'Tod Gottes' ja gar nicht ernst gemeint sein kann, sondern mit dem Verblüffungstrick arbeitet und sich insofern einer journalistischen 'Masche' bedient", und einfach nur "ein Reizwort" sei. (23)
Aber natürlich ist die Tod-Gottes-Theologie auch eine Konsequenz aus dem fatalen, inhumanen und widersprüchlichen Gottesbild Luthers, des weiteren aus seiner antispirituellen, exklusiven Fixierung seiner Gläubigen auf das trockene, aller geistigen Dimensionen beraubte Wort der Schrift sowie aus seiner einseitigen Rechtfertigungslehre, die dem Menschen jede Fähigkeit zum eigenen Aufbruch und Aufschwung ins Geistig-Ethische abspricht.
Es bleibt jedenfalls festzuhalten: Evangelische Theologen, die sich der Ungereimtheiten, Widersprüchlichkeiten, Irrationalitäten und Grausamkeiten des Gottesbildes ihrer Kirche bewusst werden, können, wenn sie in dieser Kirche bleiben wollen, vor ihren Gläubigen und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit eigentlich nur der strengen Devise folgen, auf gar keinen Fall Interna auszuplaudern. Oder aber sie entscheiden sich, Luthers und auch Calvins inhumanen, ja antihumanen Gottesbegriff ganz über Bord zu werfen, insofern Atheisten zu werden.
Heutige evangelische Kirchenvertreter und Theologen sind froh darüber, dass die Tod-Gottes-Theologie mit ihren radikalen lnfragestellungen aller Glaubensinhalte und den fatalen Konsequenzen für das lutherische und calvinistische Gottesbild inzwischen selbst ebenfalls tot zu sein scheint. Sie stellen sie gern als eine Episode des Zeitgeistes dar, die schon längst wieder vorüber sei. In Wirklichkeit ist nach dem gewaltigen Medienspektakel der Tod-Gottes-Theologie in den sechziger und siebziger Jahren des 20.Jahrhunderts nichts mehr so wie früher: egal ob evangelische Theologen nun viel oder wenig Kenntnis von der expliziten Tod-Gottes-Theologie besitzen, der Atheismus dieser Theologie steckt ihnen allen in den Knochen, weil alle spüren, dass das für sie normative und verpflichtende Gottesbild ihrer Konfessionsgründer (Luther und Calvin) unhaltbar und untragbar ist und aus seinem immer noch nicht ganz unfruchtbaren Schoß ständig die Gefahr des Atheismus gebiert. Die Tod-Gottes-Theologen haben ja auch die den Atheismus ermöglichenden Inkonsequenzen, Widersprüchlichkeiten und Ausweglosigkeiten in den klassischen protestantischen Theologiesystemen des 20. Jahrhunderts, der dialektischen Theologie Karl Barths und dem philosophisch-theologischen System Paul Tillichs, schonungslos aufgedeckt.
Es müsste außerdem noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass Luthers latenter Pantheismus im Grunde ein "Pan-Dämonismus" war, weil er absolut nichts Göttliches im Menschen sah, dagegen das Teuflische in obsessiver Manie und Manier ständig in der menschlichen Seele und in der Welt am Werk erblickte. (24) Er war ein Erzfeind der Mystik. Deren via purgativa et illuminativa zu Gott lehnte er kategorisch ab, um so mehr eine unio mystica zwischen der menschlichen Seele und Gott. Luther sah in seiner depressiv-pessimistischen Grundeinstellung Welt und Mensch ausschließlich negativ, den Menschen, sein Ich ohne Gottes durch nichts verdiente Rechtfertigung als total verdammungswürdige Kreatur, dem in dieser Situation nur die "resignatio ad infernum", die Bereitschaft, in die Hölle zu gehen, bleibe. Allein das Wort der Schrift (der Bibel, sola scriptura!), im Glauben angenommen, könne den Menschen rechtfertigen. Aber diese Rechtfertigung fühlt er nach Luther nicht etwa, denn das könnte ja schon der Anfang des mystischen Weges sein. Nein, der Mensch bleibt ohne selbständig erarbeitete Gewissheit eines Gerechtfertigtseins durch Gott. Er verharrt im Zweifel und Zwiespalt "peccator in re, iustus in spe" (Sünder der Sache nach, Gerechtfertigter der Hoffnung nach).
Auch hierin zeigt sich der Wille Luthers, dem Menschen jegliche Autonomie und Selbstsicherheit zu nehmen, ihn zur Marionette des allein wirksamen Gottes zu machen. Dementsprechend wandte sich Luther auch gegen die positive Haltung seines Freundes Karlstadt gegenüber der Mystik und die sog. Bewegung der "Schwärmer", sodann auch gegen die Mystik Bernhards von Clairvaux und andere mittelalterliche mystische Strömungen. Trotz mancher Anklänge an den Neuplatonismus und den von diesem beeinflussten Kirchenvater Augustinus blieb er bei seiner strikten Zurückweisung jeglicher Mystik. Plotins Idee der Fähigkeit des Menschen, den göttlichen Funken in sich wieder aufflammen zu lassen, verwarf er. "Luther hat für sein eigenes Werden nichts Entscheidendes von den mystischen Traditionen empfangen, aber sich Tauber und der von ihm selbst herausgegebenen 'Deutschen Theologie', wenn auch in 'produktivem Missverstehen' (E. Seeberg), verwandt gefühlt, besonders im Negativen, in der Ablehnung aller 'Eigenheit' (des eigenen 'Werks') und in der Bereitschaft, in Gottes Verdammungsurteil über das eigene Ich einzuwilligen…". (25)
Die ganzen seit dem 17. Jahrhundert anhebenden mystischen Bewegungen im Protestantismus (J. Arnd, J. Böhme, Ph. Nicolai, H. Müller, G. Arnold, Angelus Silesius, der zum Katholizismus übertrat, usw.) können sich auf Luther nicht berufen, obwohl sie es teilweise tun bzw. taten.
Fazit: Wie wir die Sache auch drehen und wenden, von welcher Seite wir sie auch erörtern, welche Varianten, Richtungen und Strömungen der protestantischen Theologie wir noch analysieren würden, am Ende spränge immer das Ergebnis heraus, dass die evangelische Gotteslehre unentrinnbar in ihrer eigenen Schlinge zappelt, dass sie entweder anti-human, grausam und unmenschlich, ja dämonisch ist, wenn sie sich schön orthodox an Luther oder Calvin hält, oder dass sie einseitig, wesentliche Aspekte unterschlagend, mystifizierend, unlogisch und widersprüchlich oder naturalisiert, entsubstantialisiert, ja nihilisiert ist, wenn sie sich modernen und postmodernen Strömungen angleicht und anbiedert. Das Ganze ist auch deshalb fatal, weil die Gotteslehren evangelischer Theologie auf dem Weg über den Religionsunterricht ja weiterwirken und Unheil in den Seelen unschuldiger Kinder und Jugendlicher verursachen. Mit tiefem Ernst und warnender Stimme sagte schon Friedrich Nietzsche, Sohn eines evangelischen Pfarrers, in der "Antichrist": "Man muss das Verhängnis aus der Nähe gesehen haben, noch besser, man muss es an sich erlebt, man muss an ihm fast zugrunde gegangen sein, um hier keinen Spaß mehr zu verstehen." Franz Buggle, bis zu seiner Emeritierung Professor für Klinische und Entwicklungspsychologie an der Universität Freiburg, bestätigte das Urteil Nietzsches: "Wohl jedem klinischen Psychologen sind aus seiner Praxis Fälle 'ekklesiogener Neurosen' bekannt: Patienten, die unter religiösen Schuldgefühlen leiden, Menschen, die unter der Last ihres Glaubens zusammengebrochen sind." (26) Aber auch das kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass die geradezu sadistische Strenge in manchen evangelischen Erziehungsheimen den Vorgaben des launisch-grausamen Lutherischen Gottesbildes gefolgt war und deshalb so viele Missbräuche von Kindern und Jugendlichen zu verantworten hat. (27)
- Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abteilung 1: Schriften, Weimar 1883ff. (im folgenden als WA zitiert), hier: WA XVII 1 221.
- WA XVI 141: "Solt ich hierin Gott messen und urteiln nach meiner Vernunfft, so ist er ungerecht und hat viel mehr Sünde denn der Teufel, ja er ist erschrecklicher und grewlicher denn der Teufel, denn er handelt und gehet mit uns umb mit gewalt, plaget und martert uns und achtet unser nicht."
- WA XLVII 180.
- WA XXVIII 120f.
- WA XXVIII 559.
- WA XXVIII 561.
- WA XXVIII 569.
- WA XXVIII 578.
- WA XXVIII 584.
- TiWA VI39 (6561) Aus einem Schreiben Luthers an Caspar Aquilam, Pfarrherr zu Salfeld: "Die Disputatio (…) von heimlichen verborgenen Werken Gottes, ist eine hohe Anfechtung, die man nennet Gotteslästerung, in welcher viel verloren und umkommen sind, und ich bin nicht einmal bis auf Todsgefahr damit angefochten worden. Und was ists doch, das wir arme elende Menschen grübeln, so wir noch nicht die Strahlen göttlicher Verheißungen mit dem Glauben fassen oder ein Fünklin von Gottes Geboten und Werken begreifen konnen, welche beide er doch selbes mit Worten und Wunderwerken bestätiget hat? Doch werden wir Schwachen und Unreinen gerissen und wollen erforschen und verstehen die unbegreifliche Majestat des unbegreiflichen Lichts der Wunder Gottes. (…) Lehren soll man zwar von Gottes unausforschlichem und unbegreiflichem Willen; aber sich unterstehen, denselben zu begreifen, das ist sehr fährlich und man stürtzt den Hals darüber ab."
- WA XL 177: „intolerabilis est humanae naturae“.
- WA XVIII 718.
- R. Otto, Das Heilige, 25. Auflage München 1936, 121.
- Ebd. 124.
- Ebd. 126.
- WA XVIII636, 684ff., 689, 707, 719, 724f.
- E. de Negri, Offenbarung und Dialektik. Luthers Realtheologie, Darmstadt 1973, 73.
- Nach E. Pilick in: Wege ohne Dogma, 3/1998. Pilick zitiert auch die folgenden Aussagen Huttens: "Es geht uns um das Werk Adolf Hitlers in unserem Volk und darum, dass unsere Kirche ein freudiges Ja dazu habe." Der Antisemitismus sei eine "durch und durch sittliche Bewegung", die von den Christen unbedingt bejaht werden müsse.
- WA XVIII 633: "Hic est fidei summus gradus, credere illum esse clementem, qui tam paucos salvat, tam multos damnat, credere iustum, qui sua voluntate nos necessario damnabiles facit."
- E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 3. Auflage Stuttgart 1978, 1.
- Zit. nach dem Artikel "Tod – Gottes – Theologie" in: J. B. Bauer, Die heißen Eisen von A bis Z, Graz 1972, 349.
- Vgl. H. Mynarek, Die Neuen Atheisten, Essen 2010.
- Bei Bauer, a. a. O. 362.
- Pantheismus hier in dem Sinne verstanden, dass Gott nach Luther der im Grunde allein Wirkliche und Wirksame, der alles Determinierende, das einzig wahre Sein ist. Man müsste das also Theopantismus, nicht mehr Pantheismus nennen.
- M. Schmidt, Art. Protestantische Mystik, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. IV, Tübingen 1960, 1253.
- F. Buggle/ E. Dahl, Denn sie wissen nicht, was sie glauben, in: Die Lehre des Unheils, Hamburg 1995, 164.
- Vgl. meine umfassende, auf seinen originären Lehren, Reden und Taten beruhende Dokumentation über Luther im Ahriman Verlag Freiburg u. d. T. "Luther ohne Mythos", 3. Auflage 2013.
17 Kommentare
Kommentare
P.F. am Permanenter Link
Wirklich erschreckend, was da zu lesen ist. Unglaublich, dass daraus die Reformation entstand.
Vielen Dank für diesen Text.
annen nerede am Permanenter Link
heißt dies, dass Luther von Christus gar nichts hielt oder diesen in seinen Schriften überhaupt nicht "ins Feld führt" ??
Dr. Jochen Lengerke am Permanenter Link
Sie scheinen davon auszugehen, dass Christus der Born der Liebe und Barmherzigkeit sei - im Gegensatz zu dem von Luther phantasierten Gott. Das ist nicht ganz so:
Jesus, der Juniorchef persönlich, propagierte wiederholt die Ermordung Abtrünniger durch Verbrennen, beispielsweise in seinem Gleichnis vom Weinstock (Joh. 15,6):
Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen.
oder noch eindeutiger menschenverachtend im Gleichnis vom Unkraut(!)(Mt. 13,38-42):
[38] Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen.[39] Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel.[40] Wie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende der Welt gehen.[41] Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun,[42] und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.
(Zitat aus: http://www.lengerke.de/krumm/text/aufklaerung.html )
Horst Herrmann am Permanenter Link
Luthers Gottesbild ist gewiss so erschreckend wie seine Vorstellungen vom Menschen. Er steht mit beidem innerhalb seines Milieus nicht allein: Alle Theologen haben nur den Amtsgott ihrer Glaubensrichtung verkündet.
Wolfgang am Permanenter Link
Das faszinierende am Christentum besteht darin, Scheinheilige werden zu Heiligen und der Staat macht alles mit, zahlt und schützt. Eine monströse Religion. Die Monster sind unter uns.
Marti L. am Permanenter Link
Wenn ich gezwungen würde, mich zu einer Religion zu bekennen, so würde ich trotzdem das heutige Christentum dem heutigen Islam vorziehen.
Yvonne Fritz am Permanenter Link
Das Gute heutzutage ist, dass Sie nicht gezwungen werden können, sich zu einer Religion zu bekennen, und darüber hinaus haben Sie noch mehr als Christentum und Islam zur Auswahl.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Ich bin jetzt total durcheinander. Ich weiß nicht, was mir mehr Genugtuung bringen würde: Austreten aus der RKK oder Austreten aus der evangelischen Kirche.
Vielen, vielen Dank für diesen Beitrag!
Klaus Bernd am Permanenter Link
Ja es ist erschreckend, mit welchem Gottesbild Theologen manchmal operieren,zuweilen aber auch lachhaft. So auch Luther, wenn er meint, dass unser lieber Herr manchmal Schabernack treibe mit seinen Kindern.
Bergoglio gibt ebenfalls merkwürdige bis lächerliche Aussagen über Gott von sich. Immer wieder mal spricht er von einem Gott der träumt, oder weint, oder von der Menscheit enttäuscht ist und ständig neue Pläne macht. Auch das steht in eklatantem Widerspruch zu Allwissenheit und Allmacht. Aber wie wir wissen ist der logische Widerspruch im theologischen Denkgebrauch nicht sehr beliebt und schon gar nicht, wenn es um den „Alles-ist möglich-Gott“ geht.
Matthias Wehrstedt am Permanenter Link
Luther war nur konsequent und hat das, was in der Bibel steht, ernst genommen und zu Ende gedacht. Wer ihn dafür verachtet hat die Bibel nicht verstanden.
Gott sei Dank, dass es diesen Gott nicht gibt.
little Louis am Permanenter Link
Hubertus Mynarek sollte diese seine Thesen an Weihnachten an die Kirchenportale dieser Republik "schlagen". Zum Auftakt einer schonungslosen Debatte . Vor allem unter den Pseudokristen selbst.
Matthias Krause am Permanenter Link
Ich habe den Eindruck, dass der von Luther beschriebene Gott nicht "Luthers" Gott ist, sondern der Gott der Bibel. Den beschreiben die obigen Lutherzitate m.E. sehr treffend.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Nun, Luther beruft sich ja immer auf die Bibel, aber aus der kann man ja herauslesen, was immer man will. So gesehen ist ein aus der Bibel "abgeleitetes"
Carsten Herrmann am Permanenter Link
Da scheint Herr Mynarek vom gütig blickenden Bischof seiner Firmung eingeholt und bewogen worden zu sein, etwas einseitig alles auf den Ketzerhäuptling zu schieben.
„Jesus spricht öfters von der ‚Gehenna‘ des ‚unauslöschlichen Feuers‘, die für jene bestimmt ist, die bis zum Ende ihres Lebens sich weigern, zu glauben und sich zu bekehren, und wohin zugleich Seele und Leib ins Verderben geraten können. Jesus kündigt in ernsten Worten an, daß er ‚seine Engel aussenden‘ wird, die alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und . . . in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt (Mt 13, 41-42), und daß er das Verdammungsurteil sprechen wird: ‚Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer!‘ (Mt 25,41).
Die Lehre der Kirche sagt, daß es eine Hölle gibt und daß sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt[*], wo sie die Qualen der Hölle erleiden, ‚das ewige Feuer‘. Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für das er erschaffen worden ist und nach dem er sich sehnt.“ (München: Oldenbourg, 2003, S. 295)
Oder eben nicht. Aber ob demnach Funktionäre dieser Kirche wirklich besser geeignet sind, sich Staat und Gesellschaft als „Humanisten“ anzuempfehlen?
*Jener außerordentliche Professor der Theologie, von dem James Frazer zu hoffen wagte, er sei auch im weiteren Sinne außerordentlich, war das also durchaus nicht:
„See Dr. Joseph Bautz, Die Hölle, im Anschluss an die Scholastik dargestellt² (Mainz, 1905). Dr. Bautz holds that the damned burn in eternal darkness and eternal fire somewhere in the bowels of the earth. He is, let us hope in more senses than one, an extraordinary professor of theology at the university of Münster, and his book is published with the approbation of the Catholic Church.“
(The Golden Bough, vol. 3, p. 136)
Martin Weidner am Permanenter Link
Ich bin dankbar, dass diese Thematik aufgegriffen wird.
Hier hinken die Kirchen in der Tat hinter Luther hinterher.
Allerdings habe ich nach meiner Kenntnis von Luthers Theologie nicht den Eindruck, dass er hier richtig wiedergegeben wird. Deshalb einige konstruktiv-kritische Anmerkungen:
Die Zitate beschreiben den homo religiosus (auf R. Otto wird ja verwiesen). Bei Martin Luther hat der Christ in der Anfechtung genau die Stellung des religiösen Menschen: Er steht vor der Unbegreiflichkeit Gottes angesichts des furchtbaren Welthandeln Gottes. Bei Luther ist die Anfechtung keine leichte Sache, es ist Gott selbst (deus ipse), der da erfahren wird. Das ganze Evangelium und die Zusagen von Gottes Liebe wird einem da gänzlich aus der Hand geschlagen. Darin tut Gott sub contrario sein Werk.
Für Luther ist und bleibt Gott aber ein glühender Backofen voller Liebe – nur das ist in der Anfechtung eben verstellt. Nun kann der Christ in der Anfechtung aber nicht den gnädigen Gott aus dem theologischen Hut zaubern, er hat auch nicht wie alle anderen Religionen irgendeinen Handhabe, Gott gnädig zu stimmen (Opfer, heilige Mahle, gutes Handeln, …) sondern das geschieht in dem unverfügbaren Geschehen des Evangeliums als Wort Gottes. Für Luther ist der böse, zornige Gott deshalb nicht die dunkle Folie für die Gnade in Jesus Christus, weil der Christ nie die Anfechtung hinter sich lassen kann. Nach der Anfechtung ist vor der Anfechtung.
Dies genügt vielleicht schon, um deutlich zu machen, dass das, was im Artikel beschrieben wird, einen bestimmten Ort in der Theologie Luthers hat. Es steht also nicht so absolut da, wie es der Artikel suggeriert, sondern beschreibt eben nicht das Evangelium, sondern das Gesetz. Nach Luther ist der kein guter Theologe, der Gesetz und Evangelium nicht richtig unterscheiden kann. Das würde er diesem Artikel auch vorwerfen.
Vor allem ist für Luther die Theologie eine praktische Wissenschaft. Es geht nicht um theoretische Erörterungen, wie Gott ist (das ist uns sowieso verschlossen- schon aus diesem Grund zeichnet der Artikel ein schiefes Bild), sondern um die Widerfahrnis Gottes in der Anfechtung, also eine sehr praktische Sache, in der die (theoretische) Vernunft alleine nicht weiter hilft.
Die Anfechtung ist für Martin Luther unabdingbar für den Glauben, wer das weglässt, lästert Gott (Sofern im Jubiläumsjahr das unter den Tisch fällt, wäre es ein drastisches Urteil Luthers über diese Feierlichkeiten). Aber man muss es schon im Zusammenhang darstellen. Der Artikel greift willkürlich einzelne Versatzstücke heraus, wodurch die Aussagen unverständlich werden bzw. falsch verstanden werden.
Der restliche (weit umfangreichere) Teil des Artikels fußt dann auf dieser falschen Darstellung. Schade, da hier tatsächlich ein fundamentales Stück reformatorischer Theologie benannt wird, das hpd mehr im focus hat als so mancher heutiger Kirchenvertreter.
Anmerkung: Ich habe die ersten beiden Anmerkungen in der online-WA nachlesen wollen, aber die Zitate dort nicht gefunden. Vielleicht weiß jemand Links, die zu den richtigen Stellen führen.
little Louis am Permanenter Link
Jemand aus meinem Bekanntenkreis hat zu einem Luther lobpreisenden Leserbrief in einer Zeitung den folgenden Antwort- Leserbrief "eingereicht".
___________ . ___________
Leserbrief:
"Man kann M.H. zu seinem Vorschlag, einen Martin Luther- Wanderweg über ......... (eine Kleinstadt) bis nach ..... (Universitätsstadt) einzurichten, nur gratulieren. Insbesondere wäre zu überlegen, in diesen die örtlichen KZ- Gedenkstätten mit einzubeziehen. Dort könnte dann dem begeisterten Lutherverehrer ein Exemplar eines weniger bekannten Spätwerkes des Humanisten Luther als Wanderer- Sonderausgabe zur Verfügung gestellt werden. Gemeint ist Luthers Schrift: "Von den Juden und ihren Lügen", die erst kürzlich neu herausgegeben wurde. Allerdings besteht die Gefahr, dass solche Lektüre nicht wenige Christen verunsichern könnte. Manche könnten eventuell sogar auf die Idee kommen, dass der als Jahrhundert-Intellektueller gefeierte Reformator ein wesentlicher Wegbereiter der Hitlerschen Barbarei sein könnte.
Wie sagte Luther doch in Heidelberg: " Die Werke des Menschen sind Todsünden, wenn sie........ in böser Selbstsicherheit getan werden." (Zitiert nach dem Leserbrief von M.H.).
Wie Recht Luther mit seinen (von ihm zu verantwortenden) " Sünden " hatte, die in den Jahrhunderten bis zum modernen Rassismus und während dessen Blütezeiten zum Tod von Millionen unschuldigen Menschen geführt haben."
Wolf-Dieter Busch am Permanenter Link
„Gott „sei schrecklicher und greulicher denn der Teufel (...)‘“ – unter Berücksichtigung des Wissensstandes spricht die Auffassung nicht gegen, sondern für Luther!
Luther tut nicht mehr und nicht weniger als den Sachstand des alten Testaments nach menschlichen Moralkategorien zusammenzufassen.
Wir müssen berücksichtigen, dass im damaligen christlichen Abendland Gott als real existierendes Wesen galt: ein sadistrisches Monstrum, dem wir nichts entgegen setzen können. Die Betrachtung Gottes als philosophische Kategorie oder womöglich menschliche Fiktion entstand erst Jahrhunderte viel später.
Das Erschreckende mach Luthers Zusammenfassung sein. Es ist nicht seine Vorstellung von „Gut und Böse“.
Calm down allemann.