Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche

Offenbar Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft im Erzbistum München

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Ein Protestbündnis forderte Ende Januar 2022 in München eine Entschädigung der Opfer kirchlichen Missbrauchs und Urteile statt Gutachten.
Protestbündnis in München

Nicht nur Vertreter des säkularen Spektrums hatten seit langem gefordert, dass der Rechtsstaat seiner Rolle gerecht werden und die Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals nicht allein der Täterorganisation überlassen solle. Nun, dreizehn Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle, gab es einen ersten Durchsuchungsbeschluss in München.

2020 war es noch so unwahrscheinlich, dass der hpd einen Aprilscherztext mit der Überschrift "Bundesweite Razzien: Akten aus allen Bistümern beschlagnahmt" veröffentlichte. Nun durchsuchte anscheinend tatsächlich im Rahmen der Ermittlungen zu Fällen sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Institutionen die Staatsanwaltschaft München I gemeinsam mit der Kriminalpolizei Räumlichkeiten des Erzbistums München und Freising. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) geschah dies bereits am 16. Februar – zwar wohl ohne konkrete Ergebnisse, dafür aber mit deutlicher Symbolwirkung.

Wie BR24 in Berufung auf die SZ berichtete, soll "Fall 26" aus dem im letzten Jahr vorgestellten Missbrauchsgutachten der formale Anlass für den Durchsuchungsbeschluss gewesen sein: Ein verstorbener Priester, zu Beginn der 1960er Jahre wegen Missbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt, soll bis in die 2000er Jahre Umgang mit Ministranten gehabt haben. Die Ermittler seien dem Gerücht eines "Giftschranks" im Erzbistum von Kardinal Reinhard Marx nachgegangen, in dem besonders belastendes Material zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt aufbewahrt würde. Gegen den aktuellen Münchner Erzbischof selbst gebe es keinen Verdacht, nur gegen seine Vorgänger.

Von einem "Panzerschrank" hatte auch der Kriminologe Christian Pfeiffer bei seinem Vortrag am Stiftungssitz der Giordano-Bruno-Stiftung vor drei Jahren gesprochen. Er war es, der die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz zur Erstellung eines ersten Missbrauchsgutachtens beendete, weil diese massiv in seine Forschung eingreifen wollte. Zu Beginn seiner Arbeit, als er noch selbst forschen durfte, habe es eindeutig "Giftschränke" gegeben, so Pfeiffer, dieser Begriff stamme sogar von Mitarbeitern der Kirche selbst und bezog sich auf Akten der noch laufenden Verfahren, auf die auch die Mitarbeiter keinen Zugriff gehabt hätten. Schon damals, 2011, hätte jede Staatsanwaltschaft die Möglichkeit zum Eingreifen gehabt; "das ist versäumt worden". Nun habe der Staat hier zum ersten Mal Flagge gezeigt. Erstmals sei ein Justizminister offen für Hausdurchsuchungen im Kontext des kirchlichen Missbrauchsskandals. "Reichlich spät kommt diese Einsicht, aber sie kommt." Dass Bayern nun die Initiative ergriffen habe, sei großartig. Heute gebe es besagte Giftschränke seiner Einschätzung nach jedoch nicht mehr, "weil die Sorge zu groß ist, dass Dinge rauskommen, die man nicht in der Öffentlichkeit haben möchte. (…) Daher hat es die Kirche irgendwann aufgeben, solche Giftschränke zu führen."

"Die Geduld ist zu Ende und die Schonzeit vorbei"

Auch Holm Putzke, Beirat des Instituts für Weltanschauungsrecht, spricht von einer "tiefgreifenden Zäsur, dass ausgerechnet in Bayern gegen die katholische Kirche auf Antrag einer Staatsanwaltschaft richterlich eine Zwangsmaßnahme angeordnet und die Durchsuchung im Amtssitz des Erzbischofs von München auch vollzogen" worden sei. "Anscheinend misstrauen die Ermittlungsbehörden den Mitarbeitern der katholischen Kirche inzwischen und bezweifeln deren Aufklärungswillen und Mitwirkungsbereitschaft. Die Geduld ist zu Ende und die Schonzeit vorbei." Das bis dato beispiellose bayerische Vorgehen habe bundesweit Signalwirkung, denn es zeige, worauf er gemeinsam mit fünf weiteren Strafrechtsprofessoren schon im Jahr 2018 in Strafanzeigen an alle Staatsanwaltschaften der 27 Diözesen hingewiesen habe: "Dass Durchsuchungen und Beschlagnahmen sowohl nötig und überfällig als auch rechtlich möglich sind."

"Sollte man den Durchsuchungsbeschluss am Amtssitz von Kardinal Marx als Zeichen dafür werten können, dass selbst im erzkatholischen Bayern der Sonderstatus der Kirchen nicht mehr vermittelbar ist und ein Ende des 'Staats im Staat' in greifbare Nähe rückt?", fragt sich Michael Wladarsch, Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit Bayern. "Tatsächlich ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft München als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen. Es mutig zu nennen, wie aus manchen Kreisen zu hören ist, wäre jedoch verfehlt. Für einen weltanschaulich neutralen Staat ist dies lediglich das normale und juristisch korrekte Vorgehen, wenn es darum geht, Straftäter ausfindig zu machen und einer gerechten Strafe zuzuführen."

Das Erzbistum München und Freising ließ die Bitte um eine Stellungnahme zur Durchsuchung bis gestern Abend unbeantwortet.

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