Nachwirkungen von Pegida auf die Jugend

Die Göttinger Sozialwissenschaftler Stine Marg, Julian Schenke, Christopher Schmitz und Katharina Trittel legen mit "Pegida-Effekte? Jugend zwischen Polarisierung und politischer Unberührtheit" eine Studie zu den Nachwirkungen von Pegida auf Jugendliche vor. Die Arbeit basiert auf der Auswertung von Gruppendiskussionen in vier deutschen Großstädten und macht auf die Ambivalenz von latenten und manifesten Einstellungen aufmerksam.

Schon lange kommt den Pegida-Protesten keine größere Relevanz mehr zu: Einschlägige Demonstrationen finden nur noch unregelmäßig statt, die Teilnehmerzahlen gingen stark zurück. Gleichwohl sollte dadurch das Interesse für das gemeinte Phänomen nicht verschwinden. Denn die regelmäßigen Demonstrationen mit um die 20.000 Teilnehmern waren ein erster manifester Ausdruck von dem heute auszumachenden "Rechtsruck", der mit dem AfD-Einzug in den Bundestag und alle Landtage auch gesamtgesellschaftlich wahrnehmbar ist. Es stellt sich aber auch auf einer anderen Ebene die Frage, welche Nachwirkungen mit Pegida verbunden waren. Das Göttinger Institut für Demokratieforschung beschäftigt sich auch mit Protestbewegungen und einige seiner Mitarbeiter fragten nach den Spuren in der politischen Kultur bestimmter Städte. Dabei ging es ihnen hauptsächlich um Jugendliche und deren Wahrnehmung, nicht nur in den Hochburgen Dresden und Leipzig, sondern auch in Duisburg und Nürnberg im Westen.

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Stine Marg, die geschäftsführende Leiterin des Instituts, führte mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern Julian Schenke, Christopher Schmitz und Katharina Trittel eine einschlägige Umfrage durch. Diese war indessen qualitativer, nicht quantitativer Art, insofern ermitteln sie keine genauen Prozentzahlen zur untersuchten Wirkung. Die Buchausgabe der Studie erschien unter dem Titel "Pegida-Effekte? Jugend zwischen Polarisierung und politischer Unberührtheit". Darin geht es zunächst um die bisherige Forschung zu Pegida und einen Blick auf die Deutungsmuster und Narrative bei den Reden auf den Versammlungen. Danach folgt die Auswertung von Gruppengesprächen mit 88 Teilnehmern zwischen 16 und 35 Jahren, die in vier Fokusgruppen eingeteilt und in den genannten Städten 2016 und 2017 befragt wurden. Hierbei standen die Bindungen, Normen und Wertehaltungen, Politikdistanz und Polarisierungsresistenz sowie die Deutungs- und Orientierungsmuster im Zentrum. Außerdem gab es noch abschließend eine gesonderte Fallstudie zu einem Dresdner Stadtteil.

In der Gesamtschau gab es kein einheitliches Resultat, was verständlicherweise nicht den Forschern angelastet werden kann, sondern der Komplexität der Realität entspricht. Diese gingen davon aus, dass Pegida für den lebensweltlichen Erfahrungsraum von Jugendlichen keine Rolle spielt und nach den Gruppengesprächen wenige Resonanzen hervorrief. Man distanzierte sich eher von dem gemeinten Phänomen, dem die Befragten inhaltlich wenig abgewinnen könnten. Dabei ging es aber mehr um das Format, weniger um den Inhalt. Die Art des Auftretens von Pegida fand wenig Wohlwollen. Indessen zeigte sich auch, dass Denkmuster und Orientierungswerte der Protestbewegung sehr wohl präsent waren. Dabei betonen die Forscher indessen, dass dies mehr latent und weniger manifest der Fall war. Die Diskutanten hätten bewusst oder unbewusst eine Strategie entwickelt, wonach ein Schleier von Toleranzbekenntnissen über tiefsitzenden Vorurteilen liege. Darin wird eine Gefahr für gelingende Integrationsbemühungen der kommenden Jahre gesehen.

Die Autoren haben sich mit einer durchaus relevanten Fragestellung beschäftigt, nämlich inwieweit gerade unter Jugendlichen für "Rechtsruck"-Tendenzen inhaltliche Verankerungen nachweisbar sind. Womöglich wäre hier ein sehr aufwendiger quantitativer Ansatz aber mehr erkenntnisförderlich gewesen, auch und gerade hinsichtlich des Ausmaßes und der Verteilung. So bleiben die Erkenntnisse der sehr aufwendigen Studie doch eher allgemein und ein wenig diffus, wenngleich zutreffend auf Gefahrenpotentiale für die gesellschaftliche Zukunft hingewiesen wird. Man findet darüber hinaus eine beachtenswerte Aufarbeitung der Forschung zu Pegida sowie zu den Diskursen über das gemeinte Protestphänomen. Beachtlich sind immer wieder die Hinweise darauf, dass sich hinter bekundeter Aufgeschlossenheit mitunter dann doch das Ressentiment verbirgt. Auch hier hat man es demnach mit dem Spannungsverhältnis von latenten und manifesten Vorstellungen zu tun. Der kritische Blick darauf ist für eine pluralistische Gesellschaft wichtig.

Julian Schenke/Christopher Schmitz/Stine Marg/Katharina Trittel, Pegida-Effekte? Jugend zwischen Polarisierung und politischer Unberührtheit, Bielefeld 2018 (transcript-Verlag), 432 S., 29,99 Euro