Ein Jahr Suizidhilfeverbot

Politiker auf dem Prüfstand

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Haltende Hände
Haltende Hände, Maik Meid, Flikr CC BY-ND 2.0

Die Möglichkeit einer professionellen Hilfe zum Sterben wird von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung befürwortet, mit großer Mehrheit der Bundestagsabgeordneten wurde sie jedoch verboten - genau vor einem Jahr, am 6. November 2015. Interessant ist, wer damals namentlich für das Strafgesetz gestimmt hat. Es steht derweil in Karlsruhe auf dem Prüfstand, sieben Verfassungsbeschwerden liegen vor.

Es handelte sich um den Entwurf der Abgeordneten um Matthias Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Der in Kraft getretene Strafbarkeitstatbestand im neugeschaffenen § 217 StGB lautet:

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Gleich im ersten Wahlgang ohne Fraktionszwang wurde deutlich, dass fast alle Unionsabgeordneten, aber auch viele Parlamentarier der SPD und der Grünen eine gewünschte Suizidhilfe ablehnen (nicht für sich selbst und für Prominente, aber eben als Möglichkeit für die "ganz normalen" Menschen)

Sieben Verfassungsbeschwerden dagegen – und zwar aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln - haben die Karlsruher Richter zu prüfen. Geltend gemacht haben ihre Einwände nicht nur die zwei unmittelbar betroffenen Sterbehilfevereine, sondern auch Palliativmediziner und tödlich erkrankte Patienten.

Kollateralschäden über Suizidhilfe hinaus

Der Straftatbestand einer absichtlichen "geschäftsmäßigen Förderung" der Selbsttötung ist klar und eindeutig nur für die beiden Suizidhilfevereine Sterbehilfe-Deutschland und DIGNITAS gegeben. Sie stellten ihre Tätigkeit auf deutschem Boden auch sofort ein. Das sie betreffende Verbot wurde von den meisten Organisationen im Gesundheits- und Sozialbereich begrüßt oder jedenfalls nicht bedauert. Inzwischen macht sich bei diesen allerdings die berechtigte Sorge bemerkbar, dass ihre eigenen Tätigkeitsfelder durchaus mitbetroffen sind. Die Gegner des Gesetzes hatten im Vorfeld vergeblich auch vor sogenannten Kollateralschäden gewarnt. Diese sind inzwischen definitiv eingetreten.

Die unbestimmt bleibenden Strafbarkeitsrisiken treffen in besonders sensiblen Bereichen ärztliche sowie auch hospizliche und beratende Tätigkeiten. Bei helfenden Personengruppen bestehen subjektive Befürchtungen aufgrund der "neuen Lage". Die Rechtsunsicherheit wirkt dort verstärkt, wo es sich um nicht klar geregelte Formen atypischer und indirekter Sterbehilfe handelt, die bisher medizinethisch und -rechtlich als geboten oder zumindest als erlaubt angesehen wurden. Dies gilt insbesondere für das Zurverfügung-Stellen vom hochwirksamen Medikamenten gegen Schmerzdurchbrüche oder Atemnot bei todkranken Patienten zu Hause. Wenn diese die Medikamente zur Selbsttötung nutzen sollten, könnten sich Palliativmediziner nach § 217 StGB strafbar machen, weil sie die Gelegenheit dazu verschafft haben.

Insgesamt droht ein restriktiver werdendes Klima zu Lasten von Patientenrechten zum humanen Sterben auch außerhalb der Suizidhilfethematik. So kann schon die Gewährung eines Hospizzimmers zum sog. Sterbefasten in dezidiert suizidaler Absicht den Straftatbestand der Förderung der Suizidhilfe erfüllen. Zu den Strafbarkeitsrisiken hier ein Vortrag im Rahmen der Berliner Hospiztage von Prof. Dr. Dr. Hilgendorf "Zur Neuregelung des assistierten Suizids in Deutschland" vom 26.9.2016:

Ermittlungsbehörden müssen bei Verdacht aktiv werden

Es gab bisher kein Strafverfahren aufgrund des neuen Gesetzes gegen einen Arzt, der Suizidhilfe geleistet hat. Der Grund: Es macht keiner mehr nach Inkrafttreten des § 217 StGB – oder wenn überhaupt noch, dann verdeckt mit aufwendigem Vertuschen. Denn zurecht werden Ermittlungsverfahren gefürchtet. Polizei und Behörden müssen (!) jetzt bei Verdacht aktiv werden. Anlässlich einer kriminalpolizeilichen Fortbildung im Mai 2016 klärte der Referent Helmut Wetzel, Leiter des Kasseler Kommissariats 11, zur Situation vor und nach dem Gesetz auf: Früher seien Ermittler grundsätzlich nach dem Motto vorgegangen: Beihilfe zum Suizid ist vom Prinzip her straffrei, ermittelt wird ggf. nur bei Verdacht auf ein Tötungsdelikt. Das sei nun anders. Wenn Polizisten bei einem verstorbenen Menschen nur kleinste Hinweise auf einen assistierten Suizid fänden, müssten sie jetzt ermitteln, ob dahinter eine geschäftsmäßige Beihilfe steht.

Der neue § 217 StGB bedeute in Einzelfällen einen gewaltigen Unterschied: "Er bringt Leute eher in die Gefahr einer strafrechtlichen Ermittlung als vorher." Die Behörde sei ans Strafrecht gebunden und müsse im Zweifel ermitteln: "Im Ergebnis gibt es für die Polizei nicht viele Möglichkeiten, es anders zu lösen". Liegt etwa ein Hinweis vor, dass ein Mediziner am Suizid mitgewirkt hat, etwa mit einer größeren Zahl verschriebener Tabletten, so Wetzel, müsse die Polizei jetzt in Richtung der "geschäftsmäßigen" Beihilfe ermitteln – denn ärztliche Helfer könnten ja wiederholt oder zukünftig „gegebenenfalls erneut einem Menschen beim Suizid assistieren“. (Siehe Interview mit Helmut Wetzel.)

Welche Abgeordneten am 6.11.2015 für das Suizidhilfeverbot gestimmt haben

Auch die Abgeordneten um Peter Hintze (CDU) sowie Karl Lauterbach und Carola Reimann (beide SPD) hatten deutlich gewarnt vor dem sog. Brand/Griese-Entwurf, der nach ihrer Ansicht unbescholtene Ärzte kriminalisiere. Um einen Scharlatan zu erwischen, dürften nicht Tausende Ärzte mit Strafe bedroht werden, hatte Hintze gesagt. Doch nur eine Minderheit seiner KollegInnen ließen sich davon abbringen, für das Suizidhilfeverbot zu stimmen.

Im nächsten Jahr finden Bundestagswahlen statt. Grund genug, sich noch mal die Namen der Abgeordneten anzuschauen, die am 6.11.2015 für den Strafbarkeitsparagraphen 217 StGB gestimmt haben.  Es verwundert nicht, dass prozentual bei der Union fast alle, bei der LINKEN die wenigsten Abgeordneten dafür votiert haben. Interessant zu sehen sind dort die prominenten Befürworter des Suizidhilfeverbots bei der SPD (z. B. Sigmar Gabriel, Thomas Oppermann, Andrea Nahles, Barbara Hendricks) und bei den GRÜNEN (z. B. Volker Beck, Cem Özdemir, Katrin Göhring-Eckardt, Claudia Roth).

Wie es in Karlsruhe auch ausgeht, eine mögliche Rot-Rot-Grüne Bundesregierung und die Politik überhaupt sollte aufgefordert sein, diese Frage erneut auf den Prüfstand zu stellen. Oder die Frage könnte doch – mit einem neuen demokratischen Instrument, wie es ja vor allem die CSU einfordert - zur bundesweiten Bürgerabstimmung freigegeben werden.

Das Gesetz auf dem Prüfstand – zum Stand in Karlsruhe

Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe steht noch so gut wie am Anfang. Das hängt damit zusammen, dass der ursprünglich damit befasste Vorsitzende des Zweiten Senats, Richter Herbert Landau, inzwischen altersbedingt ausgeschieden ist. Zuständige Berichterstatterin ist nun die Juristin Sibylle Kessal-Wulf. Noch zu Landaus Amtszeit lehnte das Bundesverfassungsgericht Anfang Januar dieses Jahres einen Eilantrag gegen das Gesetz ab. Gestellt hatten ihn vier unheilbar schwerkranke Patienten, bei denen bereits erteilte Zusagen zum Suizidbeistand aufgrund der Kriminalisierung von ihren Helfern wieder zurückgezogen worden waren. Die Verfassungsrichter nahmen damals eine Folgenabwägung vor: Was wiegt schwerer? Dass freiwillensfähigen Todkranken die von ihnen erbetene, vor dem Gesetz doch bis dato erlaubte ärztliche Sterbehilfe nicht versagt werden darf oder dass möglicherweise eine entsprechende "Dienstleistung" andere zur Selbsttötung nötigen könnte, die das eigentlich gar nicht wollen? Letzteres hatte die Richter damals für eher ausschlaggebend erachtet und zumindest den Eilantrag abgewiesen, ihn aber als zu prüfende Beschwerde zugelassen. 

Sicher werden es sich die Richter mit der Entscheidung – anders als etliche unbedarfte Bundestagsabgeordnete – angesichts der Verschiedenartigkeit und Vielzahl der Beschwerden nicht einfach machen. Selbst eine mündliche Verhandlung, bei Verfassungsbeschwerden eigentlich sehr außergewöhnlich, ist nicht auszuschließen. Um auch weltanschaulich verschiedene Positionen einzubeziehen, bat der Senat gesellschaftlich relevante Interessenvertreter um ihre Einschätzungen, darunter die beiden großen Kirchen aus christlicher und den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) aus konfessionsfreier Sicht. Es ist davon auszugehen, dass dabei Katholiken und Protestanten die Suizidbeihilfe als völlig unangemessen und unethisch im Umgang mit Todkranken darstellen, während der HVD im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen die Gegenposition vertritt. Wie verlautet, spielen in der humanistisch orientierten Stellungnahme des HVD die oben genannten Kollateralschäden und die strafrechtliche Ermittlungsproblematik (s.o.) eine große Rolle.

Der 30. September als ursprünglicher Abgabetermin für die erbetenen Stellungnahmen wurde auf den 15. November verschoben. Sicher scheint, dass diese Entscheidung mit Grundsatzcharakter des Bundesverfassungsgerichtes nicht so schnell, aber wohl vor der nächsten Bundestagswahl zu erwarten sein wird.